Anschläge auf Flüchtlingsheime:Nicht mit uns

Tröglitz, Sachsen-Anhalt: 300 Bürger demonstrieren für Gastfreundschaft. Eilenburg, Sachsen: Eine Bürgerinitiative kämpft gegen eine Unterkunft für Asylbewerber.

Von Ulrike Nimz und Cornelius Pollmer

Wer sich in diesen Tagen die Bilder aus Rostock-Lichtenhagen anschaut, aus Mölln oder aus Solingen, der glaubt ein Deutschland vor unserer Zeit zu sehen. Brennende Dachstühle? Krakeelende Menschen, einen Steinwurf vom Flüchtlingsheim entfernt? Eine apathische Gesellschaft, die ratlos das Unheil beobachtet? Haben wir hinter uns gelassen, kommt nie wieder vor, versprochen.

Und nun: Wird in Malterdingen eine geplante Flüchtlingsunterkunft unter Wasser gesetzt. Wird in Escheburg ein brennender Benzinkanister in ein Mehrfamilienhaus geworfen, in das Menschen aus dem Irak einziehen sollten. Versammeln sich in Dortmund Rechtsextreme mit Fackeln vor einer Flüchtlingsunterkunft. Willkommen in Deutschland 2015, das Jahr fängt an, wie es aufgehört hat. Im Dezember stehen im mittelfränkischen Vorra drei Gebäude in Brand, auf ein weiteres werden Neonazi-Parolen und zwei Hakenkreuze gesprüht. 350 Menschen demonstrieren gegen Fremdenhass. Es gibt einen kurzen Aufschrei der Öffentlichkeit - und gut ist, obwohl nichts gut ist, im Deutschland unserer Zeit.

Man muss nur ein paar Zahlen austauschen, schon ist man in Tröglitz, Sachsen-Anhalt. 40 Flüchtlinge sollen kommen, auch hier brennt ein Haus, 300 Menschen demonstrieren. Der Aufschrei ist ein anderer, er hallt länger nach, im Subtext vieler Berichte steht nicht mehr "Einzelfall", sondern: "typisch Osten".

Fremdenfeindlichkeit in der Mitte der Gesellschaft, Neonazis, gibt es in Ost wie West, und hüben wie drüben gibt es nur unzureichend Diskurs darüber. Dass dieses Problem im Osten besonders groß ist, entlastet niemanden. Dass dieses Problem im Osten besonders groß ist, hat nicht erst der Fall Tröglitz bewiesen. Der wütende Protest gegen "Asylmissbrauch" und "Systemmedien" ist längst von den breiten Straßen der Pegida-Hauptstadt Dresden in die Gässchen der Provinz geschwappt.

Unbekannte werfen Scheiben bei der Zeitung ein. Der OB macht einen Witz darüber

Eine Reise nach Eilenburg, 25 Zugminuten von Leipzig entfernt. Die Lokalredaktion der Leipziger Volkszeitung (LVZ) liegt direkt am Markt. Drinnen hängen T-Shirts, auf denen steht "Zuggorschnägge" und Kalender mit Ostsee-Impressionen. Nur sehen kann man das von außen nicht. Wo einst Glas war, ist jetzt Pressspan. Heike Liesaus, seit 2006 Redakteurin in Eilenburg, sitzt allein in ihrem Büro - ein Hinterzimmer mit Gittern vor den Fenstern. Die Gitter seien schon vorher da gewesen, erklärt sie und lächelt matt. Mitte März warfen Unbekannte Feldsteine in die Fenster zur Hauptstraße und schmierten Bitumenfarbe an die Fassade, sprühten in ungelenken Lettern das Wort "Lügenpresse" daran. Ob der Angriff nun von rechts oder links, warum er überhaupt kam, weiß Heike Liesaus nicht. Kein seitenlanger Artikel über die örtliche Neonazi-Szene war dem Anschlag vorausgegangen. Auch der Text zur neu gegründeten Bürgerinitiative liegt schon etwas zurück. "Unser Eilenburg" heißt die, und es geht nicht darum, Bäume zu pflanzen oder Parkplätze zu schaffen, sondern darum, ein Asylbewerberheim zu verhindern, für das noch nicht einmal ein Ort gefunden ist, erst gefunden werden soll. Bei Facebook gefällt das knapp 900 Menschen. Der Artikel von Liesaus dazu ist sachlich und unaufgeregt - auch wenn der Protest von der NPD organisiert war. Sie nimmt den Anschlag nicht persönlich, die Scherben, die Farbe, das alles sei eher eine technische Angelegenheit gewesen. "Für viele Menschen sind wir nur noch die Überbringer schlechter Nachrichten", sagt sie und hebt die Schultern.

Brand in zukünftiger Asylbewerberunterkunft

Repräsentieren sie das wahre Tröglitz? Demonstranten mit Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (r., CDU) nach dem Brandanschlag.

(Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Kann man sich an so etwas gewöhnen? Der Anschlag von Eilenburg ist kein Einzelfall, er ist es genauso wenig wie das brennende Haus in Tröglitz. In Leisnig, 50 Kilometer entfernt, stürmte 2009 ein Mann die Redaktion mit einer Axt. In Chemnitz stürmten Vermummte 2011 die Geschäftsstelle der Freien Presse und verteilten Papierschnipsel. Zuvor hatten Neonazis bei Facebook darüber diskutiert, "die Hütte abzufackeln". 2012 hängten Unbekannte Tierkadaver an das Redaktionsschild der Lausitzer Rundschau in Spremberg, "Lügenpresse halt die Fresse" stand an den Fenstern. "Erlebnisorientierte Aktionsformen" nennt der Verfassungsschutz so etwas.

