Anschlag auf Weihnachtsmarkt in Berlin:Plötzlich Zweifel am Ermittlungserfolg

  • Berlins Polizeipräsident Klaus Kandt hat auf einer Pressekonferenz Zweifel geäußert, ob der Festgenommene der Attentäter vom Breitscheidplatz ist.
  • Kurz darauf verkündet auch Generalbundesanwalt Peter Frank: "Wir müssen uns eventuell mit dem Gedanken vertraut machen, dass der Festgenommene nicht der Täter ist oder zur Tätergruppe gehört."
  • Die Berliner Polizei ruft über Twitter zu Wachsamkeit auf und appelliert an die Bürger, sich bei verdächtigen Beobachtungen zu melden.

Von Johanna Bruckner

Eigentlich sollte die Pressekonferenz am Dienstagmittag Klarheit bringen: Wer ist der Mann, der am Montagabend an der Siegessäule festgenommen worden war? Jener Mann, der im Verdacht steht, den verheerendsten Anschlag seit Langem in Deutschland verübt zu haben? Am Montagabend hatte ein eventuell gekaperter Lkw auf dem beliebten Weihnachtsmarkt vor der Gedächtniskirche am Breitscheidplatz in Berlin-Charlottenburg elf Menschen überfahren und getötet. Fast 50 Menschen wurden verletzt, 18 schweben noch in Lebensgefahr (die aktuellen Entwicklungen lesen Sie im Liveticker). Der polnische Speditionsfahrer wurde später erschossen auf dem Beifahrersitz gefunden.

Doch dann ergreift der oberste Polizist der Hauptstadt das Wort - und ein einziger Satz von Polizeipräsident Klaus Kandt wirft die Berliner und die restliche Republik zurück in die Verunsicherung, in die Angst: "Es ist derzeit unsicher, ob er wirklich der Fahrer war", sagt Kandt. Kurz darauf verkündet auch der Generalbundesanwalt Peter Frank auf einer eigenen Pressekonferenz: "Wir müssen uns eventuell mit dem Gedanken vertraut machen, dass der Festgenommene nicht der Täter ist oder zur Tätergruppe gehört."

Meldungen vom späten Vormittag, wonach der Festgenommene in ersten Vernehmungen die Tat bestritten haben soll, bekommen durch die Aussagen von Polizeipräsident und Generalbundesanwalt eine neue Brisanz. Kandt bestätigt, dass der Verdächtige die Schuld von sich weise: "Wir tun alles, um den Tatverdacht zu erhärten. Sollte das nicht der Fall sein, wird die Fahndung weitergehen."

"Wir haben noch kein Bekennervideo"

Innenminister Thomas de Maizière hatte am Vormittag verkündet, dass es sich zweifelsfrei um einen Anschlag handele. Welche Motivlage jedoch konkret hinter der tödlichen Lkw-Fahrt steckt, ist nach wie vor unklar. "Wir haben noch kein Bekennervideo", erklärt Bundesanwalt Frank. Der Modus operandi des Anschlags und das symbolträchtige Ziel deuteten zwar auf einen islamistischen Hintergrund hin. Allerdings sei bekannt, dass es im "Phänomenbereich des Terrorismus" Nachahmungstäter gebe.

Im Laufe des Dienstagmorgens waren immer mehr Informationen über den vermeintlichen Täter bekannt geworden: Er soll 27 Jahre alt sein und aus Pakistan stammen. Er reiste den Angaben zufolge Silvester 2015 als Flüchtling nach Deutschland ein. Das Asylverfahren wurde nie abgeschlossen, weil mehrere Versuche einer Anhörung nicht zustande kamen. Er war den Behörden bislang nicht als Islamist aufgefallen, wohl aber wegen kleinerer Delikte polizeibekannt.

Offiziell dauern die Ermittlungen gegen ihn an, wichtige Untersuchungsergebnisse stehen aus. So werden sowohl der Sattelschlepper als auch der Verdächtige auf Spuren hin untersucht. "Fingerabdrücke, Blut, Schmauchspuren, das müssen wir klären", sagte Polizeipräsident Kandt der dpa.

Erste Medien gehen bereits einen Schritt weiter: Die Welt berichtet online unter Berufung auf ranghohe Sicherheitskreise, der wahre Täter befinde sich noch auf der Flucht. Die Zeitung zitiert eine nicht näher benannte Quelle bei der Berliner Polizei: "Wir haben den falschen Mann und damit eine neue Lage. Denn der wahre Täter ist noch bewaffnet auf freiem Fuß und kann neuen Schaden anrichten." Auch Zeit online schreibt mit Bezug auf Sicherheitskreise, derzeit gelte als nahezu sicher, dass die Polizei den falschen Mann festgenommen habe. Ein Reporter des Berliner Tagesspiegels schreibt auf Twitter, ein Zeuge habe den Täter nach dem Anschlag aus den Augen verloren.

Bislang sind diese Informationen von offizieller Seite noch nicht bestätigt. Auf der Pressekonferenz erklärt der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch: "Wir sind hochalarmiert und ermitteln in alle Richtungen, um mögliche Personen, die tatbeteiligt sind, zu identifizieren und ihrer habhaft zu werden." Aus dem Lkw sei übereinstimmenden Zeugenberichten zufolge allerdings nur eine Person ausgestiegen. Die Berliner Polizei ruft die Bevölkerung derweil zu Wachsamkeit auf:

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