Asyleinigung von CDU/CSU:Österreich findet das gar nicht gut

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"... sehen wir uns dazu veranlasst, Handlungen zu setzen, um Nachteile für Österreich und seine Bevölkerung abzuwenden": Kanzler Sebastian Kurz Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Innenminister Herbert Kickl (beide FPÖ) in einer Erklärung (Foto: dpa)

Die Einigung zwischen Seehofer und Merkel über Zurückweisungen an der deutsch-österreichischen Grenze sorgt im Nachbarland für Unruhe - und bringt Kanzler Kurz in eine ungemütliche Lage.

Von Oliver Das Gupta

"Der Berliner geht. Der Wiener steht in allen Lagen. Er geht nicht einmal unter."

Karl Kraus, aus den Aphorismen

Angela Merkel und Horst Seehofer sind nun doch noch auf einen gemeinsamen Nenner gekommen im Streit um Zurückweisungen von Flüchtlingen an der bayerischen Südgrenze. Genau genommen ist Merkel eher auf den Nenner gekommen worden. Das ist für den Moment fast unwirklich entspannend für CDU und CSU.

Weniger entspannend wirkt sich der sogenannte "Asylkompromiss" von Berlin auf Österreich aus. Das Problem: Wenn die deutschen Beamten Flüchtlinge an der Grenze zwischen Passau, Salzburg und Bregenz "zurückweisen", bleiben diese Menschen folglich in Österreich.

Die Berliner Einigung zeigte im südlichen Nachbarland schon am Montagabend Wirkung, als erstes reagierten Journalisten auf Twitter. "Diese Vereinbarung von Merkel und Seehofer ist eine gefährliche Drohung für Österreich", schrieb der Standard-Redakteur Thomas Mayer. ORF-Moderator Armin Wolf fragte hinsichtlich der in der Unionseinigung erwähnten "Vereinbarung mit der Republik Österreich", ob diese Vereinbarung "in Österreich schon jemand Zuständiger kennt"?

"Achse der Willigen"
:Es stellt einem die Haare auf

Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz spricht von der "Achse der Willigen". Und benutzt damit eine politische Metapher, die unpassender nicht sein könnte.

Kommentar von Heribert Prantl

Inzwischen äußerten sich auch österreichische Politiker. Allgemeiner Tenor: Österreich findet das gar nicht gut. Am Dienstagvormittag meldeten sich die Koalitionsspitzen von christsozialer ÖVP und radikal rechter FPÖ. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Innenminister Herbert Kickl (beide FPÖ) erklärten in einer Pressemitteilung, man bereite den "Schutz unserer Südgrenzen" vor. Sollte die Einigung von CDU und CSU "zur deutschen Regierungsposition werden, sehen wir uns dazu veranlasst, Handlungen zu setzen, um Nachteile für Österreich und seine Bevölkerung abzuwenden". Was darunter genau zu verstehen ist, bleibt offen. Wien kritisiert mit Blick auf das Unionspapier, dass Berlin "nationale Maßnahmen" ergreifen könnte.

Auch aus dem an Bayern angrenzenden Oberösterreich kommen sorgenvolle Töne. Sein Land dürfe von den Deutschen "dieses Problem sicherlich nicht erben", sagt Landeshauptmann Thomas Stelzer dem ORF. Der Parteifreund von Kanzler Kurz beklagt, dass bereits die aktuellen Grenzkontrollen Pendler und Unternehmer belasten würden. Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer sagte auf SZ-Anfrage, Österreich dürfte nicht zum "Wartebereich" für Migranten werden.

"Seehofer und Merkel haben ihren Konflikt auf Kosten Österreichs geschlichtet", sagt SPÖ-Chef Christian Kern zur Süddeutschen Zeitung. Der frühere Bundeskanzler sieht einen Zusammenhang zwischen der aktuellen Entwicklung und seinem Amtsnachfolger. "Die Einmischung von Kurz in den innerdeutschen Konflikt endet mit einem Ergebnis auf Kosten Österreichs."

Kurz und seine "Achse"

Um zu verstehen, inwiefern die nun gut zwei Wochen andauernde Eskalation in der Union mit Österreich zusammenhängt und was Sebastian Kurz damit zu tun hat und warum die aktuelle Lage für ihn ungemütlich ist, lohnt ein Blick in die jüngere Vergangenheit.

