Anschlag in Istanbul:Der Anschlag auf den Atatürk-Flughafen trifft auch Erdoğans Wirtschaftspolitik

Anschlag in Istanbul: Der Istanbuler Atatürk-Flughafen: Der Anschlag dort war auch ein Angriff auf die Türkei als Wirtschaftsstandort.

Der Istanbuler Atatürk-Flughafen: Der Anschlag dort war auch ein Angriff auf die Türkei als Wirtschaftsstandort.

(Foto: AP)
  • Der Anschlag auf den Atatürk-Flughafen trifft die Türkei als Wirtschaftsstandort.
  • Erdoğan will Istanbul zum Drehkreuz des internationalen Flugverkehrs machen und so die Wirtschaft des Landes stärken.
  • In Istanbul wird derzeit ein dritter Flughafen gebaut, er soll der größte der Welt werden.
  • Der jüngste Anschlag zeigt, wie gefährdet solche Projekte sind.

Von Deniz Aykanat

Beinahe jede Woche berichten türkische Medien über Terroranschläge in der Türkei. Meist sind es kleinere Attentate, die sich in den Kurdengebieten im Südosten ereignen und gegen türkische Sicherheitskräfte gerichtet sind. Doch die Abstände auch zwischen größeren Anschlägen werden kürzer: Sie treffen Ziele in Ankara oder Istanbul und fordern viele Opfer. Der Anschlag auf den Atatürk-Flughafen ist der jüngste davon.

Seit fast einem Jahr gehören solche Terroranschläge für die Türken wieder zum traurigen Teil des Alltags. Schon entwickelt sich Routine: die übliche Berichterstattung, die Reaktionen von Politikern, die Verurteilungen und Beileidsbekundungen.

Doch dieses Mal ist es anders: Der größte Flughafen des Landes ist mehr als nur ein Anschlagsziel, an dem viele Menschen auf einmal getötet werden können. Wenn das Attentat in der Istanbuler Altstadt auf eine deutsche Reisegruppe im Januar den Tourismus treffen sollte, dann galt der Anschlag auf den Atatürk-Flughafen der Türkei als Wirtschaftsstandort.

Der Istanbuler Atatürk-Flughafen entwickelte sich in den vergangenen Jahren zu einem der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte der Welt. Im Jahr 2015 wurden dort etwa 61 Millionen Passagiere abgefertigt. Zum Vergleich: 2010 waren es noch etwa 32 Millionen. Der Flughafen ist ein Drehkreuz für den internationalen Luftverkehr.

Zum einen liegt das an der geographischen Lage der Türkei. Zum anderen hängt es mit der Erfolgsgeschichte der halbstaatlichen Fluglinie Turkish Airlines zusammen, die den geographischen Vorteil geschickt nutzt. Die meisten Ziele in Europa, Nordafrika, Zentralasien oder dem Nahen Osten lassen sich in etwa drei Stunden von der Türkei aus erreichen.

Geschäftsleute aus Mogadischu, Pilger auf dem Weg nach Mekka

Turkish Airlines hat seine Basis am Atatürk-Flughafen, der nach dem Gründer der Türkischen Republik, Mustafa Kemal Atatürk, benannt ist. Die Fluggesellschaft hat in den vergangenen Jahren ihre Flotte massiv ausgebaut und steuert nahezu jedes Ziel auf der Welt an. Der Atatürk-Airport ist deshalb seit einigen Jahren nicht mehr nur für Touristen relevant, die weiter an die Strände von Antalya wollen, sondern auch für viele andere Flugreisende, seien es Geschäftsleute aus Mogadischu auf dem Weg nach Dubai oder Pilger, die nach Mekka fliegen.

Neben den niedrigen Flugkosten, die Turkish Airlines auch aufgrund der niedrigeren Lohnkosten in der Türkei anbieten kann, spielen Marketing und Service eine große Rolle für den Aufstieg. Fußball-Star Lionel Messi macht Werbung für die Fluglinie, deren Aktien zur Hälfte vom türkischen Staat gehalten werden und die nun nach dem Anschlag um 3,5 Prozent gefallen sind.

Für diesen Boom der Fluggesellschaft ist der Atatürk-Flughafen allerdings zu klein. Zwar wurde 2001 auf der asiatischen Seite Istanbuls zusätzlich der kleinere Sabiha-Gökçen-Flughafen eröffnet, der den Atatürk-Flughafen im Westen entlasten sollte. Aber auch das reicht nicht aus.

Erdoğan will den größten Flughafen der Welt bauen

Deshalb wird nun ein dritter Mega-Flughafen auf der europäischen Seite Istanbuls gebaut, an der Küste des Schwarzen Meeres. Hektarweise Grünflächen müssen dafür weichen. Wenn es nach Turkish Airlines und Präsident Erdoğan geht, soll es der größte Flughafen der Welt werden. 2018 ist die Eröffnung geplant.

Es ist eines von mehreren Großprojekten, mit denen Erdoğan sich ein Denkmal setzen will. Umgesetzt hat er unter anderem schon den Präsidentenpalast in Ankara, bereits im Bau befindet sich das Tigris-Staudammprojekt in Südostanatolien, bei dem die antike Stadt Hasankeyf nach und nach in den Fluten verschwinden wird. In den Hochebenen am Schwarzen Meer werden zudem Kilometer um Kilometer Straßen durch Waldgebiete gebaut.

Es ist im Gespräch, den neuen Super-Flughafen nach Präsident Erdoğan zu benennen. Damit hätte er sich selbst ein Denkmal geschaffen, das an sein erklärtes Ziel erinnern könnte: den Wohlstand im Land zu mehren. Der wirtschaftliche Aufschwung der Türkei ist zu einem großen Teil dafür verantwortlich, dass Erdoğan trotz seines despotischen Regierungsstils relativ großen Rückhalt in der Bevölkerung hat. Istanbul zu einer wichtigen Kreuzung für die weltweiten Luftwege zu machen, ist ein zentraler Aspekt in Erdoğans Wirtschaftspolitik.

Es könnte für Erdoğan gefährlich werden

Der Anschlag auf den Atatürk-Flughafen ist deshalb auch ein Angriff auf das Großprojekt "Drehkreuz Istanbul". Und das könnte gefährlich für Erdoğan werden. Schon die Gewinneinbrüche und Entlassungswellen im Tourismus kosteten den türkischen Präsidenten Anhänger. Die Isolation, in die der Präsident sein Land in der internationalen Politik manövriert hat, schadet der Wirtschaft.

Erdoğan hat reagiert: Kurz vor dem aktuellen Anschlag wurde bekannt, dass er einen Entschuldigungsbrief an den Kreml schickte wegen des Abschusses eines russischen Jets an der türkisch-syrischen Grenze vor Kurzem. Vor allem das Wegbleiben russischer Reisender setzt der türkischen Tourismusbranche seit diesem Zwischenfall massiv zu.

Russland und Türkei nähern sich nun wieder an. Moskau hat am Mittwoch angekündigt, die Einschränkungen für russische Touristen in der Türkei aufzuheben. Doch auch wenn aus Russland wieder Reisende kommen, die türkische Tourismusbranche und Erdoğans Flughafen-Projekt bleiben angreifbar und sind durch neue Gefahren bedroht. Der Anschlag auf den Atatürk-Flughafen trägt die Handschrift des IS.

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