Argentinien:Millionen-Aufträge im wilden Süden

Argentinien: Für die einen eine Lichtgestalt, für die anderen schwer korrupt: T-Shirt mit dem Konterfei von Cristina Fernández de Kirchner.

Für die einen eine Lichtgestalt, für die anderen schwer korrupt: T-Shirt mit dem Konterfei von Cristina Fernández de Kirchner.

(Foto: Natacha Pisarenko/AP)

Ein Gericht klagt Ex-Präsidentin Cristina Kirchner wegen Korruption und Amtsmissbrauch an. Die wittert dahinter einen Schachzug ihre Nachfolgers Mauricio Macri.

Von Sebastian Schoepp

Sie reagierte so, wie sie es eigentlich ständig tut: mit einem Tweet. Argentiniens Ex-Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner schrieb, sie sei Opfer einer Diktatur und werde verfolgt. Die Diktatur, das sind aus ihrer Sicht ihr konservativ-liberaler Amtsnachfolger Mauricio Macri und eine ihm willig folgende Justiz, die nun wegen Korruption im Amt Anklage erhoben hat. In der Tat sind in Argentinien viele Richter und Staatsanwälte einer politischen Richtung zuzuordnen, das spiegelt die Polarisierung der Gesellschaft wider. Im Falle Fernández de Kirchners jedoch ist ein Gebäude von Anschuldigungen und wirklich großen Merkwürdigkeiten entstanden, an dem auch der gewogenste Jurist schwer vorbeikommen würde.

Es begann mit einem früheren Staatssekretär, der Säcken voller Dollar-Noten hinterherkletterte

Bundesrichter Julián Ercolini ist nicht als politischer Heißsporn bekannt. Er gilt als ein bisschen langweilig, als bedächtiger und gründlicher Arbeiter. In seinem Büro gibt es ein Foto von ihm und der Konsensgestalt Maradona, außerdem Figürchen von Batman und Edgar Alan Poe. Ercolini hat nun eine Anklage gegen Fernández de Kirchner zugelassen, die sich auf einen mehr als 800-seitigen Schriftsatz stützt. Darin wird ihr vorgeworfen, in ihrer Amtszeit an der Spitze einer kriminellen Vereinigung gestanden zu haben, der es um Bereicherung ging. Diese Vereinigung soll im Infrastrukturministerium angesiedelt gewesen sein.

Millionenschwere Aufträge im wilden Süden Argentiniens seien an einen Kirchner-Günstling vergeben worden, die Gegenleistung sei gering gewesen, so der Richter. Die Straßen im Süden seien nicht wesentlich besser geworden, stellte Ercolini fest. Der Richter könnte gegen Fernández de Kirchner nun sogar Untersuchungshaft verhängen. Das Ganze ähnelt dem Vorgehen der Justiz im Nachbarland Brasilien, wo dem früheren Präsidenten Lula da Silva ebenfalls Haft wegen Korruption droht.

Kirchner witterte sofort politische Verschwörung, das sei die typische Methode von "De-Facto-Regierungen", wenn es darum gehe, gegen Oppositionsführer vorzugehen, schrieb sie. Sollte sie verurteilt werden, drohen ihr bis zu zehn Jahre Haft, die linksperonistische Opposition hätte keine Anführerin mehr. Mit der Anklage einher ging das Einfrieren der Konten der linksgerichteten Ex-Präsidentin bis zu einer Summe von zehn Milliarden Pesos, 666 Millionen Dollar. Nach eigenen Angaben besitzt sie aber nur fünf Millionen sowie zwei Hotels. "Zehn Milliarden!", twitterte sie, das sei doch eine Fantasiezahl, damit die Presse Schlagzeilen produzieren könne. Kirchner hat die großen Zeitungen gegen sich, seit sie in ihrer Amtszeit gegen die Pressetrusts des Landes vorging.

Alles begann im Juni dieses Jahres auf sehr argentinische Art und Weise, als der frühere Staatssekretär der Kirchner-Administration, José López, dabei erwischt wurde, wie er Plastiksäcken mit neun Millionen Dollar hinterherkletterte, die er gerade über die Mauer eines Konvents geworfen hatte. Bei sich trug er eine halbautomatische Waffe. Später sagte López aus, das Geld sei nicht seines, es gehöre "der Politik", er werde sich dazu später noch äußern. Dazu hat er jetzt Gelegenheit.

