Anwaltsdebatte über NSU-Prozess:Linke Anwältin gegen Zschäpe-Verteidigerin

Anja Sturm im Oberlandesgericht München.

Anja Sturm, 43, verteidigt Beate Zschäpe, weil sie möchte, dass diese "ein faires Verfahren bekommt, das von keiner Seite instrumentalisiert wird".

(Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Die politische Komponente des NSU-Prozesses sorgt auch unter Anwälten für hitzige Debatten. Bei einer Veranstaltung der Initiative bayerischer Strafverteidiger diskutieren Zschäpe-Verteidigerin Sturm und die Nebenklage-Vertreterin Lunnebach - und repräsentieren dabei vollkommen verschiedene Berufsauffassungen und Anwalts-Generationen.

Von Tanjev Schultz

So muntere Diskussionen über links und rechts und über das Selbstverständnis einer Berufsgruppe erlebt man selten. Es geht sehr lebhaft und kontrovers zu bei einer Veranstaltung der Initiative bayerischer Strafverteidiger, die am Dienstagabend in München ein brisantes Thema auf der Tagesordnung hat: den NSU-Prozess. Die zentrale Frage: Kann man, darf man, würde man (mutmaßliche) Rechtsextremisten verteidigen?

Auf dem Podium sitzt nicht nur Anja Sturm, die im NSU-Prozess Beate Zschäpe verteidigt. Gekommen ist auch die Nebenklage-Vertreterin Edith Lunnebach, Jahrgang 1950, die man getrost eine "Linksverteidigerin" nennen darf. Sie empfinde sich "weniger als Anwalt denn als politischer Mensch", sagt sie. Sie sei, als Zschäpe in Untersuchungshaft kam, gefragt worden, ob sie die Verteidigung Zschäpes übernehmen könnte. Das kam für sie überhaupt nicht in Frage.

Lunnebach hat viel Erfahrung in "Terrorprozessen". Bei Angeklagten, die der kurdischen PKK oder der Roten-Armee-Fraktion (RAF) zugerechnet wurden, sah sie keine Probleme, das Mandat zu übernehmen. "Da konnte ich genügend innere Nähe entwickeln", sagt sie zum Entsetzen mancher im Publikum, als es um die RAF geht. Später stellt sie klar, dass sie sich etwas flapsig ausgedrückt habe. Lunnebach will die RAF und den linken Terror nicht beschönigen oder gutheißen. Aber sie kann den politischen Kontext, in dem er entstanden ist, offenbar irgendwie nachvollziehen. Bei Rechtsextremisten findet sie keinen Anknüpfungspunkt. Neonazis - um die sollen sich andere kümmern. Es gebe zu viele andere Menschen, sagt Lunnebach, die eher "unserer Hilfe bedürfen".

Sturm muss sich selbst verteidigen

Anja Sturm ist von Lunnebachs Rollenverständnis "erschüttert". Niemand im Saal unterstellt Sturm, dass sie eine Rechtsradikale wäre; anders als viele Neonazis lässt sich Zschäpe nicht von sogenannten Szene-Anwälten verteidigen. Sturm sagt: "Ich muss keine innere Nähe zu dem entwickeln, was meinen Mandanten vorgeworfen wird." Sie weigere sich, auch wenn sie ein sehr politischer Mensch sei, sich irgend einem Lager zuordnen zu lassen.

Vielen der betont linken Strafverteidiger in der Vereinigung ist diese Haltung suspekt. Sie werfen Sturm vor, ihr Pochen auf "Freiheitsrechte" sei etwas zu abstrakt. Einer der NSU-Nebenklage-Anwälte wirft Zschäpes Verteidigerin außerdem vor, wenn deren Antrag auf Einstellung des Verfahrens durchgekommen wäre, würde Beate Zschäpe jetzt in Freiheit herumspazieren. Das könne ja wohl nicht gut sein.

Anja Sturm muss sich nun selbst verteidigen. Sie hebt ab auf das Recht jedes Angeklagten, einen fairen Prozess zu bekommen, und sie sagt, für sie als Anwältin sei entscheidend, ob sie mit einer Mandantin auskomme. Das bedeute aber "nicht Kumpanei". Und was sie auf keinen Fall mitmachen würde, wäre die Verwandlung des Gerichtssaals in eine Plattform für politische Propaganda.

Zurück in die alten politischen Schlachten

Sie grenzt sich klar ab von den Anwälten, die im NSU-Prozess den früheren NPD-Politiker Ralf Wohlleben vertreten. Seine Verteidiger gelten als rechte Szene-Anwälte; ein paar Mal haben sie die Bühne des Gerichts bereits genutzt, um die in der Szene kursierenden Verschwörungstheorien auszubreiten.

Einige Anwälte im Eine-Welt-Haus, in dem die Veranstaltung stattfindet, stellen sich demonstrativ hinter Sturm. Sie sagen Sätze wie diese: "Wenn wir unseren Beruf ernst nehmen, dann nehmen wir die Unschuldsvermutung ernst." Oder: "Wir sind doch in erster Linie erst mal Strafverteidiger." Und: "Ich habe großen Respekt vor der Kollegin."

Andere halten diese Positionen offenbar für eine unpolitische, naive Betrachtungsweise. Halbwegs einig ist man sich nur, dass natürlich jeder Anwalt auch persönlich entscheiden muss, ob ein Mandat zu ihm passt. Ob man das aber im "stillen Kämmerlein" allein mit sich ausmachen solle, wie es einer formuliert, daran haben viele bereits Zweifel. Sie wollen eine gemeinsame Debatte, eine kollektive Selbstvergewisserung. Von der "linken Tradition" der Strafverteidiger-Initiative ist die Rede; und damit geht unterschwellig auch die Frage einher, wer zu dieser Gruppe dazugehört und wer nicht.

Carsten S. ist aus linker Sicht fast so etwas wie einer der "Guten"

Johannes Pausch fällt ein bisschen aus allen Schubladen. Auch er sitzt auf dem Podium, weil er im NSU-Prozess einen Angeklagten verteidigt: Carsten S., der früher tief drinsteckte in der Neonazi-Szene, sich dann aber lossagte. Carsten S. ist schwul, er bewegt sich heute, wenn überhaupt, eher in linken Kreisen, jedenfalls hat er gebrochen mit seiner Vergangenheit und ist nun im Zeugenschutzprogramm. Johannes Pausch, ein linker Anwalt, hat sich gefragt, ob er einen Zugang zu Carsten S. finden könnte. Er konnte. Doch obwohl Carsten S. aus linker Sicht fast so etwas wie einer der "Guten" ist, weil er sich gelöst hat von seiner braunen Vergangenheit, muss sich sogar sein Anwalt mitunter für sein Mandat rechtfertigen.

Einige im Saal haben selbst eine dezidiert linke Vergangenheit in K-Gruppen (kommunistischen Gruppen) der Siebziger- oder Achtzigerjahre. Manchmal fühlt sich die Diskussion auch so an wie nach einer Zeitreise. Zurück in die alten politischen Schlachten. Ein jüngerer Anwalt sagt dagegen, das Rechts-links-Schema sei heute für Juristen nicht mehr so klar. Einige Ältere schütteln den Kopf. Es ist offenbar auch eine Generationenfrage.

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