Illegale Migranten:Italiens Flüchtlingspolitik erzürnt EU-Innenminister

Warnung vor dem "Staubsaugereffekt": Die EU-Staaten kritisieren Italiens Plan, illegalen Migranten Schengen-Visa zu geben - obwohl die Aktion rechtlich in Ordnung ist.

Martin Winter, Brüssel

Italien sieht sich im Streit um das Schicksal der an seinen Küsten gelandeten Wirtschaftsflüchtlinge aus Tunesien einer breiten europäischen Front gegenüber. Roms Absicht, einen Großteil der mehr als 20.000 in den vergangenen Wochen angekommenen illegalen Zuwanderer mit Touristen-Visa auszustatten und ihnen damit den ungehinderten Zugang zum grenzfreien europäischen Schengen-Raum zu geben, stieß beim Treffen der EU-Innenminister am Montag in Luxemburg auf scharfe Kritik. Viele Länder befürchten, dass Italien dadurch die Migration über das Mittelmeer nur noch weiter befeuern würde.

Italian Police and Guardia Costiera officers carry an injured refugee as he arrives on the southern Italian island of Lampedusa

Die italienische Regierung will tunesischen Wirtschaftsflüchtlingen Zugang zum Schengen-Raum gewähren - und verärgert damit andere EU-Staaten. Das Bild zeigt einen erschöpften Flüchtling auf der italienischen Insel Lampedusa.

(Foto: REUTERS)

Nach einer mehrstündigen Debatte sei man sich einig gewesen, dass "kein Signal gegeben werden darf, dass wir irreguläre Migration in der EU akzeptieren", sagte der französische Innenminister Claude Guéant. Seine österreichische Kollegin Maria Fekter warnte vor einem "enormen Staubsaugereffekt", wenn sich herumspreche, dass Italien Visa an Illegale verteilt, um sie schnell wieder loszuwerden. Man geht davon aus, dass die meisten Tunesier, unter denen sich kaum Asylberechtigte befinden, aus sprachlichen und familiären Gründen weiter nach Frankreich wandern wollen.

Allerdings richten sich auch andere Länder darauf ein, Neuankömmlinge aus Italien empfangen zu müssen. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) räumte zwar ein, dass in Deutschland noch keine steigenden Zahlen von Flüchtlingen festgestellt worden seien; sollten dies aber noch kommen, werde Deutschland seine "Rechte und Möglichkeiten nutzen, solche Reisende nach Italien zurückzuschicken". Frankreich bereitet sich bereits konkret darauf vor. Dabei werde man sich streng an "Recht und Gesetz" halten, versicherte Guéant.

Denn die italienische Aktion ist rechtlich im Prinzip in Ordnung: Laut Schengen-Abkommen darf jedes Mitgliedsland für den gesamten Raum ein Touristen-Visum ausstellen, wenn dessen Empfänger einen gültigen Reisepass besitzt, nicht strafrechtlich gesucht wird und über genug Mittel verfügt, sich selbst zu ernähren und seine Rückreise zu finanzieren. In der EU gilt dafür ein Tagessatz von 61 Euro. Tunesier, die mit italienischen Touristen-Visa innerhalb Frankreichs reisen, müssen nun damit rechnen, nach Italien abgeschoben zu werden, falls sie eine dieser Bedingungen nicht erfüllen.

Dass sich Italiens Innenminister Roberto Maroni mit seiner Forderung nach einem "vereinten, solidarischen Europa" nicht durchsetzen konnte, lag wohl auch daran, dass weder die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström noch die meisten der Innenminister derzeit einen "Massenzustrom" über das Mittelmeer erkennen können - was Voraussetzung für eine Verteilung der Flüchtlinge auf andere Länder wäre. Mit 23.000 Migranten, hieß es, müsse Italien zurechtkommen.

Frankreich nimmt jedes Jahr etwa 50.000 Asylbewerber auf. Um den Zuwanderungsdruck zu vermindern, einigten sich die Innenminister darauf, den Einsatz der EU-Grenzschutzagentur Frontex im Mittelmeer zu verstärken.

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