López gehört zu den insgesamt 17 Leuten, gegen die Richter Ercolini vorgeht. Mit angeklagt ist Ex-Minister Julio De Vido, einer der mächtigen Männer der Kirchner-Administrationen. Er wurde 2005 Minister unter Cristinas Kirchners Vorgänger, ihrem verstorbenen Mann Néstor, und blieb es bis zum Ende der Präsidentschaft der Witwe 2015, also die komplette Epoche des "Kirchnerismus" hindurch, wie die Regierungszeit des Ehepaares genannt wird. Über seinen Tisch gingen die großen öffentlichen Aufträge.

Einer der Hauptprofiteure des Systems soll der Unternehmer Lázaro Báez gewesne sein, seit Juni in Haft. Er war ein guter Freund des Ehepaars Kirchner aus ihrer alten Heimat Santa Cruz, wo auch ihre Karriere begonnen hatte. Laut Staatsanwälten hat es einen "kriminellen Plan" zur Begünstigung von Báez und seiner Firma gegeben, Austral Construcciones, zu Deutsch in etwa "Südbau". Sie soll 3,3 Milliarden Dollar für Straßenbau in Patagonien erhalten haben, die Preise seien zum Teil bis zu 50 Prozent überhöht gewesen. Báez, der einfacher Bank-Kassierer gewesen war, wurde Multimillionär.

Schon 2008, als Kirchner noch regierte, wurde der erste Verdacht laut. Die Abgeordnete Elisa Carrió, eine der lautstärksten Kritikerinnen des Kirchnerismus, zeigte Báez an. Jetzt twitterte sie: "So viele Jahre mussten wir warten, nun wird endlich begonnen, Gerechtigkeit zu üben. Das ist unsere Sache!" Ex-Minister De Vido hingegen schrieb auf Facebook: "Das Verfahren nützt ohne Zweifel dem Präsidenten, der eine Entschuldigung sucht, um die gewaltige Wirtschaftskrise zu rechtfertigen."

Der Politikwissenschaftler Marcelo Bermolén von der Universidad Austral in Buenos Aires sieht es ähnlich: "Die Stärke der Regierung liegt im Moment darin, Kirchners Ruf zu beschädigen, sodass es immer jemanden zum Beschuldigen gibt", sagte er der New York Times. Der Analyst Sergio Berensztein hingegen ist der Meinung, Kirchner stilisiere sich als Opfer.

Kirchner hat noch viele Anhänger. Sollte sie in Haft kommen, könnte das unkalkulierbare Folgen haben

In der Tat läuft es nicht gut für Präsident Macri. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, seine Sparmaßnahmen treffen die Armen und Ärmsten, die sich nach dem Kirchnerschen Wohlfahrtsstaat zurücksehnen, den Macri demontiert. Die Inflation ist zweistellig, Macri bekommt sie nicht in den Griff; eher eine Verzweiflungstat war nun die Entlassung seines zuvorigen Kabinett-Stars, des Finanzministers Alfonso Prat-Gay, ein früherer J.-P.-Morgan-Mann. Und Macri hat selbst einen Korruptionsverdacht am Hals, gegen ihn wird nach Enthüllungen im Zusammenhang mit den Panama Papers wegen Steuerhinterziehung ermittelt.

Sollte Kirchner, die noch sehr viele Anhänger hat, eingesperrt werden, könnte das "unkalkulierbare politische Folgen haben" in dem polarisierten Land, schreibt die Zeitung El País. Der Linksperonismus, dem Kirchner entstammt, hat noch immer gewaltige Mobilisierungskräfte, auch wenn ihre Popularität stark gelitten hat. Dass sie von der ganzen Affäre gar nichts wusste, wollen ihr nur ganz treue Anhänger abnehmen. Dazu kommt, dass gegen Kirchner noch ein zweites Verfahren läuft. Dabei geht es um dubiose Devisengeschäfte zum Nachteil des Landes.

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