ARD-Wahlarena:Alles sehr deutsch

Martin Schulz And Jean-Claude Juncker Face Off In TV Debate

Die beiden Spitzenkandidaten für die Europawahl, Martin Schulz (SPE) und Jean-Claude Juncker (EVP), vor dem Publikum der ARD-Wahlarena am Hamburger Hafen. Eine wirkliche Debatte kam nicht auf.

(Foto: Getty Images)

Kein Funken von echter Debatte, kleinliche und unflexible Moderatoren: Diese ARD-Wahlarena war eine Beleidigung für Europa, das die Kunst des argumentativen Schlagabtauschs sonst munter pflegt. Rein rhetorisch gesehen, gibt es einen klaren Sieger des Abends.

Die Kandidaten im Rhetorik-Check. Von Johan Schloemann

Zunächst einmal die schlichteste, aber wichtigste Feststellung in Bezug auf eine "europäische Öffentlichkeit": In Sachen Fernsehdemokratie macht Deutschland alle anderen EU-Länder platt. Was das deutsche Fernsehen mit den Kontrahenten Jean-Claude Juncker und Martin Schulz alles veranstaltet, funktioniert so in fast keinem anderen Land Europas. Das hat einen einfachen Grund: Juncker und Schulz sprechen nun mal zufällig sehr gut Deutsch. Als der Moderator Jean-Claude Juncker bei der ARD-Sendung am Hamburger Hafen gönnerisch für sein gutes Deutsch lobt, antwortet Juncker treffend: Was bleibe ihm auch übrig, die Deutschen könnten halt sehr schlecht Luxemburgisch.

Diese deutsch-europäische "Wahlarena" hatte also von vornherein einen gespenstischen Charakter - es waren ja auch nur deutsche Wähler als Fragesteller ausgewählt. Der Ablauf des Abends hat dann wenig daran ändern können. Zwar gab es durchaus engagierte und informierte Bürgerfragen, aber die sogenannte Townhall hatte leider zwei überaus unbeholfene Moderatoren, die frühere "Monitor"-Frontfrau Sonia Seymour Mikich und NDR-Chefredakteur Andreas Cichowicz. Die beiden verhielten sich kleinlich, unflexibel, fahrig und plump. Aus europäischer Perspektive könnte man sagen: Sie verhielten sich, trotz ihrer international klingenden Namen, sehr deutsch.

  • Kein Funken von echter Debatte. Ein allgemeines Problem des EU-Wahlkampfs, das sich auch bei dieser Diskussion wieder zeigte: Es war extrem vorhersehbar, was beide Kandidaten sagen würden, denn sie sagten im wesentlichen zu allem dasselbe. Beide sind prinzipiell für Datenschutz, Arbeitsplätze und Frieden. So kam kein Funken von echter Debatte auf, schon gar nicht der Kandidaten untereinander. Eigentlich war diese "Wahlarena" eine Beleidigung für jede amerikanische Townhall, auf deren Vorbild das Format anspielt. Die Sendung war aber auch eine Beleidigung für Europa, welches die Kunst des argumentativen Schlagabtauschs in seinen Akademien, Gerichtssälen und Parlamenten immer munter gepflegt hat. Selbst beim Thema Flüchtlingspolitik konnte keine richtige Kontroverse entstehen. Dabei sind sich Schulz und Juncker in dieser Frage uneinig, wie man bei ihrem TV-Duell Anfang des Monats sehen konnte. Der Versuch, mit einem dialogischen Format Bürgernähe zu demonstrieren, ging damit nach hinten los.
  • Rein rhetorisch war Jean-Claude Juncker der Sieger des Abends. Er klang realistischer, er hatte, wiewohl kein Muttersprachler, die plastischere Ausdrucksweise, und er war der Einzige, bei dem Humor zum Vorschein kam. Juncker brachte eine Reihe von prägnanten Sprüchen mit, zum Beispiel: "Die Amerikaner müssen auch mal hinhören, nicht nur abhören." Und er beharrte, sehr erfrischend, auf der Eigenlogik politischer Prozesse, die eben auch mal kompliziert sind, zumal in Europa. Zur Frage, ob der Europäische Rat öffentlich tagen solle, brachte Juncker eine brillante Antwort: Er ist für Vertraulichkeit bei den EU-"Gipfeln", aber auch dafür, dass sich nachher nicht alle Regierungschefs ihr eigenes Sitzungsergebnis zurechterzählen und sich vor ihrem nationalen Publikum als "Gewinner" darstellen. Gewinnen könne Europa nämlich nur gemeinsam. Das war zumindest eine starke Behauptung. Einmal zeigte Juncker allerdings auch das kalte Antlitz des Technokraten, als er davon sprach, das "Zurückführen" von Flüchtlingen von den Außengrenzen der EU müsse besser "kofinanziert" werden.
  • Schulz redete viel zu schnell. Nicht, dass der Sozialdemokrat Martin Schulz kein furchtloser Debatteur wäre. Aber irgendwie entkommt auch Schulz mit all seiner Leidenschaft nicht der Fleischlosigkeit europäischer Politik. Schulz war in der Wahlarena stets "dankbar" für alle Fragen, musste aber immer wieder auf die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten verweisen, etwa in der Gesundheitspolitik. Auch redete Schulz viel zu schnell, was nicht den Eindruck nährt, dass europäische Spitzenpolitiker sich dem Volk verständlich machen wollen. Wörter wie "Jugendarbeitslosigkeit" feuert er in Sekundenbruchteilen ab und verschluckt dabei die Hälfte der Silben.

Der Zuschauer der Wahlarena fragt sich: Kann man den Spitzenkandidaten glauben, dass sie ihre schön vorgetragenen Überzeugungen jemals auch durchsetzen können? Das ist natürlich bei jeder demokratischen Wahl ein Problem, aber auf europäischer Ebene stellt es sich verschärft. Denn niemand versteht so recht, wer da eigentlich wem verantwortlich ist.

Am Ende haben Juncker und Schulz dann drei Wünsche für Europa frei. Sie liefern dürre, visionslose Antworten, die vor allem eines zeigen: ihre Machtlosigkeit. Das lässt Europa, auch an diesem Fernsehabend, viel schwächer aussehen, als es ist.

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