Arbeitsrecht:Wie der Staat Streiks regeln könnte

Kita-Streik - Demo in Köln

Streiken nach Regeln: Verfassungsrechtlich ist das möglich.

(Foto: dpa)
  • Streiks in Deutschland treffen fast ausschließlich den Dienstleistungssektor - und damit auch unbeteiligte Bürger.
  • Arbeitsrichter fordern deshalb gesetzliche Streikregeln. Verfassungsrechtlich wären sie mit dem Streikrecht vereinbar.
  • Vorsichtige Streikregeln könnten zum Beispiel sein: ein Schlichtungsversuch vor der Arbeitsniederlegung oder die Pflicht, Streiks mehrere Tage im Voraus anzukündigen.

Von Wolfgang Janisch

Wirklich beruhigend sind die Nachrichten von der Streikfront auch zu Pfingsten nicht. Immerhin, Deutsche Bahn und Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) haben, nach neun Streikrunden, eine maximal vierwöchige Schlichtung vereinbart. Allerdings schwelt zugleich der Streit der Bahn mit der GDL-Konkurrenz EVG, der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft. Man hat sich auf Mittwoch vertagt. Derweil soll der Kita-Streik nächste Woche fortgesetzt werden - unbefristet. Und schließlich: Verdi gegen Deutsche Post, es geht um die Aufteilung des Personals in eine Stamm- und eine Billigbelegschaft. Noch keine Einigung, weitere Streiks möglich.

Deutschland ist - gefühlt, wie man so sagt - ein Streikland geworden. Statistisch ist das zwar nicht so, bei den streikbedingten Ausfalltagen liegt Deutschland im internationalen Vergleich im hinteren Mittelfeld. Pro 1000 Arbeitnehmer waren es im Schnitt des letzten Jahrzehnts 16 Tage - im Vergleich zu 66 in Spanien, 135 in Dänemark, 139 in Frankreich. Dass das Gefühl der Streikbetroffenen dennoch nicht trügt, zeigt eine andere Zahl: Vergangenes Jahr waren mehr als 97 Prozent aller Ausfalltage dem Dienstleistungssektor zuzuordnen. Gestreikt wird immer öfter auch dort, wo es unbeteiligte Bürger trifft.

Streiktage

"Wir haben keine gesetzlichen Leitplanken"

Kaum verwunderlich also, dass nun der Ruf nach dem Gesetzgeber laut wird: "Wenn es neun Streikrunden ohne Annäherung gibt, dann muss man schon über Regelungen nachdenken", sagt Gregor Thüsing, Professor für Arbeitsrecht in Bonn. "Wir haben keine gesetzlichen Leitplanken", klagt Joachim Vetter, Vorsitzender des Berufsverbands der Arbeitsrichter. Denn im Streikfall müssten die Arbeitsgerichte unter großem Zeitdruck komplizierte Abwägungen vornehmen, im Dreieck zwischen Streikrecht, Unternehmensinteressen und den Belangen der Allgemeinheit. "Die Arbeitsrichter fühlen sich allein gelassen."

Nun weiß man längst, warum das so ist. Kein Gesetzgeber hat es bisher gewagt, beim Streikrecht die Machtprobe mit Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden zu suchen. Stattdessen hat der Bundestag am Freitag das Tarifeinheitsgesetz verabschiedet. Dahinter steckt der - vom Deutschen Gewerkschaftsbund unterstützte - Versuch, kleine Gewerkschaften an den Rand zu drängen. Den Streik als Kampfmittel wollte und wird man damit nicht wirklich einschränken, der Arbeitsrichterverband fürchtet eher das Gegenteil: Spartengewerkschaften müssten nun erst recht um Mitglieder kämpfen. Und dass man ihnen wegen ihrer Minoritätsposition im Betrieb einen Streik verbieten könnte, daran glaubt auch Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger nicht: In einem Eilverfahren innerhalb von Stunden die größere Gewerkschaft zu ermitteln sei unpraktikabel.

Streiks müssen wehtun

Dabei wäre, verfassungsrechtlich gesehen, das Feld offen für echte Streikregeln - Karlsruhe attestiert dem Gesetzgeber ausdrücklich einen "weiten Handlungsspielraum". Er sei nicht gehindert, "die Rahmenbedingungen von Arbeitskämpfen zu ändern, sei es aus Gründen des Gemeinwohls, sei es, um die gestörte Parität wieder herzustellen", urteilte das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1995.

Das klingt, als wäre es für die GDL geschrieben. Wenn Millionen Bahnreisende auf der Strecke bleiben, dann ist das "Gemeinwohl" stärker betroffen als beim Arbeitskampf am Fließband des Autoherstellers. Der Bonner Professor Thüsing hat bereits vor drei Jahren mit seinen Kollegen Christian Waldhoff und Martin Franzen einen Entwurf für die "Daseinsvorsorge" formuliert, vom Verkehrswesen über die Kinderbetreuung bis zur Telekommunikation. Zentral sind der Schlichtungsversuch vor der Arbeitsniederlegung - und eine Vorwarnpflicht. Streiks müssten vier Tage im Voraus angekündigt werden, mit Zeit, Ort und Dauer. Beispiele dafür finden sich in Italien und Frankreich - also in den Ländern, für die Streiks typisch sind wie Espresso und Foie gras. In Frankreich gibt es Ankündigungsfristen und Verhandlungspflichten, auch Italien hat im Jahr 1990 den Streiks enge Grenzen gezogen - ein tagelanger Bahnstreik wäre, zumindest rechtlich, nicht zulässig. Für die Sommerferien gilt dort sogar Streikverbot.

Vorsichtige Regeln wären also möglich - solange sie mit der "Koalitionsfreiheit" vereinbar sind, dem Grundrecht der Gewerkschaften. Dazu gehört freilich, dass Streiks wehtun müssen. Es sei ihr Wesen, "durch Zufügung wirtschaftlicher Nachteile Druck" auszuüben, schrieb das Bundesverfassungsgericht 1995 und bemerkte dazu: "Grundsätzlich ist es den Tarifvertragsparteien selbst überlassen, ihre Kampfmittel den sich wandelnden Umständen anzupassen, um dem Gegner gewachsen zu bleiben." Für den Wandel der Umstände sind eben auch die Arbeitgeber verantwortlich: Viele schneidern sich ihre Betriebe auf Kosten ihrer Beschäftigten zurecht. Wie die Post.

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