Anschlag in Berlin:Möglicher Kontaktmann Amris: Festgenommener wieder frei

Der Verdacht gegen den Mann, dessen Nummer Ermittler in Amris Handy fanden, hat sich nicht erhärtet.

Der Mann, der am Mittwoch als möglicher Komplize des mutmaßlichen Weihnachtsmarkt-Attentäters von Berlin festgenommen worden war, ist wieder frei. Das teilte die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe mit. Der Verdacht habe sich nicht erhärtet, es sei kein Haftbefehl gegen den 40-Jährigen beantragt worden. "Die weiteren Ermittlungen haben (...) ergeben, dass es sich bei dem vorläufig Festgenommenen nicht um die mögliche Kontaktperson von Anis Amri handelt", sagte eine Sprecherin.

Das Bekennervideo, das von einer IS-nahen Agentur nach dem Anschlag verbreitet wurde, ist demnach authentisch und zeigt den mutmaßlichen Attentäter Anis Amri. In dem Video bekennt Amri sich zur Terrormiliz Islamischer Staat, es wurde vier Tage nach dem Anschlag vom IS-Sprachrohr Amak veröffentlicht. Auf der knapp dreiminütigen Aufnahme schwört Amri dem Anführer der IS-Miliz, Abu Bakr al-Bagdadi, die Treue. Dabei steht Amri offensichtlich auf einer Brücke, hinter ihm ist ein Gewässer zu sehen.

Kaliber des Projektils im Lkw stimmt mit dem der Mailänder Waffe überein

Die Ermittlungen zu Amris genauem Fluchtweg liefen nach Angaben der Bundesanwaltschaft noch. Klar sei inzwischen allerdings, dass Amri nach der Tat über die Niederlande und Frankreich nach Italien gereist sei. Über die Echtheit der Bilder aus Überwachungskameras, die Amri auf mehreren Fluchtstationen zeigen sollen und über die mehrere Medien berichtet hatten, könne bisher noch keine Aussage getroffen werden.

Nach Angaben der Bundesanwaltschaft werde derzeit in Zusammenarbeit von deutschen und italienischen Behörden geprüft, ob es sich bei der Waffe, die bei Amri in Mailand sichergestellt wurde, um dieselbe Waffe handelt, aus der in Berlin auf den Fahrer des Lkw geschossen wurde. Bisher stehe lediglich fest, dass im Inneren des Lastwagens ein Projektil gefunden wurde, dessen Kaliber mit dem der Mailänder Waffe übereinstimme. Ob das Projektil im Lkw aus derselben Waffe stamme, müsse aber noch genauer ballistisch untersucht werden.

Der Todeszeitpunkt des polnischen Fahrers, mit dessen Lkw der Anschlag verübt wurde, konnte noch nicht genau festgestellt werden. Die Sprecherin sagte, nach dem vorläufigen Obduktionsbericht bestehe eine zeitliche Nähe zum Anschlag. Messerstiche seien nicht festgestellt worden. Die genaue Klärung des Todeszeitpunkts erfolge mit dem abschließenden Obduktionsbericht Mitte Januar.

Ermittlungen laufen weiter - noch viele Fragen offen

Besonders zum Aufenthalt Amris in Nordrhein-Westfalen sind noch einige Fragen offen. Nordrhein-Westfalen war einer der Hauptaufenthaltsorte des Tunesiers, in dem Bundesland liegt auch die für ihn zuständige Ausländerbehörde. Der 24-Jährige benutzte dort mehrere Identitäten, um Sozialleistungen zu erschleichen. Nun verlangt die Opposition im Düsseldorfer Landtag Aufklärung über die Aktivitäten des mutmaßlichen Weihnachtsmarkt-Attentäters.

Amri habe im November 2015 unter zwei Namen Sozialleistungen in Emmerich und in Oberhausen beantragt. "Es geht um eine Überschneidungszeit von wenigen Tagen", sagte ein Sprecher der Duisburger Staatsanwaltschaft. Im November sei das Verfahren eingestellt worden, weil nicht bekannt gewesen sei, wo sich Amri aufhalte. Der Sprecher konnte nicht sagen, ob die Staatsanwaltschaft im April schon gewusst habe, dass Amri als sogenannter Gefährder beobachtet wurde, dem ein Anschlag zugetraut wurde.

Nach WDR-Recherchen soll Amri auch im Ruhrgebiet deutlich besser vernetzt gewesen sein als bislang angenommen. Unter anderem habe er mehrere Moscheen besucht und auch in einer von ihnen übernachtet. CDU-Landeschef Armin Laschet äußerte Kritik: "Wenn die Enthüllungen stimmen, dass ein ausreisepflichtiger terroristischer Gefährder, der den Behörden bekannt ist, sich völlig frei bewegen und in radikalen Moscheen im Ruhrgebiet ungestört Hass predigen kann, dann ist dies der absolute Tiefpunkt von sechs Jahren rot-grüner Innenpolitik in NRW, der jetzt schonungslos aufgeklärt werden muss."

Linke spricht von "Behördenversagen"

Die Linke wirft den Sicherheitsbehörden im Fall des mutmaßlichen Attentäters von Berlin so schwere Fehler vor wie im Fall der rechten Terrorgruppe NSU. Das "Versagen" im Fall Anis Amri gleiche demjenigen beim Umgang mit dem Nationalsozialistischen Untergrund, sagt Linke-Fraktionsvize Frank Tempel der Berliner Zeitung vom Freitag. "Ich sehe auf jeden Fall ein Behördenversagen." Es habe genug Hinweise gegeben, die Toten des Anschlags auf den Berliner Weihnachtsmarkt hätten verhindert werden können.

Einen Untersuchungssausschuss, wie er sich derzeit mit dem NSU befasst, sei vor der Bundestagswahl im kommenden Herbst nicht mehr zu schaffen. "Aber wenn der Fall nicht aufgeklärt wird, dann müssen wir nach der Bundestagswahl einen Untersuchungsauftrag beantragen", sagte Tempel.

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