Arbeitskampf:Zu Lande und in der Luft

2015 war das Jahr des Ausstandes. Bahn, Kitas, Lufthansa - noch nie ist in Deutschland so viel gestreikt worden. Die Zuspitzung hat einen Grund.

Von Detlef Esslinger

In Deutschland ist im vergangenen Jahr so viel gestreikt worden wie schon lange nicht mehr. Es gab zusammengezählt mehr als zwei Millionen Streiktage, fast 400 000 mehr als im Jahr zuvor. Das ist das Ergebnis der Arbeitskampfbilanz 2015, die das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung am Donnerstag veröffentlichte. Demnach haben sich im vergangenen Jahr auch weitaus mehr Beschäftigte an Streiks beteiligt als im Vorjahr. Die Bilanz weist 1,1 Millionen Streikende aus. 2014 waren es bloß 345 000. Die Hans-Böckler-Stiftung gehört zum Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB).

Die Zahlen sind jedoch nicht als Beleg für eine generelle Verschärfung von Tarifauseinandersetzungen zu verstehen. Denn die Steigerung beruht darauf, dass es im vergangenen Jahr zwei Konflikte gab, in denen die Beschäftigten besonders oft und besonders lange die Arbeit niederlegten: im Sozial- und Erziehungsdienst der Kommunen sowie bei der Post. 1,5 Millionen der zwei Millionen Streiktage entfielen auf sie. Hinzu kam eine breite Warnstreikwelle im Frühjahr in der Metall- und Elektroindustrie. Die Öffentlichkeit nahm darüber hinaus die Streiks bei der Bahn und bei der Lufthansa besonders wahr. Hier wurde zwar eine relativ große Wirkung erzielt, dies aber von relativ wenig Streikenden - daher schlugen sich diese Streiks in der Arbeitskampfbilanz kaum nieder.

Nach Einschätzung des WSI ist es unwahrscheinlich, dass es in diesem Jahr erneut zu Streiks in ähnlichem Ausmaß kommen wird. Denn längere Großkonflikte zeichnen sich zumindest bisher nicht ab. Allerdings könne sich "erneut eine hohe Zahl an Streikenden" ergeben, schreiben die WSI-Statistiker - weil in diesem Frühjahr die Tarifrunden von Bund und Kommunen sowie der Metall- und Elektroindustrie zusammentreffen. Beide Tarifrunden werden so gut wie nie abgeschlossen, ohne dass es vorher zu Warnstreiks kommt. Verdi und IG Metall sehen darin ein Instrument der Mitgliederwerbung.

Verglichen mit anderen Ländern wurde allerdings auch im vergangenen Jahr in Deutschland wenig gestreikt. Pro 1000 Beschäftigte fielen hier 15 Arbeitstage aus. In Frankreich waren es 132, in Dänemark 124, in Kanada 110, in Spanien 63. Vor allem in Dänemark und Kanada erhöhen Aussperrungen durch die Arbeitgeber das Arbeitskampfvolumen.

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