Anschlag in London:Vier Tage bis zur Wahl - so steht es zwischen May und Corbyn

Anschlag in London London Bridge Theresa May Jeremy Corbyn

Jeremy Corbyn, Chef der Labourpartei, liegt nur och wenig hinter Theresa May und ihren Konservativen zurück.

(Foto: AFP)

Am Donnerstag wählt Großbritannien. Vermutlich lassen sich die Wähler vom Anschlag in London nicht beeinflussen.

Von Björn Finke, London

Der Wahlkampf ist unterbrochen, aber die Wahlen finden statt: Nach dem Terroranschlag in London am Samstagabend verkündeten die britischen Parteien, ihre Kampagnen ruhen zu lassen. Doch die Pause soll nur von kurzer Dauer sein, denn eine Verschiebung der Parlamentswahlen steht nicht zur Debatte. Damit werden die 45,8 Millionen wahlberechtigten Briten wie geplant am Donnerstag ihre Stimme abgeben können.

Dieser Urnengang wird spannender als noch vor sechs Wochen gedacht, als Premierministerin Theresa May völlig überraschend Neuwahlen angesetzt hat. Damals sahen Umfragen ihre Konservative Partei 24 Prozentpunkte vor der größten Oppositionspartei Labour. Nun soll der Vorsprung nur noch zwischen einem und zwölf Prozentpunkten betragen - die Ergebnisse der verschiedenen Meinungsforschungs-Institute zeigen eine große Bandbreite.

Das Attentat von Manchester vor anderthalb Wochen hatte keine Ausschläge bei den Umfragewerten zur Folge. Das legt die Vermutung nahe, dass auch die Attacke von London die Wahlen nicht nennenswert beeinflussen wird: Die Briten lassen sich von Terroristen offenbar nicht großartig aus der Ruhe bringen.

Eigentlich ist zu erwarten, dass Anschläge kurz vor den Wahlen dem Amtsinhaber nutzen, weil die Bürger in unsicheren Zeiten Stabilität suchen. May müsste besonders profitieren. Schließlich war sie als Innenministerin früher oberste Kämpferin für Ruhe und Ordnung. Als Premierministerin steht sie nach den Anschlägen im Fokus der Aufmerksamkeit, an diesem Sonntag forderte sie schärfere Überwachung im Internet. Außerdem billigen Wähler den Konservativen generell mehr Kompetenz beim Thema Innere Sicherheit zu als der Labour-Opposition.

Der altlinke Labour-Chef Jeremy Corbyn äußerte einst Verständnis für die Taten der Terrorgruppe IRA, der Irisch-Republikanischen Armee. Die wollte über Jahrzehnte eine Wiedervereinigung des britischen Nordirland mit der Republik Irland herbeibomben. In Zeiten islamistischen Terrors dürfte Corbyns Nachsicht gegenüber Bombenlegern nicht gut ankommen.

Trotz des Anschlags von Manchester schrumpfte aber der Vorsprung der Konservativen in den Umfragen der vergangenen Wochen. Das zeigt auch, dass Mays Wahlkampf nicht in ihrem Sinne läuft.

Die Konservative rief die Neuwahlen im April aus, weil ihre absolute Mehrheit im Parlament mit 17 Sitzen recht klein ist. May befürchtete, einige ihrer eigenen Abgeordneten könnten versuchen, sie zu erpressen, um Änderungen bei der Brexit-Strategie durchzusetzen. Damals war der Vorsprung in den Umfragen gewaltig - es schien klar zu sein, dass Mays Partei nach den Wahlen eine viel größere Mehrheit im Parlament haben würde, vielleicht sogar eine von gut 100 Sitzen.

Labour hat in den Wahlumfragen dramatisch hinzugewonnen

Auch jetzt sagen Meinungsforscher den Konservativen die absolute Mehrheit der Mandate voraus, allerdings könnte diese Mehrheit klein ausfallen. Nimmt der Puffer nur von 17 auf 19 Sitze zu, müsste sich May fragen lassen, was diese Neuwahlen überhaupt gebracht haben. Sie wäre beschädigt - und das kurz bevor die wichtigen Brexit-Verhandlungen mit Brüssel Mitte Juni starten.

Dass der Vorsprung kleiner wird, ist vor allem das Verdienst von Labour. In den Umfragen haben die Konservativen nur wenige Prozentpunkte abgegeben seit April, aber Labour hat dramatisch hinzugewonnen. Dabei ist Parteichef Corbyn unbeliebt in der Bevölkerung - und in der eigenen Fraktion. Doch offenbar finden viele Sympathisanten kleinerer Parteien wie der Liberaldemokraten oder der Grünen die Vorstellung abschreckend, dass May demnächst mit Riesenmehrheit durchregieren könnte. Daher versammeln sich die May-Gegner im Lande - und die Brexit-Gegner - hinter dem Altlinken Corbyn.

Außerdem erlaubten sich die Konservativen Fehler in der eigenen Kampagne. Eine Woche vor dem Anschlag von Manchester haben sie ihr Wahlprogramm präsentiert. Darin stand, dass pflegebedürftige Senioren in Zukunft den Großteil ihres eigenen Vermögens aufbrauchen müssen, bevor der Staat bei den Pflegekosten einspringt. Diese Ankündigung erwies sich als derart unpopulär, dass May sie schon nach wenigen Tagen wieder einkassierte - die Tories rückten also peinlicherweise schon vor den Wahlen von einem Wahlversprechen ab.

Wie ein Sprechroboter: "Stark und stabil"

May hatte im Wahlkampf unablässig wiederholt, dass das Königreich für die Brexit-Verhandlungen eine "starke und stabile" Führung brauche - also Theresa May. Und dann vollzieht sie beim kleinsten Widerstand eine Kehrtwende. Eine Blamage. Dieser Schnitzer kostete die Konservativen einige Prozentpunkte in den Umfragen.

Die Partei hat darum zuletzt ihre Strategie geändert. Am Anfang ging es in der Kampagne nur um Theresa May, die wie ein Sprechroboter zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit die Worte "stark und stabil" in ein Mikrofon sprach. Für welche Partei May antritt, sollte Nebensache sein. Doch nun spielen die Partei und Sachthemen wieder eine größere Rolle im Wahlkampf. Und bei einer wichtigen Fernsehdebatte in der vorigen Woche sagte May tatsächlich kein einziges Mal "stark und stabil". Der Personenkult um den Sprechroboter ist vorbei; die Taktik hat nicht funktioniert.

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