Österreichs Kanzler kam am 13. Juni in die deutsche Bundeshauptstadt, um für sein Leib- und Magenthema zu werben: die Migrationspolitik. Es waren die letzten Vorbereitungen für die Zeit der großen Auftritte und vergrößerten Einflussmöglichkeiten, die der Kanzler aus Wien nutzen möchte. Der von Kurz seit Jahren konsequent geforderte "Schutz der Außengrenzen der Europäischen Union" vor Flüchtlingen wird zur großen Überschrift, die der Wiener Regierungschef der nun beginnenden EU-Ratspräsidentschaft Österreichs gibt.

Wie man die Außengrenze schützt und wie man Asylpolitik gestaltet, davon hat Kurz Vorstellungen, wie sie zuerst die FPÖ propagiert hat. Seit Dezember koaliert Kurz mit den "Freiheitlichen"; seine Regierung arbeitet nach außen geräuscharm, auch wegen des stets wiederaufbereiteten Flüchtlingsthemas.

In Budapest heißt sein Partner Viktor Orbán, in München Markus Söder, in Berlin Jens Spahn und Horst Seehofer. Allesamt Männer, die mehr oder weniger in Opposition zu Kanzlerin Angela Merkel stehen. Der Christsoziale Kurz ließ sich mit Seehofer schon auf CSU-Parteitagen feiern.

In Berlin trat Kurz also mit dem deutschen Bundesinnenminister auf und spulte eine Variante seines Standardprogramms zum Thema Migration ab. Und dann sprach Kurz von etwas Neuem: von der "Achse der Willigen" in der Flüchtlingspolitik zwischen Berlin und Wien und Rom, wo Rechtspopulisten und Rechtsradikale neuerdings regieren.

Kurz' Begrifflichkeit ist nicht nur denkwürdig, weil vor 80 Jahren Hitler und Mussolini ihr Bündnis als Achse Berlin-Rom bezeichneten. Bei dem Auftritt wurde auch klar: Seehofer und seine CSU wollen Teil dieser Kurz-Achse sein. Sie sind sich einig in der Flüchtlingspolitik. Einmal frohlockt der Innenminister sogar, dass Kurz gerade aus dem (nach wie vor) unveröffentlichten Seehoferschen Masterplan Migration zitiert habe - ohne ihn zu kennen.

Dass in einem der 63 Masterplan-Punkte Dissens besteht, war allerdings auch schon damals klar: Einseitige Zurückweisungen an der deutsch-österreichischen Grenze konnte Kurz nicht gutheißen. Er sah die Sache so wie Merkel: keine eigenmächtigen Entscheidungen, die Grenzsache muss auf europäischer Ebene abgestimmt werden. Ausgesprochen hat das Kurz nicht in Berlin, dafür sorgte auch sein Gastgeber: Nachfragen von Journalisten zu dem Thema wimmelte Seehofer ab. Der Innenminister bat um Verständnis, "dass wir gemeinsam zu dieser innenpolitischen Frage heute nicht Stellung nehmen werden" ( hier mehr dazu).

Einen Tag nach der Kurz-Visite entzündete sich der Streit zwischen Innenminister und Kanzlerin, in dessen Verlauf dann auch Alexander Dobrindt und Seehofers CSU-interner Intimfeind Markus Söder mit Verve einstiegen. In diesen turbulenten Tagen raunte man in Berlin und München davon, die Kanzlerin könnte stürzen. Auch Jens Spahn, der Gesundheitsminister und Kurz-Freund, zeigte in der Parteispitze offen, dass er nicht mehr unbedingt zu Merkel steht.

Während in Berlin der Machtkampf Fahrt aufnahm, wurde der Unionsstreit zeitgleich im österreichischen Parlament thematisiert. Es sei "imposant" wie Kurz die "Bundeskanzlerin mit an die Wand drückt", rief Matthias Strolz, Chef der liberalen Neos bei seiner Rede. An den "handwerklichen Fähigkeiten" von Kurz habe er nie gezweifelt, aber dieser nutze sie für "seelenlose Politik". Der angesprochene Regierungschef schaute Strolz von der Regierungsbank zu und lächelte verschmitzt.

