Asylbewerber:Wo Rassismus anfängt

Gericht: Brandanschlag auf Flüchtlinge könnte Mordversuch sein

"Wir finden keine Ruhe": Einen Tag wohnten sieben Syrer in dem Haus im nordrhein-westfälischen Altena. Dann wurde ein Brand gelegt.

(Foto: Polizei Hagen/dpa)

Der Prozess um den Anschlag auf ein Flüchtlingsheim in Altena muss klären, ob es politische Motive gab.

Von Lena Kampf, Berlin

Es ist Mittag am 3. Oktober 2015, als es in Altena plötzlich wie in Aleppo riecht. Das Treppenhaus von Aboud B.s Unterkunft ist voll Rauch, die Nachbarn schreien: Raus, Raus! Aboud B. versteht kein Wort, will aber dann noch die Papiere zusammenraffen, die Universitätszeugnisse seiner erwachsenen Kinder, die Pässe, all die Dokumente, die sie in Plastiktüten unter ihrer Kleidung über das Mittelmeer gebracht haben. Doch jetzt darf er nicht mehr rein. Steht da, vor dem grau-braunem Haus mit dem verkohlten Dach.

Zwei Männer haben in der Nacht ein Feuer im Dachboden gelegt. Nur weil sich der Brand so langsam entwickelt hat, wird niemand verletzt. Doch bei Aboud B. ist die Todesangst zurück. So, wie er sie in Aleppo gefühlt hat, als die Raketen auf seinen Stadtteil niederprasselten. Aboud B. versteht: Asyl ist keine Garantie für Sicherheit. Es ist ein Versprechen, das nicht unbedingt eingehalten werden muss.

Am Dienstag beginnt der Prozess gegen die beiden mutmaßlichen Brandstifter von Altena, Nordrhein-Westfalen, vor dem Landgericht Hagen. Dirk D. und Marcel N. sind 25 und 24 Jahre alt, ein Feuerwehrmann und ein Werkzeugmacher. Dirk D. wohnt direkt neben dem Flüchtlingsheim. Laut Anklage haben die beiden nachts die Kellertür von dem Haus aufgebrochen, in das Aboud B. mit seinen beiden Kindern und vier weiteren syrischen Flüchtlingen am Abend zuvor eingezogen war. Dirk D. und Marcel N. sollen in den Dachboden geklettert sein, dort soll D. in großen Bahnen Benzin verteilt und es angezündet haben. N. soll im Treppenhaus aufgepasst sowie die Kabel des Telefonanschlusses gekappt haben, damit niemand den Brand melden konnte.

Auch die Staatsanwaltschaft tut sich schwer, die Tatverdächtigen richtig einzuordnen

Es ist einer der seltenen Prozesse, die überhaupt geführt werden wegen der Angriffe auf Flüchtlingsheime. Mehr als 1000 solcher Taten hat das Bundeskriminalamt 2015 gezählt, nur ein winziger Prozentsatz davon wurde je aufgeklärt. In wenigen Fällen ist bereits ein Urteil gesprochen worden: Anfang März wurden zwei Männer in Rostock zu je fünf Jahren Haft verurteilt, die im Oktober 2014 einen Molotowcocktail gegen ein bewohntes Flüchtlingsheim in Groß Lüsewitz geworfen hatten. Mitte März verhängte das Landgericht Hannover Haftstrafen von vier bis acht Jahren gegen zwei Männer und eine Frau, die im September 2015 einen Brandsatz in eine bewohnte Unterkunft im niedersächsischen Salzhemmendorf geschmissen hatten. Und in Dresden wurden Ende April zwei Familienväter zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt, weil sie im Juni 2015 eine noch unbewohnte Flüchtlingsunterkunft in Meißen angezündet hatten. In den Gerichtssälen waren die Geschichten bisher dieselben: Der Alkohol sei schuld, hieß es da. Das seien "Spontantaten" gewesen. Alles ohnehin nicht so gemeint. Und rechtsgesinnt sei man trotz der Hitlerbilder bei Whatsapp, Teilnahme an NPD-Aufmärschen und einem Faible für rechtsextreme Musik sowieso nicht. In allen drei Fällen bestätigten die Richter jedoch einen rechten Hintergrund der Taten.

