Arbeitseinkommen:Deutsche Lastenträger

In kaum einem anderen Land müssen die Bürger so hohe Steuern und Abgaben zahlen. Das ist langfristig eine Gefahr für Wirtschaft und Staat. Höchste Zeit, dass sich die Politik des Problems annimmt.

Von Henrike Roßbach

Zu den Spitzenreitern zu gehören, ist eine feine Sache. In der Bundesliga zum Beispiel oder in den Bestseller-Listen des Buchhandels. Es gibt aber auch Tabellen, in denen möchte man lieber nicht allzu weit oben auftauchen. Eine solche Liste zeigt, dass Deutschland seine Bürger so stark mit Steuern und Sozialabgaben belastet wie kaum ein anderes Land. Das geht aus Zahlen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervor. Nur Belgien zieht etwa Singles noch mehr Geld von ihrem Arbeitseinkommen ab als Deutschland. Selbst Alleinverdiener-Familien werden nur in wenigen anderen Industrieländern mehr zur Kasse gebeten.

Klar, den Steuer- und Abgabenmilliarden stehen Leistungen des Staates gegenüber: die Sicherheit des Landes, eine funktionierende Infrastruktur von Straßen bis zur Telekommunikation, Bildung, Forschung, Gesundheit, Rente, Pflege. All das lässt sich nur finanzieren, wenn die Bürger ihren Beitrag leisten.

Trotzdem bringt eine hohe Belastung von Arbeitseinkommen Probleme mit sich. Zunächst einmal verringern die Abzüge schlicht die Möglichkeiten der Bürger, selbst zu entscheiden, was mit ihrem Geld geschieht. Viele Menschen empfinden es als Glück, frei über ihr Einkommens verfügen zu können. Und was alle zusammen ausgeben, wird zum gesamtwirtschaftlichen Konsum, der, wenn er kräftig ist, der Volkswirtschaft guttut. Auch fürs Alter vorzusorgen, ein Haus zu bauen oder die Ausbildung der Kinder zu bezahlen, fällt leichter, wenn mehr Geld auf dem Konto ankommt.

Außerdem sind Sozialabgaben nicht nur ein Minus auf dem Gehaltszettel der Arbeitnehmer, sondern auch Kosten für die Arbeitgeber, die das Sozialsystem mitfinanzieren. Der Unterschied zwischen dem, was ein Angestellter eine Firma inklusive Sozialbeiträgen kostet, und dem, was diesem Angestellten am Monatsende aufs Konto überwiesen wird, ist groß: Deutschland wird hier nur von Belgien übertroffen, jedenfalls bei Singles. Die Arbeitgeber klagen schon heute über diesen Teil der Arbeitskosten. Besonders empört sind sie über die Pläne der Regierung, die Unternehmen wieder zur Hälfte an den Krankenkassenbeiträgen zu beteiligen. Die OECD-Zahlen zeigen allerdings auch, dass Arbeitgeber in vielen anderen Industriestaaten eine deutlich höhere Abgabenlast tragen müssen.

Steuern und Abgaben sind hoch. Die Akzeptanz dafür bröckelt mit den Brücken

Die Akzeptanz von Abgaben und Steuern steht und fällt mit ihrer Verwendung. Wenn Schulen in schlechtem Zustand und Kita-Plätze nicht ausreichend vorhanden sind, wenn Brücken bröckeln, Facharzttermine Mangelware und die Zustände im Pflegeheim traurig sind, wächst die Unzufriedenheit der Bürger. Hinzu kommen Fragen der Gerechtigkeit: Wer zahlt wie viel? Lohnt sich Anstrengung? Warum ist ein Teil der Bevölkerung ausgenommen von der Finanzierung der gesetzlichen Rente oder des Gesundheitswesens?

Im Hintergrund lauert noch eine ganz andere Gefahr. Zwar ist das viel beschworene Ende der Arbeit derzeit nicht in Sicht. Aber künstliche Intelligenz, Automatisierung und Digitalisierung eröffnen neue Möglichkeiten, Menschen durch Maschinen zu ersetzen. Ein Steuer- und Sozialsystem, dessen Fundament Abgaben auf Arbeit bilden, wird dadurch bedroht. Es ist eine zentrale Aufgabe der Politik, dieses System fürs digitale Zeitalter zu wappnen.

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