Ein paar Tage später hatte der Kanzler einen weiteren Termin mit einem CSU-Granden. In Linz zelebrierten Söder und Kurz am 20. Juni eine gemeinsame Sitzung des bayerischen und des österreichischen Kabinetts. Von dort gab es Breitseiten gegen Angela Merkel, die in dieser Zeit nach einer europäischen Lösung für den Unionsstreit suchte ( hier mehr dazu).

Kritik an den Seehofer-Plänen, wonach die Abweisung von Asylbewerbern Österreich vor große Herausforderungen stellen würde, hat Kurz bislang vermieden. Der Österreicher hat dem CSU-Vorhaben sogar etwas Positives abgewonnen. Durch den Streit in Deutschland sei eine neue Dynamik entstanden mit der Chance, dass sich auf europäischer Ebene wieder etwas bewege, sagte Kurz.

Warnung von CSU-Freund Kurz an den CSU-Chef Seehofer

"Wenn Deutschland - wie Innenminister Horst Seehofer plant - bereits in anderen EU-Staaten registrierte Flüchtlinge an der Grenze zurückweist, würde Österreich diese dann weiter abschieben", erklärte der Sprecher von Innenminister Kickl auf SZ-Anfrage am 18. Juni. Österreichische Sorgen, Irritationen oder etwa Ärger über mögliche Zurückweisungen waren damals weder schriftlich herauszulesen noch telefonisch vernehmbar.

Ende Juni änderte sich die Tonalität plötzlich. Inzwischen war klar, dass Merkels Rückhalt nach dem EU-Gipfel wieder größer ist. Wenige Tage vor Beginn der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft warnten Kanzler Kurz und sein Innenminister Kickl vor Zurückweisungen der Deutschen an der gemeinsamen Grenze. Am 27. Juni sagte Kickl im Fernsehsender Puls 4: "Wenn Deutschland glaubt, dass man entgegen internationalem Recht einfach Personen nach Österreich zurückbringen kann, dann werden wir den Deutschen erklären, dass wir diese Personen nicht abnehmen." Ähnlich klang plötzlich auch Sebastian Kurz drei Tage später bei Bild.

So verortete sich der österreichische Kanzler mit seinem Koalitionspartner im Unionsstreit plötzlich auf der Seite der Kanzlerin, deren Politik er seit Jahren kritisiert. Dabei hat sich Merkel nun ja sogar bewegt in Richtung Seehofer, ist in der Sache näher am CSU-Chef als Kurz - es ist im Grunde ein absurdes Spektakel.

Und die CSU-Maßnahmen dürften Österreich noch einen weiteren Konfliktherd bescheren. Wenn die Regierung Kurz/Strache nun erklärt, Österreichs Südgrenze zu "schützen", kommt sie ins Gehege mit der neuen italienischen Regierung - allen demonstrativen Polit-Schmusereien zum Trotz.

Wiens nationalistische Partner in Rom werden wenig erfreut sein, sollten die Österreicher demnächst anfangen, Flüchtlinge an der italienischen Grenze abzuweisen. So hat Italiens Innenminister Matteo Salvini bereits erklärt, keine abgewiesenen Migranten zurückzunehmen, auch wenn sie Italien als erstes EU-Land betreten haben. Am Dienstag zeigte er sich aber relativ entspannt: "Für uns wäre das ein gutes Geschäft", sagte Salvini im Sender Rai. Denn es seien mehr Migranten, die Italien an Österreich abzugeben habe, als andersherum.

Für Österreichs Kanzler Kurz wird es demnach zwar etwas ungemütlich, aber politisch dürfte ihm die Causa nicht wirklich gefährlich werden. Dafür ist auch die tatsächliche Lage an den Grenzen zu entspannt.

Der Bürgermeister der Grenzgemeinde Brenner, Franz Kompatscher, nannte die derzeitige politische Diskussion "reine Muskelspiele". "Wir hatten noch nie so wenig Migranten, die Zahlen halten sich sehr in Grenzen", sagte er. Mit Blick auf die Migration könne man nicht mehr von einem "Problem" sprechen. Mittlerweile würden schon mehr Menschen aus Österreich nach Italien kommen als andersherum - beispielsweise solche, die einen negativen Asylbescheid in Deutschland bekommen hätten, würden nach Italien zurückgeschickt.

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