Asyl-Streit:Wenn der liebe Gott ins Spiel kommt

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Darf man Familien auseinanderreißen, um die Zahl der Flüchtlinge zu begrenzen? Die Union sagt: Ja. Doch für die Grünen geht es um ein Herzensanliegen. Und da klingt selbst Jürgen Trittin religiös.

Von Constanze von Bullion und Bernd Kastner, Berlin

Wenn in der nächsten Woche die Sondierungen für eine Jamaika-Koalition im Bund beginnen, dürfte der Familiennachzug für Flüchtlinge zu harten Auseinandersetzungen führen. Die Grünen wollen bei den Gesprächen mit Union und FDP unter anderem die Forderung ganz nach vorn stellen, auch Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutz in Deutschland den Nachzug nächster Angehöriger zu erlauben. CDU und CSU halten dagegen. Der Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidiären Schutz soll nach ihrem Willen auch weiter ausgesetzt bleiben. Das Thema schürt Emotionen. Und es kommt schon mal vor, dass in der Nachzugs-Diskussion einiges durcheinander geht, die Materie ist kompliziert. Wer gemäß Grundgesetz oder Genfer Flüchtlingskonvention in Deutschland als Flüchtling anerkannt ist, hat Anspruch auf den Nachzug der engsten Angehörigen, also von Ehepartner, Kindern oder von Eltern.

Der Streit um den Nachzug betrifft die Gruppe der subsidiär Geschützten. Das sind vor allem Menschen, die wegen eines Bürgerkriegs flüchten, vorwiegend also Syrer. Diese dürfen zwar fast alle in Deutschland bleiben, die Mehrzahl von ihnen - derzeit knapp zwei Drittel - bekommt aber nur noch den subsidiären Status. Dessen wichtigste Einschränkung: Der Familiennachzug ist derzeit nicht möglich.

Ein Schlupfloch gibt es: die Härtefallregel. Doch die hat bislang erst 23 Mal geholfen

Im Asylpaket II, beschlossen im März 2016 unter dem Eindruck des Andrangs an den Grenzen, wurde ins Aufenthaltsgesetz ein neuer Passus eingefügt, der den Nachzug zu subsidiär Geschützten für zwei Jahre aussetzt. Man wollte eine Überlastung der Kommunen verhindern. Konkret heißt das seither: Ein Mann, der es nach Deutschland geschafft hat, darf Frau und Kinder nicht nachholen; zu einem Minderjährigen, der allein ankam, dürfen die Eltern nicht nachreisen. In den ersten acht Monaten 2017 erhielten rund 82 000 Menschen subsidiären Schutz und 100 000 den (besseren) Flüchtlingsstatus. Ein kleines Schlupfloch hat die große Koalition für die subsidiär Geschützten gelassen, die Härtefallregelung. Eine Aufenthaltserlaubnis kann "aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen" erteilt werden. Um durch dieses Schlupfloch legal nach Deutschland zu gelangen, müssen aber so viele bürokratische Hürden überwunden werden, dass bisher kaum Visa auf diesem Wege erteilt wurden: bis Ende August gerade mal 23. Asylhelfer- und Menschenrechtsgruppen, aber auch die Kirchen halten die Aussetzung des Nachzugs für subsidiär Geschützte für nicht rechtmäßig. Zwei Fälle wurden bereits dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt, in einem entschied Karlsruhe nach Informationen der Süddeutschen Zeitung am Mittwoch. Ein 17-Jähriger, der diesen Freitag volljährig wird, hatte im Eilverfahren den Nachzug seiner Familie beantragt. Der 18. Geburtstag kann für einen Flüchtling ein fatales Datum sein, danach ist der Familiennachzug ausgeschlossen. Karlsruhe aber lehnte ab: Man könne eine so weitreichende Entscheidung nicht im Eilverfahren treffen. Hätte das Gericht dem jungen Syrer Recht gegeben, wäre der Paragraf gekippt. Inhaltlich nehmen die Richter die Verfassungsbeschwerde aber ernst: Im Hauptsacheverfahren müsste geklärt werden, ob die Regelung des Asylpakets II mit dem Grundgesetz vereinbar ist, heißt es in dem Beschluss. Die dritte Gruppe der Familien-Nachzügler sind jene, die gemäß der Dublin-Verordnung berechtigt sind. Wer es etwa bis nach Griechenland geschafft hat, wo dann sein Asylantrag bearbeitet werden müsste, darf nach Deutschland reisen, wenn hier schon jemand aus seiner Kernfamilie lebt. Doch in der Praxis verläuft dieser Nachzug bisher sehr schleppend. Knapp 5000 Flüchtlingen wurde von Januar bis Mitte September 2017 den Nachzug genehmigt, nur rund 320 Personen wurden bisher von Griechenland überstellt.

Im Tauziehen um eine Jamaika-Koalition dürfte das Thema nun eine Schlüsselrolle spielen, vor allem für die Grünen. Das Grundgesetz, so betonte die designierte Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth, stelle die Familie unter besonderen Schutz, und zwar nicht nur die deutsche, sondern jede Familie. Ex-Umweltminister Jürgen Trittin, nicht unbedingt für Gottesfurcht bekannt, warnte dieser Woche sogar, es würden "urchristliche Werte" verleugnet, wenn Flüchtlinge von der Familie getrennt blieben. Am Mittwoch motzte sein Tübinger Parteifreund Boris Palmer zurück. Es gehe nicht um urchristliche Werte, sondern um "pragmatische Politik", sagte er der Rhein-Neckar-Zeitung.

Der kleine Schlagabtausch zeigt, dass die Spannung bei den Grünen steigt, denn allen Bekenntnissen zum Trotz beginnt mit den Jamaika-Sondierungen die Zeit politischer Tauschgeschäfte. So wollen CDU, CSU und FDP in der Flüchtlingspolitik beispielsweise durchsetzen, dass die Maghreb-Staaten Algerien, Tunesien und Marokko zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden. Für die Grünen ist das unvorstellbar. Zu einem haben sie sich bereits intern über das Thema gestritten. Zum anderen droht Krach mit der Basis, wenn Nordafrikaner künftig - mit grünem Segen - schneller abgeschoben werden.

Union und FDP aber geben sich bei den Herkunftstaaten hartleibig. Sollte es dabei bleiben, dürften die Grünen versuchen, den Verhandlungspartnern im Gegenzug den Familiennachzug für subsidiär geschützte Flüchtlinge abzuhandeln. Offiziell heißt es beim grünen Spitzenpersonal zwar, einzelne Flüchtlingsgruppen dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden. Doch wie bei Koalitionsverhandlungen üblich, könnten Familiennachzug und Herkunftsstaaten Gegenstand eines Tauschgeschäfts werden.

Durch neue Zahlen, die aus dem Auswärtigen Amt kamen, sehen die Grünen sich nun in ihrer These bestätigt, der Umfang des Familiennachzugs werde überschätzt. Im Nahen Osten haben nur etwa halb so viele Menschen wie zunächst berechnet einen Antrag auf Familiennachzug gestellt.

© SZ vom 12.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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