Arbeitsrecht:Kündigung wegen Kopftuch

Berufemesse 'Chance' in Halle

Eine Frau mit Kopftuch informiert sich in Halle an einem Messestand.

(Foto: Sebastian Willnow/dpa)

Dürfen Arbeitgeber die Verhüllung verbieten? Am Europäischen Gerichtshof haben nun zwei Generalanwältinnen plädiert - einig sind sie sich nicht.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Wer glaubt, die Gerichte hätten zum Thema Kopftuch nun wirklich schon alles gesagt, was zu sagen ist, den wird ein Blick nach Luxemburg eines Besseren belehren. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) steht vor einer grundlegenden Entscheidung zur Frage, ob das Kopftuch am Arbeitsplatz erlaubt werden muss. Oder ob der Betrieb - etwa, weil er offen bekennende Musliminnen für geschäftsschädigend hält - ein Verbot aussprechen darf. Weil die Arbeitswelt prägend für den Alltag ist, dürfte der Spruch der Europarichter entscheidend dafür sein, wie sichtbar das Kopftuch als religiöses Symbol im öffentlichen Leben bleibt. Wie das Gericht voraussichtlich im Herbst in den beiden Parallelverfahren entscheiden wird, ist offen. Denn die Schlussanträge - oft als Vorentscheidung angesehen - könnten kaum gegensätzlicher sein.

Im ersten Fall hat die Rezeptionistin eines belgischen Sicherheitsdienstes gegen eine Unternehmensregel geklagt, die jegliche sichtbare religiöse, politische und philosophische Zeichen am Arbeitsplatz untersagte. Generalanwältin Juliane Kokott plädierte Ende Mai für die Zulässigkeit eines solchen Verbotes. Zwar sei eine Abwägung im Einzelfall notwendig, bei der etwa die Auffälligkeit des Symbols oder die "nationale Identität" des laizistischen Landes Belgien in Rechnung gestellt werde. Letztlich läuft ihre Argumentation aber auf den zentralen Satz hinaus, eine Unternehmenspolitik der weltanschaulichen Neutralität sei ein legitimer Grund für ein Verbot.

An diesem Mittwoch hat nun Generalanwältin Eleanor Sharpston ihre Empfehlung für den EuGH vorgelegt - und die Britin ist ganz anderer Meinung als ihre deutsche Kollegin. Geklagt hat die Mitarbeiterin eines französischen IT-Unternehmens, die auch bei den gelegentlichen Kundenkontakten nicht auf ihr Kopftuch verzichten wollte. Nachdem sich ein Kunde beschwert hatte, schickte ihr der Arbeitgeber einen Kündigungsbrief, nicht ohne zu beteuern, fachlich sei sie sehr geeignet für den Job. Die Generalanwältin sieht darin eine unmittelbare Diskriminierung. Religiös motivierte Bekleidung dürfe nur unter engen Voraussetzungen untersagt werden: zum Beispiel der Turban des Sikh in Betrieben mit Helmpflicht oder eben das lose um Kopf und Nacken gelegte Tuch an gefährlichen Maschinen. Dass aber die klagende Projektingenieurin ihre Aufgaben nicht wahrnehmen könne, nur weil sie ein islamisches Kopftuch trage, sei nicht ersichtlich.

Anders als bei den Kopftuch tragenden Lehrerinnen - Thema vieler Prozesse - geht es dieses Mal also nicht um staatliche Neutralität, sondern um den Konflikt zwischen individueller Religionsfreiheit und geschäftlichen Interessen. In einer Zeit wachsender Islamfeindlichkeit wird das oft auf die Frage hinauslaufen: Darf ein Arbeitgeber Musliminnen mit Kopftuch entlassen, weil er fürchtet, sein Geschäft könnte Schaden nehmen? Zwar stellt auch Generalanwältin Kokott klar, Kopftuchverbote könnten natürlich nicht durch eine islamfeindliche "corporate identity" gerechtfertigt werden, auch nicht durch die Wünsche von Kunden, doch bitte nicht von Angehörigen bestimmter Religionen bedient zu werden. Vielmehr will sie so eine Art BetriebsLaizismus erlauben, eine Unternehmenspolitik der völligen religiösen und weltanschaulichen Neutralität. Freilich ist vorhersehbar, dass Arbeitgeber unlautere Motive dann eben mit dieser Neutralität tarnen.

Generalanwältin Sharpston hält zwar Dresscodes für zulässig, etwa Uniformen, wie man sie von Flugbegleitern oder Paketzustellern kennt. Dann könne aber allenfalls die farbliche Anpassung des Kopftuchs verlangt werden. Im Zweifelsfall "sollte das unternehmerische Interesse an der Erzielung maximaler Gewinne dann meines Erachtens hinter dem Recht des einzelnen Arbeitnehmers, seine religiösen Überzeugungen zu bekennen, zurücktreten".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: