Arabische Welt im Umbruch:Was der Westen jetzt tun muss

Die Risiken einer Intervention sind groß - doch Libyens Bürgerkrieg zeigt, dass es mit Sympathie für die Rebellen allein nicht getan ist. Wer den Ruf der Araber nach Freiheit nicht unterstützt, sitzt bald wieder mit Gaddafi im Beduinenzelt.

Tomas Avenarius

Das Wort Revolution hat historisches Gewicht: Der französische Ständestaat musste 1789 der Forderung nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit weichen. In Russland ließ Lenin 1918 auf seinem Weg zur klassenlosen Gesellschaft den Zaren und seine Familie erschießen. Ajatollah Chomeini vertrieb 1979 den Schah von Persien und führte den islamischen Gottesstaat ein.

Libya unrest

Rebellen feierten zu Beginn der Revolte schnelle Siege, jetzt rufen sie den Westen um Hilfe. Die Regierungen in Amerika und Europa müssen andeln - doch die Risiken einer Intervention sind gewaltig.

(Foto: dpa)

Die Sache hat also ein klare Bedeutung: Revolution heißt Umsturz des bestehenden politischen Systems und Errichtung einer neuen Gesellschaftsordnung. Das Staatswesen, das dem Aufstand folgt, ist aber häufig so unerfreulich wie das alte. Das galt für die Sowjetunion ebenso wie für Chomeinis Prediger-Staat. Selbst in Frankreich löste der Umsturz seine Versprechen mit Verzögerung ein. Erst kam der blutige Terror, dann krönte sich Napoleon zum Kaiser und überzog Europa mit Krieg. Frankreich wurde spät zu der funktionierenden Demokratie, die sich die Revolutionäre anfangs gewünscht hatten.

Warum sollten Revolutionen in der arabischen Welt anders verlaufen? In Tunesien und Ägypten hat das Volk nach Freiheit gerufen, ist gegen Autokraten auf die Straße gegangen. Nach wochenlanger Gewalt gegen die Protestierenden griff die Armee ein; die tunesischen und ägyptischen Generäle setzten die Machthaber ab. Seitdem versuchen sich die Offiziere an einem Balanceakt, bei dem die vom Volk geforderten Reformen und der Fortbestand des bestehenden Pfründesystems sich die Waage halten - und zugleich der Erhalt des Staates garantiert ist. Auch in anderen arabischen Ländern bleibt der Ausgang offen. In Bahrain und Jemen demonstrieren die Menschen seit Wochen, aber König und Präsident weichen nicht. In Saudi-Arabien beginnen die Proteste, ob eine Massenbewegung entsteht, wird sich zeigen.

Vorbild Demokratie

Dramatisch entwickelt sich der Aufstand in Libyen: Was als friedlicher Protest gegen den seit 42 Jahren herrschenden Diktator Muammar al-Gaddafi begann, weitet sich zum Krieg aus. Der Despot, Erfinder der volksfreien Volksherrschaft, setzt gegen die Aufständischen seine Panzer, Schiffe und Flugzeuge ein. Die militärisch unerfahrenen Rebellen wollten in die Hauptstadt Tripolis marschieren, sie blieben in Gaddafis Bombenhagel stecken. Keiner kann sagen, wie es weitergeht: Vom Sturz des Gewaltherrschers über ein Massaker an den Aufständischen bis hin zum Bürgerkrieg und dem Zerfall Libyens ist alles möglich.

Trotz aller Unterschiede haben die arabischen Revolutionen den Ruf nach Selbstbestimmung gemeinsam, waren sie alle zu Anfang friedlich. Was ihnen zu echten Revolutionen noch fehlt, ist die Ausformung eines politischen Systems, welches das alte ersetzen soll: Der Sturz der Diktatur garantiert noch keine Demokratie, und der westliche Parteienstaat ist nicht die einzig mögliche Staatsform. Viele Araber mögen bei den Vorbildern an die USA oder Deutschland denken. Andere meinen, dass ein stärker islamisch geprägtes System geeigneter wäre für ihren Kulturkreis. Wenn bei freien Wahlen das Volk zustimmt, ist dagegen nichts zu sagen - solange das Volk sich wieder umentscheiden kann. Nicht jeder islamisch geprägte Staat muss eine Diktatur im Namen Gottes sein.

