Armutszuwanderung nach Deutschland:Hässlicher Stempel

Homeless Roma Face Eviction From Former Factory

Aladdin Salim, Roma aus Bulgarien: Er lebt in seiner provisorischen Unterkunft in einer alten Fabrik in Berlin.

(Foto: Getty Images)

Sie verkaufen sich als Tagelöhner, Roma-Frauen gehen anschaffen, andere versuchen als Bettler oder mit dem Kindergeld durchzukommen: Die Zuwanderung nach Deutschland bringt auch Schwierigkeiten mit sich. Unter den Deutschen spüren dies vor allem die ärmeren. Es hat ein Verdrängungswettbewerb ganz unten eingesetzt.

Ein Kommentar von Roland Preuß

Man möchte in diesen Tagen dem rumänischen oder bulgarischen Kollegen, wenn es ihn denn gäbe, die Hand geben und ihn nochmals willkommen heißen. Man könnte ihm bei der Gelegenheit sagen, dass man nicht glaubt, er arbeite in Deutschland wegen des Kindergelds, sondern weil er gute Arbeit suchte. Das wäre nur fair. Denn die jetzige Debatte um Armutszuwanderer verstellt den Blick auf diese Menschen, auf das Gute, das ihr Recht auf Freizügigkeit mit sich bringt.

Der EU-Beitritt von Rumänien und Bulgarien 2007 hat die Länder nach Jahrzehnten im Abseits wieder nach Europa geleitet, hat Hunderttausenden seiner Bürger Wohlstand und Hoffnung gegeben. Und deutschen Unternehmen viele neue Kunden und Tausende Fachkräfte beschert. Sie belasten die Sozialsysteme nicht, sie helfen, ihre Zukunft zu sichern. Der Fokus der CSU auf Armutszuwanderer verpasst den Rumänen und Bulgaren dagegen einen hässlichen Stempel.

Man muss dies laut sagen, ehe man über die Probleme spricht. Denn fernab des Getöses über Niedriglöhner und Sozialbetrüger bleibt ein Kern an Schwierigkeiten, welche die Freizügigkeit mit sich bringt. In Städten wie Duisburg, Dortmund oder Berlin-Neukölln sind sie unübersehbar. Scheinselbständige verkaufen sich als Tagelöhner, Roma-Frauen gehen anschaffen, andere versuchen als Bettler oder mit dem Kindergeld durchzukommen. Unter den Einheimischen spüren dies vor allem die ärmeren.

Die Schulen in ihren Stadtvierteln sind überfordert durch viele Zuwandererkinder, Sozialeinrichtungen überlaufen. Es hat ein Verdrängungswettbewerb ganz unten eingesetzt - um die Plätze im Obdachlosenheim, um Wohnraum, um den Termin beim medizinischen Notdienst. Der Unmut darüber lässt sich nicht abtun als statistische Ausnahme oder die Fremdenfeindlichkeit von Spießbürgern.

Ein Teil der Neuankömmlinge, eine klare Minderheit wohlgemerkt, wird auf Hartz IV angewiesen sein. Das hängt nicht nur damit zusammen, dass das hiesige Existenzminimum höher ist als zahlreiche reguläre Einkommen auf dem Balkan. Viele Zuwanderer werden chancenlos bleiben auf dem deutschen Arbeitsmarkt, ohne Deutschkenntnisse und Berufsausbildung, manche als Analphabeten. Sie werden auf Unterstützung angewiesen sein, selbst wenn sie arbeiten wollen. Diese Herausforderung lässt sich nicht allein durch 100 neue Integrationskurse oder 1000 zusätzliche Sozialarbeiter lösen.

Klare Regeln und faire Chancen

EU-Zuwanderer, die von Anfang an Unterstützung nötig haben, wollte die rot-grüne Bundesregierung bewusst vermeiden, als sie 2005 den EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens billigte. Es gab nie eine bedingungslose Freizügigkeit für EU-Bürger. EU-Recht erlaubt den Mitgliedsländern, Arbeitssuchende monatelang staatliche Stütze zu verweigern. Die Zuwanderer sollten dem Land zugutekommen.

Es ist völlig legitim, einen Nutzen für beide Seiten zu fordern - anders als bei politisch Verfolgten, bei denen dies keine Rolle spielen darf. Eine Reihe fragwürdiger Gerichtsurteile beschädigte seither diese Leitplanken der Freizügigkeit. EU-Zuwanderer gelten zum Beispiel schon dann als Arbeitnehmer mit Anrecht auf Hartz IV, wenn sie gut eine Stunde am Tag arbeiten. Solche Vorschriften verschieben das Armutsproblem, statt es zu lösen.

Gefragt sind nun die Bundesregierung und die EU. Sie müssen die Regeln der Freizügigkeit nicht neu erfinden. Doch sie sollten deren Leitplanken wieder aufrichten. Sie waren die Voraussetzung, um den umstrittenen EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens zu wagen. Klare Regeln und faire Chancen für die Zuwanderer werden das politische Getöse um die Freizügigkeit bald verschwinden zu lassen.

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