Anti-Atom-Bewegung:Bedingt protestfähig

Noch vor kurzem feierte die Anti-Atom-Bewegung große Erfolge. Doch muss Schwarz-Gelb deshalb mit starkem Widerstand rechnen? Eine Analyse.

Thorsten Denkler

Berlin, 5. September 2009, drei Wochen vor der Bundestagswahl. Am Brandenburger Tor demonstrieren mehr als 50.000 Menschen und 350 Trecker gegen Atomkraft in Deutschland. Es ist die größte Anti-Atom-Demo seit dem Super-GAU von Tschernobyl, die größte Anti-Atom-Demo seit 23 Jahren.

Wenige Wochen später. Koalitionsverhandlungen von CDU, CSU und FDP in der Landesvertretung Niedersachsen. Drinnen beschließen sie gerade, den Atomkonsens mehr oder weniger aufzukündigen. Draußen halten ein Dutzend Atomgegner Mahnwache.

Es wird wohl an Kanzlerin Angela Merkel liegen, ob aus dem Dutzend wieder Zehntausende werden. So hat die Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg zwar gestern angekündigt, regelmäßige "Sonntags-Spaziergänge" um das Erkundungsbergwerk zu veranstalten. Und an der ersten Demonstration dieser Art sollen sich am Sonntag nach BI-Angaben mehr als 100 Umweltschützer beteiligt haben. Aber womöglich sind weitere Erkundung des Gorlebener Salzstocks und die Laufzeitverlängerungen nicht aufregend genug, um die Massen wirklich zu mobilisieren.

Der Berliner Protestforscher Dieter Rucht sieht das so. Die Bewegung sei dank Schwarz-Gelb durchaus im Aufwind. "Verstärkte Aktivitäten" sieht er, das schon. Aber eine große Welle? Eher nicht.

"Eine Verlängerung ist ein anderes Thema als der Neubau von Atomkraftwerken oder die Einführung neuer Reaktorlinien wie in Frankreich", sagt Rucht. Es fehle schlicht der symbolische Punkt, an dem sich der Protest entzünden könnte.

Die Atomgegner sehen den sehr wohl. Wenn es schon nicht die Koalitionsverhandlungen sind, dann wenigstens die für den kommenden Sommer erwarteten Atomgespräche zwischen der neuen Regierung und den Kraftwerksbetreibern.

Christoph Bautz vom atomkritischen Netzwerk Campact sagt, da werde es ein wahrnehmbares Ringen geben. Die Konzerne würden möglichst lange Laufzeiten für möglichst wenig Gegenleistung verlangen. Das werde sicher "ein längerer Konflikt, wo eine Bewegung auch mobilisieren kann". Mit anderen Worten: Die Verhandler sollen sich warm anziehen.

Bautz will vor allem eines nicht: sich die Mobilisierungsfähigkeit der Atomgegner kleinreden lassen. Er nennt Beispiele. 1500 Menschen beim Protestzug am ersten Tag der Koalitionsverhandlungen am 5. Oktober. Fast tägliche Mahnwachen. Eine Unterschriftenkampagne, die innerhalb kürzester Zeit mehr als 100.000 Unterstützer gefunden hat. Eine Telefonaktion, bei der Tausende in den Büros von Politikern der neuen Koalition anriefen und gegen Atomkraft argumentierten.

Und dennoch. All das ist wohl nur das Warmlaufen einer Bewegung, die nicht weiß, ob sich nicht der ein oder andere noch vor dem Start den Fuß verknackst.

Ob es am Ende zum großen Marsch kommt, hängt vor allem von Angela Merkel ab. Die Kanzlerin hat zwei Trümpfe im Ärmel, die sie bei den Verhandlungen mit den Energiekonzernen ausspielen will. Zum einen will sie, dass ein Großteil der zusätzlichen Gewinne aus der Atomkraft, die sich aus der Laufzeitverlängerung ergeben, in erneuerbare Energien investiert wird. Zum anderen scheint sie bereit zu sein, in dieser Legislaturperiode das ein oder andere Atomkraftwerk vom Netz gehen zu lassen.

Thorsten Bonacker vom Marburger Zentrum für Konfliktforschung glaubt, dass mit solchen Konzessionen der Bewegung durchaus der "Wind aus den Segeln genommen werden kann". Sollte ausgerechnet unter Schwarz-Gelb ein Atomkraftwerk abgeschaltet werden, "wird es schwer für eine soziale Bewegung".

Ein geschickter Spin der Kanzlerin

Christoph Bautz von Campact attestiert Merkel an dieser Stelle einen "ganz geschickten Spin, den sich die Kanzlerin da ausgedacht hat". Nicht ohne allerdings hinterherzuschieben, dass er inhaltlich nicht nachvollziehbar sei.

Dahinter steckt Merkels bereits erprobte Demobilisierungstaktik. Mit ihrem Nicht-Wahlkampf hat Merkel es geschafft, die SPD-Anhänger nicht gegen sich aufzubringen. Von denen blieben viele am Wahltag zu Hause und die SPD landete auf einem historischen Tiefpunkt.

Protestforscher Rucht glaubt, dass Merkel damit wieder Erfolg haben könnte. "Der harte Kern der Bewegung wird das nicht akzeptieren", sagt er. Aber in der Frage "Atomausstieg beibehalten oder zugunsten von mehr Geld für die erneuerbaren Energien ein paar Jahre längere Laufzeiten" werde "der Großteil keinen qualitativen Unterschied" erkennen.

Ruchts Marburger Kollege Bonacker sieht dennoch grundsätzlich die Chance für eine neue Politisierung. Das liege aber vor allem daran, das es mit Schwarz-Gelb in der Regierung und eher linken Parteien in der Opposition wieder zwei Lager gebe, in denen sich jeder einordnen könne.

Genau das könnte zumindest für die Parteien der Opposition eine Chance sein. SPD, Linke und Grüne sind sich in keinem anderen Feld so einig wie in der Atomkraft. Wenn sie hier gemeinsam auftreten, sagt Bonacker, dann wäre das ein erster Schritt Richtung Zusammenarbeit.

Diese machtpolitische Perspektive interessiert Atomexperte Thorben Becker vom Bund für Umwelt und Naturschutz, BUND, herzlich wenig. Er will vor allem eines: möglichst wenig Atomkraft in Deutschland. Am besten natürlich gar keine mehr.

Da käme es ihm nur recht, wenn Merkel das ein oder andere Atomkraftwerk abschalten ließe. Er sieht zwar durchaus die Gefahr, dass so ein Schritt demobilisierend auf die eigenen Leute wirken könnte. Aber andererseits sei Abschaltung doch genau das, "wofür wir kämpfen".

Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg. Was Thorben Becker nicht hat, sind Nachwuchssorgen. Die BUND-Jugend kümmere sich seit Jahren fast ausschließlich um Klima und Energie. Sie habe eine schwarz-gelbe Regierung bislang noch nicht zum Gegner gehabt. Für jemanden, der heute Anfang 20 sei, sei die Atomfrage in der Energiedebatte längst abgehandelt gewesen. "Da sind viele jetzt wieder aufgewacht", sagt Becker.

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