So bleibt ungewiss, wozu die gerade erst beginnenden Umbrüche in der arabischen Welt führen. Es mag Demokratien nach westlichem Muster geben oder islamisch-demokratische Gesellschaftssysteme, aber auch Militärdiktaturen oder Bürgerkriege. Die westlichen Regierungen haben auf all das wenig Einfluss. Sie wurden von der Wucht der Aufstände ebenso überrascht wie die Machthaber in Kairo, Tunis oder Tripolis.

Arabiens Diktatoren, Könige und Emire waren jahrzehntelang dienstbare Militärpartner, mit denen man zugleich ertragreiche Geschäfte machte. Nun sind sie Wackelkandidaten ohne Zukunft. Also unterstützen Washington, Paris und Berlin notgedrungen die Freiheitsbewegungen in Kairo und Tunis. Und hoffen, dass es irgendwie gut werden wird mit der Revolution.

Die Risiken einer Intervention sind gewaltig

Libyen aber beweist, dass es mit Sympathie und Zusehen allein nicht getan ist. Europäer, Amerikaner und die anderen arabischen Staaten stehen vor der Wahl, dem mutmaßlich bevorstehenden Massaker an den libyschen Rebellen tatenlos zuzusehen oder den Aufständischen militärisch zur Seite zu springen. Noch schinden die Staats- und Regierungschefs Zeit, verschanzen sich hinter den Analysen ihrer Geheimdienstler.

Gaddafi, sagen die, dürfte die Oberhand behalten im Kampf gegen die Aufständischen. Also greifen die ratlosen Staatsführer in die diplomatische Klamottenkiste: Sie richten moralische Appelle an einen von allen moralischen Erwägungen unberührten Despoten. Sie verhängen Sanktionen, die diesem bestenfalls nach Monaten wehtun werden. Sie drohen mit dem militärischen Knüppel und fügen hinzu, dass sie ihre Kampfjets jeden Moment starten lassen könnten - dies aber vorerst nicht tun werden.

Das macht auf einen Mann wie Gaddafi wenig Eindruck. Die leeren Drohungen nützen ihm vielmehr. Er kann die Aufständischen zusammenschießen lassen und sich der anderen Hälfte seines Volks blutbesudelt als Vaterlandsverteidiger präsentieren - als Schutzherr vor ausländischen Öl-Imperialisten und ihren libyschen Handlangern.

Statt pathetischer Alleingänge braucht es Konsens

Den schlimmsten Fehltritt in diesem unübersichtlichen Szenario hat Präsident Nicolas Sarkozy begangen. Der Franzose hat die Rebellenregierung im Alleingang anerkannt und vom Einsatz der Luftwaffe schwadroniert. Sein Vorpreschen konterkariert den Anspruch auf uneigennützige Hilfe für die Aufständischen: Frankreich war Kolonialmacht in Nordafrika, fühlt sich bis heute als Mentor des Maghreb. Einen Nato-Militäreinsatz aber kann es nur geben ohne nationale Agenda und unter dem Schirm der Vereinten Nationen, unterstützt dazu von Arabischer Liga, Afrikanischer Union und EU. Statt pathetischer Alleingänge braucht es einen Konsens. Und das sehr schnell.

Libyens Aufständische hatten zu Beginn der Revolte erklärt, dass sie sich jede ausländische Einmischung verbäten. Jetzt rufen sie um Hilfe. Wenn Gaddafi sein Volk weiter abschlachtet, werden Amerikaner und Europäer am Ende eingreifen müssen. Der eigene moralische Anspruch und die in der modernen Mediengesellschaft stets präsente Mitsprache von Menschenrechtlern, Kirchen und sonstigen nicht-staatlichen Kräften erlauben es nicht, dass in Libyen Tausende sterben, während die Politiker auf der anderen Seite des Mittelmeers zuschauen.

Wenn der Westen sich einmischen muss, täte er gut daran, seine Werte hochzuhalten und die der anderen zu respektieren. Ein Flugverbot über Libyen ist das eine, die strikte Nichteinmischung in die Errichtung des Nach-Gaddafi-Staats das andere. Die Risiken einer Intervention sind gewaltig. Aber die aufständischen Araber verbindet ein fundamentaler Wert mit den Menschen im Westen: der Ruf nach Freiheit. Wer diesen Anspruch nicht einlösen will, wird sich in fünf, sechs Jahren mit Gaddafi in seinem Beduinenzelt wiederfinden.

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