Anschläge in Paris:Abdelhamid Abaaoud - vom Dieb zum Terror-Drahtzieher

Abdelhamid Abaaoud

Undatiertes Foto von Abdelhamid Abaaoud, der als Drahtzieher hinter den Terroranschlägen von Paris vermutet wird.

(Foto: AP)

"Er war ein kleiner Idiot", sagt ein ehemaliger Schulkamerad über Abdelhamid Abaaoud. Heute ist der Belgier einer der meistgesuchten Terroristen Europas. Sogar seine Familie wünscht ihm den Tod.

Von Esther Widmann

Hinter den Anschlägen von Paris vermuten die Ermittler einen jungen Mann aus Belgien: Abdelhamid Abaaoud.

Abdelhamid Abaaoud, Jahrgang 1987, ist in Molenbeek in einer aus Marokko stammenden Familie aufgewachsen. Aber besonders benachteiligt, wie es offenbar viele Menschen mit ausländischen Wurzeln in diesem Brüsseler Vorort sind, war seine Familie eigentlich nicht. Die Straße, in der er mit seinen Eltern und fünf Geschwistern lebte, soll eine der besseren im Ort sein, der Vater besaß ein Geschäft.

Vom Diebstahl zum Dschihad

Am renommierten Collège Saint-Pierre in Uccle bei Brüssel begann er, negativ aufzufallen. Er soll Mitschüler und Lehrer belästigt haben und beim Stehlen von Brieftaschen erwischt worden sein. "Er war ein kleiner Idiot", sagte ein ehemaliger Schulkamerad dem belgischen Boulevardblatt La Dernière Heure. Nach einem Jahr verließ er die Schule wieder - ob er durchfiel oder wegen Fehlverhaltens von der Schule flog, ist unklar.

Klar ist: Aus den Diebstählen wurden größere Nummern. Vor fünf Jahren standen Abaaoud und einer der Brüder Abdeslam gemeinsam wegen Raubes und anderer Delikte vor Gericht. Völlig offen ist, wie, wann und warum er sich radikalisierte. Der New York Times sagte seine ältere Schwester im Januar, weder Abdelhamid noch sein kleiner Bruder seien auch nur in die Moschee gegangen.

Doch nach einiger Zeit im Gefängnis und in Brüsseler Drogenhöhlen ging Abaaoud Anfang 2014 plötzlich nach Syrien, zum Dschihad mit den Mördern des selbsternannten "Islamischen Staats". In den Medien erregte er Aufmerksamkeit, als er seinen damals 13-jährigen Bruder als Kämpfer nach Syrien holte - jenen Bruder, der sich früher auch nicht für Religion interessiert hatte.

Seine Familie betet, dass er tot ist

Abaaoud lässt sich laut Berichten belgischer Medien auch Abu Omar Soussi nennen, nach der Region in Marokko, aus der seine Familie stammt. Oder Abu Omar al-Baljiki, was "Abu Omar der Belgier" bedeutet. Auf Fotos posiert er mit Gewehren oder dem Koran. Irgendwann taucht ein Video auf, indem Abdelhamid Abaaoud Leichen von in seinen Augen Ungläubigen schändet.

Im Oktober 2014 bekommt seine Familie einen Anruf aus Syrien: Abaaoud sei im Irak als Märtyrer gestorben. Die Familie reagiert nicht mit Trauer - sondern mit Erleichterung: "Wir beten, dass Abdelhamid wirklich tot ist", zitierte die belgische Zeitung De Standaard im Januar seine ältere Schwester.

Doch im Januar taucht sein Name wieder auf, bei der Razzia in Verviers unmittelbar nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt.

Beim Zugriff der Polizei in Verviers sprengen sich zwei Islamisten in die Luft. Abdelhamid Abaaoud ist nicht dabei. Aus Griechenland soll er mit den in Verviers Getöteten telefoniert haben. Eine Razzia in Athen schlägt jedoch ebenfalls fehl.

Der Vater schämt sich für seinen Sohn

Am 12. Februar veröffentlicht das Propaganda-Magazin der Terrormiliz ein Interview mit ihm, in dem er sich rühmt, mit zwei anderen Kämpfern (beide mit dem Namenszusatz "al-Baljiki", der Belgier) nach Belgien eingereist zu sein - trotz "einer Reihe von Schwierigkeiten", etwa eine Personenkontrolle. "Mein Name und mein Bild waren überall in den Nachrichten, trotzdem konnte ich in ihrem Land bleiben, Operationen gegen sie planen und ungehindert weggehen, als es nötig war" protzt er. Ob das Interview echt ist, steht nicht fest. Die beiden von ihm genannten Mitreisenden waren eben jene beiden, die sich in Verviers in die Luft sprengten.

Im Juli verurteilte ein Brüsseler Gericht ihn wegen seiner Rolle bei der Rekrutierung von Syrien-Kämpfern in Abwesenheit zu 20 Jahren Haft.

Die belgische Zeitung La Dernière Heure sprach kurz nach Verviers mit Abaaouds Vater. "Ich kann nicht mehr. Meine Kräfte sind am Ende. Ich schäme mich für Abdelhamid, meinen Sohn. Er hat unser Leben ruiniert." Und dann stellte er die Frage, die sich gerade alle stellen: "Warum in Gottes Namen will er unschuldige Belgier töten?"

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