Auch Dirk D. und Marcel N. haben die Tat bei der Polizei zumindest teilweise gestanden. Doch ihr Motiv ist unklarer. Wenn das BKA in internen Untersuchungen zu den Brandanschlägen Täter beschreibt, die noch nie durch ihre rechte Gesinnung aufgefallen sind, spricht die Behörde von Männern wie Dirk D. und Marcel N. Bei ihnen konnten bisher keinerlei Verbindungen in eine rechte Szene ermittelt werden. Nicht mal Sympathien. Doch wenn die keine Rechten sind, was sind sie dann?

Der Brandanschlag in Altena wirft Fragen auf, und die richten sich nicht nur an die beiden Angeklagten: Wieso haben zwei junge Männer, deren beste Freunde Mehmet und Olga heißen, im Sommer plötzlich Angst vor Ausländern? Was genau liegt zwischen den wenigen rassistischen Artikeln über die "Asylflut" und die "Invasion von Terroristen", die Dirk D. im Sommer unvermittelt auf Facebook postet, und dem Moment, an dem die beiden für 5,65 Euro Benzin an einer Tankstelle in einen Kanister füllen? Was geht in einem, der sich vorher überhaupt nicht für Politik interessiert hat, vor, damit er auf die Idee kommt, das Nachbarhaus voller Syrer anzuzünden? Warum ist ein Feuerwehrmann, der sonst Leben rettet, plötzlich bereit, Leben zu riskieren?

Auch die Staatsanwaltschaft Hagen hat Schwierigkeiten, Tatverdächtige wie Marcel N. und Dirk D. einzuordnen. Sie nimmt zunächst keinen Mordversuch an, ermittelt lediglich wegen schwerer Brandstiftung und lässt die beiden Tatverdächtigen auf freiem Fuß. Erst als ein Gutachter festgestellt, dass der Brand sich auch viel intensiver hätte ausbreiten können, kommen D. und N. im Februar in Untersuchungshaft. Das Landgericht erweitert die Anklage um versuchten Mord. Weil Dirk D. in seiner Vernehmung sagt, er habe Angst vor den Flüchtlingen gehabt und davor, dass seine Freundin nicht mehr bei ihm übernachte, wenn nebenan Syrer wohnen, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft bei einer Pressekonferenz, D. habe aus "persönlichen Motiven, nicht aus politischen" gehandelt. Er erntet dafür bundesweit viel Häme. Doch wo endet die Angst, und wo fängt Rassismus an?

"Dirk D. wollte unter keinen Umständen, dass Menschen zu Schaden kommen", sagt Verteidiger Andreas Trode. Die Prüfung des Tötungsvorsatzes erfordere im Verfahren ein "Höchstmaß an Sensibilität", sagt der Anwalt und kündigt für den Prozess eine Aussage seines Mandanten an.

"Wer ein bewohntes Haus anzündet, muss damit rechnen, dass Menschen sterben", sagt dagegen Nebenklagevertreter Jost von Wistinghausen. Aboud B. und seine beiden Kinder werden durch zwei Anwälte im Prozess vertreten, damit sie sich so wenig wie möglich mit dem Anschlag auseinandersetzen müssen. Er spricht bei seinem Mandanten von einer "Retraumatisierung" durch den Brand. Bei Aboud B. heißt das, dass er nicht mehr schläft. Er liegt nachts hellwach, obwohl er erschöpft ist. Er hat mehr als zehn Kilo abgenommen, sein Hemd hängt lose um seinen Körper, und die Hose schlabbert. Manchmal sagt er, dass es ein Fehler war, aus Syrien geflohen zu sein. Er hat Angst, dass er seine Kinder in Deutschland nicht beschützen kann. "Wir hatten die Hoffnung auf Demokratie und auf ein Land, in dem wir Ruhe finden", sagt Aboud B. "Doch wir finden keine Ruhe."

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