Aserbaidschan:Es wird eine Zeit kommen, in der die Wut der Armen explodiert

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Die glänzenden Flammentürme in Aserbaidschans Hauptstadt Baku sollen das Bild einer modernen Stadt prägen.

(Foto: Getty Images for BEGOC)

Die aserbaidschanische Journalistin Khadija Ismayilova wurde erpresst, bloßgestellt und inhaftiert. Doch sie lässt sich nicht zum Schweigen bringen und recherchiert weiter.

Gastbeitrag von Khadija Ismayilova, Baku

In meinem Land ist Journalismus ein Verbrechen. Die Zahlen sprechen für sich: Unter den 158 politischen Gefangenen in Aserbaidschan befinden sich zehn Journalisten, mehr als ein Dutzend haben Reiseverbot, unabhängige Medienkanäle gibt es keine mehr. Die letzte unabhängige Nachrichtenagentur - Turan - stellte am 1. September nach der Verhaftung des Direktors, Mehman Aliyev, ihre Tätigkeit ein. Bereits im Mai hatte die Regierung kritische Webseiten im In- und Ausland gesperrt.

Friedliche Demonstranten, Journalisten und Aktivisten der Zivilgesellschaft werden angeklagt - die Vorwürfe reichen von Finanzkriminalität bis zu Drogenhandel, Terrorismus und Verleumdung. Sie zahlen den Preis dafür, die unbequeme Wahrheit zu sagen. Doch es gibt noch einen höheren Preis für Unabhängigkeit: Die Journalisten Elmar Huseynov und Rafig Tagi mussten mit dem Leben bezahlen. Andere - zu denen auch ich gehöre - wurden erpresst, mit intimen Videos, von den Geheimdiensten in privaten Schlafzimmern gefilmt.

Die Autorin

Khadija Ismayilova arbeitet als Investigativjournalistin in Aserbaidschans Hauptstadt Baku. Für ihre Recherchen über Korruption und Vetternwirtschaft hat sie zahlreiche internationale Auszeichnungen erhalten. Im Dezember 2014 wurde sie verhaftet und später zu siebeneinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Das Urteil wurde von Menschenrechtsorganisationen aus aller Welt als politisch motiviert kritisiert. Im November 2016 kam sie vorzeitig frei. Sie arbeitet unter anderem für das Recherchenetzwerk Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) und ist Mitglied des Internationalen Konsortiums Investigativer Journalisten (ICIJ).

Die sozialen Netzwerke stellen die einzige Möglichkeit für einen Informationsaustausch dar, aber diejenigen, die diese Freiheit im Internet wahrnehmen, riskieren sowohl die eigene Freiheit als auch die ihrer Familie. Die von Menschenrechtlern erstellten Listen politischer Gefangener enthalten auch Namen "politischer Geiseln" - Menschen, die nur deswegen verhaftet wurden, weil es der Regierung nicht gelungen ist, ihre Verwandten zum Schweigen zu bringen. Darunter zum Beispiel Murad Adilov, dessen Bruder Natig Adilov in Frankreich bei der TV-Sendung "Azerbaijani Hour" tätig ist.

Hinter der repressiven Politik des aserbaidschanischen Regimes steckt ein starker Beweggrund. Das Fehlen unabhängiger Medien und der Zivilgesellschaft schafft freie Bahn für Korruption. Die Regierung will um jeden Preis vermeiden, dass Aktivisten beispielsweise gegen die Zerstörung von historischen Stätten protestieren, dort, wo die Herrscherfamilie gerade ein Hotel bauen lässt, oder dass sie das Bergbaugeschäft der Familie unter die Lupe nehmen. Die Herrscherfamilie will sich keinen Fragen aussetzen - wo ihr Reichtum herkommt oder warum die öffentlichen Gelder nicht auch für die Öffentlichkeit verwendet werden. Die Korruption hat auch das Bildungs- und Gesundheitssystem gelähmt, während sich die Herrscherfamilie und ihr Gefolge auf Kosten der Bevölkerung bereichern.

