Anschlagsversuch in Bonn:Nur Dilettantismus verhinderte die Explosion

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Ermittler am Bonner Hauptbahnhof: Nur der Dilettantismus der Terroristen verhinderte nach Überzeugung der Behörden eine Explosion der Bombe. (Foto: dpa)

Glück gehabt. Erneut ist ein Anschlag womöglich von islamistischen Fanatikern in Deutschland fehlgeschlagen. Manches spricht dafür, dass die Tatverdächtigen aus dem salafistischen Milieu stammen. Und beobachtet werden. Doch warum können Menschen, die für Terroristen gehalten werden, überhaupt so einen Versuch unternehmen?

Von Hans Leyendecker, Bonn

Zu schwache Batterien, ein weiterer gravierender Fehler bei der Konstruktion der Bombe - die Republik ist wieder einmal davongekommen. Zum wiederholten Mal ist in Deutschland ein geplanter Anschlag islamistischer Fanatiker fehlgeschlagen. Das Land, die Sicherheitsbehörden haben erneut Glück gehabt.

Diese einfache Feststellung ist die sicherste Erkenntnis nach dem versuchten oder zumindest geplanten Bombenanschlag auf Bahnsteig 1 des Bonner Hauptbahnhofs in der vergangenen Woche. Ansonsten scheint der Hintergrund der Tat auch nach der Übernahme des Verfahrens durch die Bundesanwaltschaft im Nebel zu liegen. Ein Tatplan ist nur in Umrissen erkennbar.

Manches spricht weiterhin dafür, dass die Tatverdächtigen aus dem rheinischen salafistischen Milieu stammen und dass sie Kontakte nach Nordafrika zu islamistischen Vereinigungen unterhielten. Einiges deutet darauf hin, dass sie eine Anleitung zum Bau einer Bombe im Internet als Vorlage nahmen und dann beim Basteln grobe Fehler machten: "Baue eine Bombe in Mamas Küche" empfehlen Drahtzieher des islamistischen Terrorismus im Internet. Doch dann hapert es bei den Zutaten. Bei der Bonner Bombe fehlte vor allem der empfohlene Booster.

Das Vorgehen der Bonner Bastler erinnert ein wenig an die "Kölner Kofferbomber", die 2006 in zwei Regionalzügen Bomben deponiert hatten, die dann wegen handwerklicher Fehler nicht detonierten. Die Chemiekenntnisse des später zu einer langen Haftstrafe verurteilten Terroristen hatten glücklicherweise nicht gereicht.

Die sogenannte Sauerlandgruppe, die dann 2007 aufflog, hatte sich große Mengen Wasserstoffperoxid besorgt, um hochgefährliche Bomben zu bauen und bekam nicht mit, dass die Polizei die Chemikalien gegen eine ungefährliche Flüssigkeit ausgetauscht hatten.

In Düsseldorf flog 2011 eine hochkonspirative Zelle auf, die verheerende Anschläge geplant haben soll. Die Zelle bestand aus jungen Männern, die aus einem Internetcafé mörderische Botschaften an einen berüchtigten Scheich am Hindukusch schickten. Sie kochten sich Sprengstoff, doch ihre Wohnung, ihr Auto, jedes Internetcafé im Umkreis waren längst verwanzt und wurden von Ermittlern überwacht. Vermutlich hätte der spezielle Grillzünder, den sie verwenden wollten, im Fall der Fälle nicht funktioniert. Sie wurden festgenommen und stehen vor Gericht.

Deutsche Sicherheitsbehörden listen in ihren Erfolgsbilanzen etwa zehn verhinderte oder gescheiterte Anschläge in den vergangenen zehn Jahren auf. Dilettantismus der Bombenbauer, Glück und Tüchtigkeit der Ermittler sowie der große Aufwand bei der Überwachung potenzieller islamistischer Gewalttäter haben Schlimmes vereitelt. Anders als in London oder Madrid etwa hat es in Deutschland noch keinen Terroranschlag islamistischer Gewalttäter gegeben.

Es gab Anschläge brauner Terroristen und der Hintergrund dieser Attentate blieb lange Zeit unerkannt. Womöglich auch, weil die Sicherheitsbehörden nach dem 11. September 2001 den islamistischen Terrorismus keinen Augenblick mehr aus den Augen verlieren wollten und der Großteil der Kapazitäten für den Krieg gegen diese Bedrohung eingesetzt wurde.

Mit dem eher dilettantischen Anschlagsversuch in Bonn vorige Woche werden derzeit drei Männer in Verbindung gebracht. Dazu gehört Omar D. aus Rheine, der in der vergangenen Woche festgenommen worden war und dann wieder auf freien Fuß gesetzt wurde. Der Anwalt des gebürtigen Somaliers bestreitet jede Verstrickung seines Mandanten in irgendeinen Anschlagsversuch. In den Fokus der Ermittler ist auch Abdirazak B. geraten, der ein Freund von Omar D. ist.

Aus abgehörten Gesprächen ergibt sich, dass B. nach Somalia abgetaucht war, und es gibt den Verdacht, dass er nach Bonn zurückgekehrt sein könnte. Auch der Verdächtige, der die Tasche mit der Bombe zeitweilig trug und dabei gefilmt wurde, soll, wie der Spiegel schreibt, bekannt sein. Für Haftbefehle reichen Indizien und Material allerdings offenkundig nicht - oder noch nicht.

Falls sich der Verdacht der Ermittler gegen die Männer bestätigen sollte, wäre der Bonner Fall ein Novum. Erstmals hätten auch "Gefährder", also Leute, die von den Behörden für mögliche Terroristen gehalten werden, denen die Planung eines Anschlags durchaus zugetraut wird und die auf entsprechenden Geheimlisten der Behörden stehen, eine solche Tat verübt. In der Republik gibt es schätzungsweise 140 "Gefährder", die den wirklich harten Kern der etwa 450 gefährlichen Islamisten bilden sollen. Sie haben entweder in Terrorcamps eine paramilitärische Ausbildung absolviert oder gelten aus anderen Gründen als extrem militant.

Schätzungsweise zwanzig Staatsschützer wären notwendig, um einen einzigen dieser Terrorverdächtigen rund um die Uhr zu überwachen und ein vollständiges Bewegungsbild zu erstellen. Um nicht aufzufallen, müssten die Teams ständig ausgetauscht werden. Ein solcher Aufwand wäre angesichts der zahlreichen Gefährder nicht zu leisten.

Der Einsatz von Drohnen, der Dauer-Druck auf die Drahtzieher des islamistischen Terrorismus in fernen Ländern und auf ihre Gefolgsleute in Deutschland haben zu Veränderungen der Lage geführt. Vor Jahren warnten die Behörden vor allem vor Anschlägen, die am Hindukusch oder in Nordafrika sorgfältig ausgeheckt werden könnten. Die Spuren führten immer wieder nach Pakistan, Afghanistan oder Jemen.

Mittlerweile werden gewaltbereite Islamisten verstärkt aus Ländern wie Mali zu autonomen Aktionen aufgerufen, die sie selbst austüfteln sollten. Wenn es dann tatsächlich einmal zum Anschlag kommen sollte, stünden die Namen der Terroristen vermutlich in amtlichen Listen. Solch ein Angriff eines bekannten Gefährders gehört zu den Albträumen der deutschen Sicherheitsbehörden.

© SZ vom 17.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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