Asylbewerberheim in Suhl:"Flüchtlinge nach Ethnien zu trennen, ist Unsinn"

Streit in Suhler Flüchtlingsunterkunft

Flüchtlinge am Fenster einer Suhler Unterkunft.

(Foto: dpa)

Nach den Krawallen im Asylbewerberheim Suhl fordern Politiker Konsequenzen. Migrationsforscher Jochen Oltmer hält nichts davon, Flüchtlinge zu "sortieren". Er erkennt ein anderes Muster hinter den Tumulten.

Von Yannick Nock

In einem Asylbewerberheim im thüringischen Suhl kam es am Mittwochabend zu schweren Krawallen. 120 Polizisten mussten ausrücken, um die Tumulte zu beenden. Sechs Polizisten und elf Bewohner des Heimes wurden verletzt. Es sei eine "rote Linie überschritten worden", sagte Thüringens Integrationsminister Dieter Lauinger. Migrationsforscher Jochen Oltmer von der Universität Osnabrück erklärt, welche Maßnahmen sinnvoll sind - und welche nicht.

SZ: Herr Oltmer, nach den schweren Krawallen im Asylbewerberheim in Suhl schlägt Ministerpräsident Bodo Ramelow vor, die Flüchtlinge nach Ethnien getrennt unterzubringen. Eine gute Idee?

Jochen Oltmer: Nein, das bringt in diesem Fall wenig. Flüchtlinge nach Ethnien zu trennen, ist Unsinn. Hinter den Tumulten in Suhl, aber auch in Braunschweig, Trier oder Dresden lässt sich ein Muster erkennen: Es handelte sich immer um völlig überbelegte Asylunterkünfte. Die Wartezeit an den Essensausgaben ist lang, die hygienischen Bedingungen sind oft schlecht. Das ist der Hintergrund der Krawalle - nicht die Tatsache, dass verschiedene Gruppen mit unterschiedlichen Glaubensrichtungen zusammenkommen.

Die Ausschreitungen sollen durch einen Mann ausgelöst worden sein, der angeblich Seiten des Korans die Toilette runtergespült hat.

Die Flüchtlinge stehen unter einer hohen körperlichen und seelischen Belastung, geprägt durch Unsicherheit und Zukunftsangst. Sie wissen nicht, wann ihr Antrag bearbeitet wird, ob sie abgeschoben oder einer Gemeinde zugeteilt werden. In dieser angespannten Atmosphäre führen Banalitäten schnell zu Tumulten.

Jochen Oltmer

Jochen Oltmer ist Professor am Institut für Migrationsforschung und interkulturelle Studien in Osnabrück.

(Foto: Universität Osnabrück)

Welche anderen Faktoren spielen eine Rolle?

Es gibt das wenig beachtete Phänomen, dass die Zahl der männlichen Asylbewerber überproportional hoch ist. Dort, wo es zu Tumulten gekommen ist, wohnten viele junge Männer. Die Bereitschaft, gewalttätig zu werden, ist bei ihnen größer. Hinzu kommt die Sprache. Die meisten Betreuer sprechen nicht syrisch oder arabisch. Auch eine Kommunikation unter den Flüchtlingsgruppen ist häufig kaum möglich, weil sie aus unterschiedlichen Sprachregionen stammen. Umso wichtiger ist es, die völlig überfüllten Heime zu entlasten.

Die Asyldebatte in Deutschland ist aufgeheizt. Steigern Ausschreitungen wie in Suhl Vorbehalte gegen Flüchtlinge?

Das ist gut möglich. Nicht nur wegen der Krawalle, sondern auch wegen der Reaktion der Behörden. Es wird zu schnell davon gesprochen, dass alles ein Problem der Flüchtlinge sei. Schnell werden Stimmen laut, die Flüchtlinge müssten sortiert und kategorisiert werden. Auch die Forderung nach polizeilichen Maßnahmen ist sofort gekommen. Die Behörden und die Politik versuchen zu verdecken, dass sie völlig überfordert sind und mit den massiv überbelegten Massenunterkünften nicht klar kommen.

Rechtsextremisten versuchen, den Gewaltausbruch für sich zu nutzen. Die von Neonazis beherrschte "Thügida"-Bewegung versammelte am Donnerstagabend 600 Menschen in Suhl, um gegen das Flüchtlingsheim zu demonstrieren. Werden die Rechten von den Ausschreitungen profitieren?

Das glaube ich nicht, weil solche Vorfälle nur selten vorgekommen sind. Allerdings müssen die Behörden nun neue Maßnahmen auf den Weg bringen, um die Hunderttausenden Asylanträge schneller bearbeiten zu können. Bei weiteren Vorfällen in Flüchtlingsheimen kann die Stimmung schnell kippen.

Die Regierung rechnet mit bis zu 800 000 Flüchtlingen bis zum Jahresende. Weitere Konflikte scheinen da unvermeidlich.

Ich bin erstaunt, dass bei den hohen Flüchtlingszahlen nicht mehr passiert ist. Fast alle Erstaufnahmelager sind heillos überfüllt. In vielen Kommunen funktioniert die Unterbringung der Flüchtlinge nur noch, weil sich viele ehrenamtlich engagieren. Deswegen muss sich etwas ändern. Flüchtlinge müssen anders untergebracht werden. Nur so lassen sich künftig Tumulte wie in Suhl verhindern.

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