Gerade diejenigen, die Aktivisten einsperren, die Bevölkerung tyrannisieren, die Zivilgesellschaft lahmlegen und einfache Leute ihrer Chancen und ihrer Freiheiten berauben, genießen völlige Straffreiheit. Sie sind frei und mächtig genug, um Repressionsmaßnahmen zu ergreifen. Sie legen ihr Geld in Demokratien an, in denen - anders als in Aserbaidschan - Eigentumsrechte geachtet werden. Sie reisen in westliche Länder und genießen eine hochwertige medizinische Versorgung, die der aserbaidschanischen Bevölkerung vorenthalten wird. Ihre Kinder besuchen Schulen im Ausland und genießen alle Vorteile der Demokratie - die Rechte, die sie einfachen Aserbaidschanern verweigern.

Keine meiner Korruptionsrecherchen, auch keine Recherche meiner Kollegen hat dazu geführt, dass die aserbaidschanische Regierung Ermittlungen aufgenommen hat. Stattdessen wurden Journalisten bestraft. Das Entführen und Zusammenschlagen von Journalisten ist in Aserbaidschan zur Routine geworden. Und trotz alledem werden diejenigen, die Journalisten die Grundfreiheiten entziehen und sie dafür bestrafen, dass sie die Wahrheit sagen, in demokratischen Ländern willkommen geheißen.

"Der Knast ist eben kein Treffpunkt für Optimisten"

Was nützt es also, die Wahrheit zu sagen? An dem Tag, an dem ich zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt wurde, wurde mir diese Frage immer wieder gestellt. "Was soll das bezwecken, was Sie machen und erleiden?" fragte der Gerichtsbedienstete. "Ganz gleich, was Sie schreiben, Sie können ja eh nichts ändern," sagte der Gefängniswärter. "Es ist alles richtig, was du machst, aber es bringt ja trotzdem nichts," sagte meine Zellengenossin immer wieder, wenn ich - trotz des Risikos in Isolationshaft zu kommen - nach Möglichkeiten gesucht habe, Geschichten aus dem Gefängnis herauszuschmuggeln. Der Knast ist eben kein Treffpunkt für Optimisten.

Die Frage, warum wir trotz aller Risiken weiterhin Kritik ausüben, ist durchaus berechtigt, denn das aserbaidschanische Volk, dessen Stimmen in den Wahlen gestohlen werden, sieht weder eine Chance auf Veränderungen noch effektive Hilfeleistung seitens internationaler Institutionen. Die Familienherrschaft scheint eine unausweichliche Realität zu sein. Nicht einmal die für 2018 geplante Wahl sehen die Aserbaidschaner als Anlass zur Hoffnung auf Veränderungen: Der jetzige Präsident ererbte die Macht von seinem Vater und ernannte seine Ehefrau zur Vize-Präsidentin, sodass sie ihn gegebenenfalls vertreten kann.

Die Wahlen in Aserbaidschan haben noch nie internationalen Standards entsprochen. Beobachtungsmissionen der OSZE haben von fundamentalen Fälschungen in den Stimmenauszählungen bei bisherigen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen berichtet. Dessen ungeachtet wird von aserbaidschanischen Fernsehsendern, den Sprachrohren des Regimes, gezeigt, wie ausländische Politiker und westliche Parlamentarier die Demokratie in Aserbaidschan rühmen. Die Heuchelei des Westens und die Verzweiflung des Volkes erinnern an die letzten Jahre des Schah-Regimes im benachbarten Iran.

Naiv sind die Aserbaidschaner nicht. Sie begreifen sehr wohl, dass es Geld kostet, wenn man westliche Politiker dazu bringen will, dem Land zu helfen. Sie begreifen auch, warum das aserbaidschanische Regime bemüht ist, die Wahrheit innerhalb und außerhalb des Landes zu verbergen.

Der Journalist und Dissident Shahvalad Chobanoglu glaubt, dass es der Regierung auf Dauer nicht gelingen wird, alle zum Schweigen zu bringen, da sich in jedem Haushalt eine Wahrheitsmaschine befindet: ein leerer Kühlschrank. Die Aserbaidschaner verstehen sehr wohl, dass der Reichtum der Oligarchen auch dazu führt, dass die Kühlschränke leer bleiben. Es wird eine Zeit kommen, in der die Wut der Armen explodiert. Es bleibt zu hoffen, dass es bald geschieht - noch bevor das Volk zu glauben beginnt, dass der Westen und das aserbaidschanische Regime gleichermaßen schuld sind.

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