Anschlag in Manchester:Logik der Nihilisten

Manchester Anschlag

Westliche Gesellschaften haben viel getan zur Verbesserung der Sicherheit.

(Foto: AFP)

Der Anschlag in Manchester zeigt, dass keine Behörde, keine Polizei umfassende Sicherheit bieten kann. Der Schlüssel heißt Integration.

Kommentar von Stefan Kornelius

United we stand, so heißt die Fanzeitschrift des Fußballvereins Manchester United. 1984 und 1985 nutzten britische Bergarbeiter den Satz als Kampfruf, als sie in einer der größten Arbeitsmarktrevolutionen des Landes ihre Minen zu verteidigen versuchten. Und nun findet die vom Terror geschüttelte Welt Trost in diesem Appell zur Geschlossenheit: Gemeinsam sind wir stark; nur wenn wir uns spalten lassen, werden wir schwach und besiegbar.

Der Aufruf zur Geschlossenheit wiederholt sich seit einigen Jahren formelhaft, wann immer Terroristen ihr Werk verüben. Er ist so richtig wie wohlfeil. Der Terror will die Spaltung der Gesellschaft, und wer ihm diesen Erfolg verweigern will, der muss eben Geschlossenheit zeigen. Spaltung hingegen erzeugt Radikalität, verführt zu irrationalen Antworten, gaukelt Lösungen vor, wo es keine Lösungen gibt.

Wohlfeil ist der trotzige Aufruf, weil er den Terror ja nicht beendet. Offenbar lassen sich Terroristen von einer geschlossenen Gesellschaft nicht sonderlich beeindrucken. Mit ihren Anschlägen zerren sie mehr und mehr an der Schutzhülle, die eine freie Gesellschaft umgibt. Irgendwann ist sie porös und reißt. Sie demonstrieren, dass keine Behörde, keine Polizei umfassende Sicherheit bieten kann, dass die Freiheit nach jedem Anschlag umso aufwendiger verteidigt werden muss, und dass das Gift der Illiberalität schleichend in einen Staatsorganismus eindringt, wo es nur schwer wieder zu entfernen ist.

Trump über Islamisten: "Fußsoldaten des Bösen"

Etwa in Amerika: Vor zwei Tagen empfahl der Präsident der USA den Staats- und Regierungschefs der Arabischen Liga in Riad, sie sollten doch radikale Islamisten aus ihren Gesellschaften jagen. "Fußsoldaten des Bösen" mit einer "schlimmen Ideologie" sollten hinweggespült werden in dieser "Schlacht zwischen Gut und Böse".

Wenn es denn so einfach wäre. Gerade die meisten von Donald Trumps arabischen Zuhörern müssten sich eingestehen, dass sie diese Fußsoldaten gar nicht mehr verjagen können aus ihren Gesellschaften. Diese Menschen empfinden ihren Staat erstens nicht als Vorbild und zweitens nicht als Gemeinschaft. Sie sind längst mental oder physisch abgewandert. Das Parallel-Leben radikalisierter Muslime findet außerhalb von klassischen Gesellschaften statt.

Dies ist übrigens dieselbe Erkenntnis, die sich an den Terror-Schauplätzen im Westen gewinnen lässt. Die Täter von London, Paris, Nizza oder Brüssel lebten schon lange in den Ländern ihrer Mordtat oder waren gar dort geboren. Angekommen waren sie aber nicht, oder sie haben sich radikal wieder abgewendet. Terror kann nur verüben, wer klassische Gesellschaftsnormen ablehnt, radikalisiert ist, mit seinen Vorstellungen in einem geradezu unvorstellbar fremden Orbit kreist. Wer bitte sprengt sich im Kreis von Kindern und Teenagern in die Luft und empfindet dabei Genugtuung?

Der Schlüssel ist die Integration

Westliche Gesellschaften haben viel getan zur Verbesserung der Sicherheit. Kein Staat, der nicht sein Freiheitskorsett enger geschnürt hätte und besser überwachen und kontrollieren würde. Die dunklen Räume der Gesellschaft sind zwar längst nicht ausgeleuchtet, aber zumindest entdeckt: Parallelstrukturen, Nischen zur Radikalisierung, das Netz als Brutkasten für alle, die Hass säen.

Der Schlüssel ist die Integration. Hier gibt es gewaltige Versäumnisse, gerade auch in Großbritannien, das sich seiner Multikultur gerade in den Großstädten rühmt. Dabei sind es häufig die klassenbewussten Briten, die blind sind für jene Gesellschaftsschicht, die sich nicht einfügen will und kann in den britischen Alltag. Aus ihr erwachsen dann im schlimmsten Fall solche "Kämpfer gegen die Kreuzzügler", wie der IS den mutmaßlichen Täter von Manchester bezeichnete. Man sollte ihn lieber einen Nihilisten nennen, einen Verblendeten, einen Anti-Humanisten. Keine Ideologie der Welt kann diese Tat rechtfertigen.

Obwohl in zwei Wochen in Großbritannien gewählt wird, ist der Anschlag von begrenzter Relevanz für die innenpolitische Debatte. Sicherheit, Terror, Kampf gegen Islamismus - die Morde von Manchester bestärken bekannte Reflexe. Sie werden im Zweifel der amtierenden Premierministerin helfen, weil Stabilität in Zeiten der Bedrohung als wichtiges Gut empfunden wird. Außerdem wird Theresa May als hinreichend radikal in ihrer Anti-Terror-Politik empfunden. Sollte das im Wählerempfinden nicht genügen, wird sie als Erste den Ton verschärfen. Doch Stärke allein reicht nicht aus gegen eine Terroristen-Generation, die im Zweifel immer eine Nuance brutaler und skrupelloser sein wird. Gemeinsam sind wir stark, heißt der Appell. Stärke allein reicht nicht.

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