Anschlag in Istanbul:Angriff von zwei Fronten

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Anschläge des IS und der PKK erschüttern die Türkei in immer kürzeren Abständen. Die Kriegsrhetorik der Regierung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Ankara darauf keine Antwort hat.

Von Mike Szymanski, Istanbul

In der Türkei vergeht kaum ein Monat, in dem es nicht zu einem Terroranschlag kommt. Das vergangene Jahr begann mit einer Attacke auf deutsche Urlauber am Sultanahmet-Platz in Istanbul. Ein Selbstmordattentäter der Terrormiliz IS zündete am 12. Januar einen Sprengsatz und riss zwölf Touristen mit sich in den Tod. Das Jahr 2016 endete mit einem Doppelanschlag nach einem Fußballspiel am Beşiktaş-Stadion. Eine Splittergruppe der Terrororganisation PKK tötete fast 50 Menschen. Mehrere Hundert Menschen verloren 2016 in der Türkei ihr Leben durch Terror. Als in der Neujahrsnacht Schüsse im Istanbuler Edelclub Reina fallen, wird klar: Auch 2017 wird wohl ein schwieriges Jahr.

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Vizeministerpräsident Numan Kurtulmuş sagt, der Angreifer habe wohl die Botschaft senden wollen: Ihr werdet uns auch 2017 nicht los. Seine Antwort an die Terroristen lautet: Im Jahr 2017 werde man sie "ausrotten". Die Kriegsrhetorik kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Anti-Terror-Kampf zwar mit aller Härte von der Regierung geführt wird, aber keineswegs dazu geführt hat, die Gewalt einzudämmen.

Die Türkei kämpft an zwei Fronten. Nachdem Ankara 2015 seine lange Zeit ambivalente Haltung gegenüber islamistischen Gruppen revidiert hat, ist das Land selbst zum Anschlagsziel geworden. Heute kämpfen türkische Soldaten auf syrischem Boden gegen den IS. An der Seite Russlands bemüht sich Ankara um eine landesweite Waffenruhe im Nachbarland, die jedoch nicht für den Kampf gegen Dschihadisten gilt. Der bisher größte Anschlag in der jüngeren Geschichte mit mehr als 100 Toten am Hauptbahnhof in Ankara im Oktober 2015 soll auf den IS zurückgehen. Seither schaffen es immer wieder Attentäter bis in die Zentren der türkischen Metropolen vorzudringen.

Die Regierung geht mit brutaler Härte gegen die PKK vor

Wie eng das Netz an Terrorhelfern ist, offenbart derzeit der Prozess um den Anschlag auf die deutschen Urlauber in Sultanahmet. Mehr als 20 Angeklagte stehen vor Gericht. Sie sollen dem Selbstmordattentäter zugearbeitet haben. Jeder hatte nur einen kleinen Auftrag zu erfüllen. Die Behörden bekamen nichts mit, obwohl der Anschlag über viele Woche akribisch vorbereitet worden war. Weil die Grenze zu Syrien bis 2015 durchlässig war, kann niemand verlässlich sagen, wie viele IS-Anhänger in der Türkei leben. Der Zeitung Hürriyet zufolge sollen am Silvestertag erst wieder acht Kämpfer in Ankara festgenommen worden sein.

Schwer tut sich die Regierung auch mit der PKK. Nachdem 2015 der Friedensprozess zum Erliegen kam, ist die Gewalt wieder aufgeflammt. Die Armee startete eine Offensive im Südosten des Landes, bei der teilweise ganze Stadtviertel in Schutt und Asche gelegt worden waren und die Zivilbevölkerung den Konflikt mit brutaler Härte zu spüren bekam. Die PKK, die ihrerseits den Kampf erst in die Städte getragen hatte, und ihre terroristischen Ableger reagierten mit neuen Anschlägen.

Für Frieden hätte womöglich die pro-kurdische Partei HDP sorgen können, die 2015 ins Parlament einzog. Während der Friedensgespräche war ihr eine Vermittlerrolle zugefallen. Heute betrachtet die Regierung die HDP als parlamentarischen Arm der PKK. Die Vorsitzenden sitzen in Haft. Die Justiz verfolgt zahlreiche Politiker wegen des Terrorvorwurfs. Für eine politische Lösung ist derzeit kein Ansprechpartner vorhanden.

© SZ vom 02.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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