Anschläge auf Flüchtlingsheime:Feuer aus der Mitte der Gesellschaft

Brandanschlag auf Flüchtlingsunterkunft in Tröglitz

Blick auf den durch ein Feuer beschädigten Dachstuhl der geplanten Asylunterkunft in Tröglitz (Sachsen-Anhalt).

(Foto: dpa)
  • Die Zahl der Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte ist in den letzten Monaten dramatisch angestiegen.
  • In 40 Fällen handelt es sich um Anschläge auf bewohnte Häuser, 21 richteten sich gegen geplante Unterkünfte. Die meisten Brandstiftungen hat es in Sachsen gegeben.
  • Der Historiker Wolfgang Benz spricht von einer "Selbstradikalisierung" über soziale Netzwerke.

Von Lena Kampf und Christian Baars

Als es mitten in der Nacht brannte, habe sie sehr laut geschrien, sagt die Tschetschenin Malina T. Unter ihrem Fensterbrett war ein Molotowcocktail zerschellt, dadurch war sie wach geworden. Mit den beiden Söhnen sei sie aus dem Haus gerannt, erzählt sie, während ihr Mann Ismail schnell die anderen Bewohner alarmierte.

Niemand wurde verletzt beim Brandanschlag auf das Asylbewerberheim in Groß Lüsewitz bei Rostock am 12. Oktober 2014. Lange waren die beiden mit Benzin gefüllten Bierflaschen, Marke Hasseröder, die einzige Spur. Erst nach mehr als zehn Monaten ermittelte die Polizei Rostock zwei Tatverdächtige. Die Männer, 25 und 26 Jahre alt, sitzen seit Ende August wegen des Verdachts auf versuchten Mord in Untersuchungshaft.

Aufklärungsquote bleibt niedrig

Ein seltener Ermittlungserfolg. Denn während die Zahl der Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte in den letzten Monaten dramatisch angestiegen ist, bleibt die Aufklärungsquote der Taten niedrig. Mindestens 61 Brandstiftungen mit einem möglichen fremdenfeindlichen Hintergrund hat es in diesem Jahr nach Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung gegeben, allein 37 seit Mitte Juli. Doch nur in zehn Fällen wurden bislang Tatverdächtige ermittelt.

Das Bundeskriminalamt (BKA) wertet Straftaten auf Asylbewerberunterkünfte zwar aus, zählt dabei Brandanschläge aber nicht separat. Eine bundesweite Umfrage bei den zuständigen Ermittlungsbehörden gibt aber Aufschluss darüber, bei welchen Fällen Polizei und Staatsanwaltschaft von einer Brandstiftung ausgehen und fremdenfeindliche Motive in Betracht ziehen.

In 40 Fällen handelt es sich um Anschläge auf bewohnte Häuser, 21 richteten sich gegen geplante Unterkünfte. Die meisten Brandstiftungen hat es in Sachsen gegeben. 15 Mal versuchten dort Täter, Flüchtlingsunterkünfte in Brand zu stecken, in drei Fällen ermittelten die sächsischen Behörden Verdächtige.

Bundesweite Anschläge

Erst am Montag schleuderten Unbekannte in Nordrhein-Westfalen einen Brandsatz gegen ein Haus in Porta Westfalica, in dem 37 Asylbewerber leben. In der Woche zuvor brannten Häuser in Thüringen und Baden-Württemberg, in Berlin warfen Unbekannte bengalisches Feuer auf das Gelände einer Unterkunft, in Dortmund wurden Molotowcocktails in eine ehemalige Schule geschleudert, die als Heim genutzt werden sollte.

Sind die Taten Ausdruck eines rechten Terrors? Eine organisierte Struktur hinter den Angriffen ist für die Ermittler bislang nicht zu erkennen. Zwar hat der Generalbundesanwalt nach den Ausschreitungen von Heidenau damit begonnen, seine Zuständigkeit zu prüfen, die Anschläge scheinen den Ermittlungsbehörden aber Schwierigkeiten zu bereiten.

