Asylgesetz im Bundesrat:Europas Zugbrücken gehen nach oben

Die Not der Menschen - die Sorgen der Kommunen: Vor diesem Zwiespalt stehen die Bundesländer, nun haben sie der umstrittenen Asylrechtsreform zugestimmt. Aber wer, wenn nicht das reiche und sichere Deutschland, sollte helfen?

Kommentar von Matthias Drobinski

In Duisburg wollten sie eine Zeltstadt aufbauen, anderswo füllen Städte und Gemeinden Turnhallen sowie hastig gekaufte Hotels mit den Menschen, die da kommen. Fast 117 000 Flüchtlinge haben von Januar bis August Asyl in Deutschland beantragt, 60 Prozent mehr als im Jahr zuvor.

Die Zahlen erinnern an jene frühen Neunzigerjahre, als ähnlich viele Flüchtlinge kamen. Eine Welle des Hasses schwappte durchs Land; Menschen wurden ermordet, weil sie Fremde waren. Man kann verstehen, dass die Bürgermeister eine solche Zeit nicht noch einmal erleben wollen und für sie die besten Flüchtlinge jene sind, die nicht zu ihnen kommen.

Die Not der Flüchtlinge - die Sorgen der Kommunen

Irgendwo auf dem Meer vor Malta aber sind vor ein paar Tagen Menschen ertrunken, 500 vielleicht. Es waren Männer, Frauen, Kinder aus Syrien, Ägypten, dem Sudan und den Palästinensergebieten. Sechs haben nur überlebt. Schlepper haben das Boot versenkt, als die Flüchtlinge ihren Befehlen nicht folgten. Sie sollen gelacht haben im Angesicht der Sterbenden.

Wen das nicht erschüttert, hat ein Herz aus Stein. Wer, wenn nicht das reiche und sichere Deutschland, sollte nicht alles dafür tun, dass den Menschen geholfen wird, die da vor Krieg, Bürgerkrieg, Verfolgung und Not ihre Heimat verlassen?

Die Not der Flüchtlinge - die Sorgen der Kommunen: Das ist der Zwiespalt, in dem die Vertreter der Bundesländer stehen, die an diesem Freitag im Bundesrat über jenes Gesetz abgestimmt haben, das Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu sicheren Herkunftsländern erklärt. Flüchtlinge von dort können praktisch kein Asyl mehr in Deutschland erhalten, sie können vor allem schnell wieder abgeschoben werden.

Die Motive des Gesetzes scheinen nachvollziehbar zu sein: Schon jetzt erhält praktisch niemand mehr Asyl, der vom Balkan nach Deutschland kommt. Die meisten der in diesem Jahr bislang 30 000 Antragsteller von dort sind Roma auf der Suche nach einem irgendwie besseren Leben. Und doch wäre das neue Gesetz ein Zeichen: Die Praktikabilität des Rechts stünde vor dem Menschenschutz.

Europa fehlt eine großzügige Politik

Ja: Wer bloß ein besseres Leben sucht, kann nicht das Asylrecht in Anspruch nehmen. Doch so einfach ist die Lage schon lange nicht mehr. Roma sind auf dem Balkan auch arm, weil sie diskriminiert und ausgegrenzt werden. Schwule werden dort nicht per Gesetz verfolgt, können aber trotzdem ihres Lebens und ihrer Gesundheit nicht sicher sein. Darauf hat das deutsche Asylrecht keine wirkliche Antwort.

Als es 1949 entstand, hatten die Autoren den Nazigegner und den von den Kommunisten verfolgten Dissidenten vor Augen, nicht aber den Jesiden aus dem Irak, der seinen muslimischen Nachbarn nicht mehr traut, nicht die Frau aus Afghanistan, die ohne Burka leben möchte. Für die meisten gibt es irgendwelche Regelungen, Kontingente, Duldungen; oft sind sie der jeweiligen politischen Opportunität geschuldet. Selten werden sie den Menschen gerecht, die Schutz suchen.

Zu vorauseilendem Populismus besteht kein Anlass

Es fehlt in Deutschland und erst recht in Europa eine einheitliche und großzügige Politik, die Menschen Schutz vor Krieg, Verfolgung und Diskriminierung bietet - angefangen von der berechtigten Klage der deutschen Kommunen übers fehlende Geld bis hin zu dem Skandal, ob der Einsatz der italienischen Marine zur Rettung von Schiffbrüchigen weitergeht. Es kehren alte Ängste von Menschenwellen, Strömen, Lawinen wieder, unter denen der soziale Friede im Land angeblich zu versinken droht. Europas Zugbrücken gehen wieder nach oben.

Es gibt gute Gründe, sie so weit wie möglich unten zu lassen. Die Lage ist schwierig in Deutschlands Städten. Doch was kommt, ist nur ein fernes Echo des weltweiten Flüchtlingsdramas - allein Libanon hat eine Million Menschen aus Syrien aufgenommen. Es bleibt auch längst nicht jeder, der als Flüchtling kommt: 1994 lebten 350 000 Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina in Deutschland, bis auf 20 000 sind heute alle wieder in ihrer alten Heimat.

Und hier ist heute die Stimmung anders als vor gut 20 Jahren: Es gibt Proteste gegen Flüchtlingsheime, und der Erfolg der AfD in Ostdeutschland ist auch der Fremdenangst mancher Wähler geschuldet. Doch es gibt auch große Hilfsbereitschaft gegenüber den Menschen, die da kommen. Zu vorauseilendem Populismus besteht kein Anlass.

Deutschland soll mehr internationale Verantwortung übernehmen, wünscht Bundespräsident Joachim Gauck. Seitdem wird viel und auch zu Recht über Militär und Waffen diskutiert. Zu dieser Verantwortung gehört aber auch, Menschen zu schützen, die vor Krieg und Diskriminierung fliehen. Asyl ist ein Grundrecht der freien Welt. Wer die Werte dieser freien Welt verteidigen will, kann gleich vor der eigenen Tür anfangen.

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