Nun sind Lokalredaktionen keine Flüchtlingsheime. Sie sind offen für alle und in vielen kleineren Städten Touristeninformation und Anlaufpunkt für Bürger. Als Heike Liesaus am Tag des Anschlags die Redaktion betritt, halten sich die Solidaritätsbekundungen in Grenzen. Als die LVZ auf ihrer Facebook-Seite über den Vorfall berichtet, ist der erste Kommentar: "Richtig so!" Und als die Redakteurin am selben Tag einen Termin im Rathaus gegenüber wahrnimmt, kritisiert der Oberbürgermeister einen Beitrag, in dem Eilenburgs Radwege nicht gut wegkommen: Er habe an diesem Morgen selbst nicht übel Lust gehabt, die Scheiben einzuwerfen.

Hubertus Wacker ist seit 1994 Oberbürgermeister von Eilenburg. Im August wird er sein Amt niederlegen - freiwillig. In einer Zeit, in der Bürger vor die Haustüren von Politikern spazieren und Dachstühle brennen, ist das nicht selbstverständlich. Wacker ist stolz auf sein Büro, stolz auf sein Amt, stolz auf sich. Er hat Parkett verlegen und die Wände vertäfeln lassen. "Man muss sehen, dass hier der Bürgermeister sitzt", sagt Wacker. "Die Bürger wollen das so". Was die Bürger wollen - wer sollte das nach 20 Jahren besser wissen als Wacker?

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Als die Initiative "Unser Eilenburg" vor das Rathaus zog, gab es keine Gegendemo, kein Polizeiaufgebot. Freimütig erzählt Wacker, dass er sich Jugendliche aus dem linken Spektrum zuvor zur Brust genommen hat: "Wenn ihr Stunk macht, schließe ich euren Club." Was sie durften: bunte Tücher aus den Rathausfenstern hängen. Wacker nennt diesen Teil der Eilenburger Jugend "meine kleinen Weltverbesserer", Heike Liesaus ist für ihn "die Kleine" von der Presse. Das mit dem Scheibeneinschmeißen sei ein Witz gewesen, ein schlechter, zugegeben. Er heiße auf keinen Fall gut, was da passiert sei, sagt Wacker, aber wirklich überrascht habe es ihn auch nicht.

Hubertus Wacker ist ein Bilderbuch-Patriarch. Ein Mann, der nur aus Meinung zu bestehen scheint. Einer, der einen Satz sagt, und sich im nächsten dafür entschuldigt. Auf Tröglitz und den Rücktritt des ehrenamtlichen Bürgermeisters Markus Nierth angesprochen, kommt wieder so ein Ding: "Wenn die vor mein Haus ziehen würden, bräuchte ich keine Polizei, um das zu klären", sagt Wacker und stellt für 20 Sekunden das Blinzeln ein. Ist das nur Wild-Ost-Gebaren eines Mannes, der weiß, dass sich mit all dem bald andere herumschlagen müssen? Oder hat hier einer über Jahre die demokratischen Verhältnisse im Ort nach seinen Vorstellungen geformt?

Wacker hat nach eigenem Bekunden keinerlei Sympathien für rechts, und man glaubt ihm das. An Asylbewerber müssten sich die Bürger über kurz oder lang gewöhnen, sagt er. "Aber im hintersten Kämmerchen" gebe es bei den Menschen im Osten dieses Angst-Gen. "Den meisten war doch schon mulmig, wenn sie in der DDR drei Mosambikaner auf dem Marktplatz gesehen haben. Und wenn die ein Mädchen nicht so behandelt haben, wie man das tut, gab's eben auf die Nase." Bleibt die Frage, ob einer, der die Seele der Ostdeutschen so gut zu kennen glaubt, nicht immer auch ein bisschen von sich selbst spricht.

Anschläge auf Flüchtlingsheime: Das Büro der Leipziger Volkszeitung in Eilenburg, Mitte März. Wer macht so etwas, warum? Keiner weiß es.

Das Büro der Leipziger Volkszeitung in Eilenburg, Mitte März. Wer macht so etwas, warum? Keiner weiß es.

(Foto: LVZ)

"Deutsche Zustände" heißt eine Studie der Universität Bielefeld, die über einen Zeitraum von zehn Jahren untersuchte, wie weit menschenfeindliche Einstellungen in Deutschland verbreitet sind. Sie zeigt vor allem eines: Rechtsextreme sind immer dort stark, wo ihre Gegner schwach sind. Dem Osten attestieren die Autoren Skepsis vor gesellschaftlicher Vielfalt, ausgeprägteres autoritäres Denken als Folge des DDR-Regimes. Regine Hildebrandt, die ehemalige brandenburgische Sozialministerin und "Mutter Courage des Ostens", hatte nicht ohne Grund die Figur des "Kümmerers" erfunden. Hubertus Wacker ist nicht ohne Grund 20 Jahre im Amt.

Abstiegsangst und politische Gleichgültigkeit, auch das belegt die Bielefelder Studie, haben seit dem 11. September 2001 und seit der Einführung von Hartz IV in ganz Deutschland messbar zugenommen. Und wer seinen Status bedroht fühle, neige stärker dazu, Schwächere abzuwerten. Blühende Landschaften, könnte man sagen, gibt es in Ost und West. Nur wächst das Unkraut im Osten ungestörter.

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