In einem vertraulichen Papier analysiert das BKA: "Konkrete Hinweise auf organisationsgesteuerte Gewaltstraftaten" lägen nicht vor. Allerdings schlachte die rechte Szene die Anschläge propagandistisch aus. Das BKA spricht von einer "hetzerischen Aufbereitung" und sagt, dass Taten "emotionalisierter Einzeltäter, die keinerlei ideologische Anbindung an rechte Strukturen haben, zumindest einzukalkulieren" seien.

Kreis der möglichen Täter ist groß

"Wir haben es mit der ganzen Breite der Bevölkerung zu tun. Es ist nicht immer der klassische Rechtsextremist, der schon viele Vorstrafen hat", sagt Bernd Merbitz, Leiter des Operativen Abwehrzentrums (OAZ) in Leipzig, das zuständig ist für politische Straftaten in Sachsen. Die Aufklärung der Anschläge sei schwierig, weil der Kreis möglicher Täter sehr groß sei.

Die Brandstifter, sagt auch Maren Brandenburger, Leiterin des Landesamts für Verfassungsschutz in Niedersachsen, gehörten zu einem großen Teil noch nicht einmal dem Rechtsextremismus an. Fremdenfeindliches, rassistisches Denken scheine insgesamt als Bodensatz vorhanden zu sein. "Da verüben junge Leute Taten und wähnen sich dabei in der Sicherheit einer Gemeinschaft, innerhalb derer dieses Denken salonfähig ist", sagt die Amtsleiterin. Diejenigen, die diese Taten verübten, "glauben möglicherweise Vollstrecker eines solchen Willens der Gemeinschaft, des sogenannten Volkswillens zu sein".

Bestrafte Solidarität

Gerstungen, Thüringen, am Wochenende. Vor einer Woche hat hier ein leer stehendes Einfamilienhaus gebrannt, nachdem die Besitzerin angekündigt hatte, es syrischen Flüchtlingen zur Verfügung zu stellen. Beim Kirmesumzug im Ort heißt es auf einem Plakat: "Abgebrannt ist uns're Hütte. Gebt uns Asyl, bitte, bitte! Aber kein Container, nein. Kann es vielleicht ein Schlösschen sein?"

Die Bewohner des Orts, so wirkt es, zeigen durchaus ein gewisses Verständnis für den Brandanschlag: Viele Menschen seien verunsichert, da der Staat angeblich "alle rein" lasse und zu wenig "fürs eigene Volk" tue. Die Anschläge würden letztlich "den Unmut der Bevölkerung" zeigen. "Wenn wir nicht gehört werden, dann passiert halt so was", sagt eine Frau einem Reporter des ARD-Magazins Panorama ins Mikrofon. "Dann gibt es halt Menschen, die machen das."

"Selbstradikalisierung" über soziale Netzwerke

Der Historiker Wolfgang Benz, der sich in seiner Forschung mit Antisemitismus und Rassismus befasst, spricht von einer "Selbstradikalisierung". Sie erfolge über soziale Netzwerke, in denen sich die Täter mit Gleichgesinnten verständigten. Das könne zu einem "Größenwahn" führen, nämlich der Annahme, man sei in der Mehrheit. Und wenn man sich in der Mehrheit fühle, könne man auch glauben, dass einem weniger geschehe, "wenn man zur Selbstjustiz greift", sagt Wolfgang Benz.

Die Tschetschenin Malina T. wohnt mit ihrer Familie heute in einer anderen Wohnung in dem Heim in Groß Lüsewitz, die Fassade des Hauses ist in einem frischen Grün gestrichen. Erst seitdem die Männer festgenommen worden sind, fühle sie sich wieder sicher, sagt Malina T.

Wegen der laufenden Ermittlungen will die Staatsanwaltschaft Rostock die Hintergründe der Festnahme nicht weiter kommentieren. Die beiden mutmaßlichen Täter jedoch stammen offenbar aus dem Dorf und einem Nachbarort.

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