Anklage gegen Christian Wulff:Geteilte Rechnung, doppelter Ärger

Christian Wulff

Er spricht von "Menschenjagd unter Einschluss der Familie": Christian Wulff fühlt sich verfolgt.

(Foto: dpa)

Christian Wulff hat sich entschieden: Er besteht auf Einstellung des Verfahrens gegen sich selbst. Die Staatsanwaltschaft versucht noch immer, den Ex-Bundespräsidenten anhand eines Hotelaufenthalts für korrupt zu erklären. Dabei können sich manche der befragten Zeugen nicht einmal mehr an Wulff erinnern - wohl aber an Lothar Matthäus.

Von Hans Leyendecker und Ralf Wiegand

Bisher war es eine Angelegenheit vermeintlich großer Diskretion, das Schachern ums Finale der Ermittlungen im Fall Christian Wulff. Einstellung? Strafbefehl? Anklage? Deal? Am Dienstag haben die Anwälte des Bundespräsidenten a. D. nun endgültig die Deckung verlassen: In Hannover erklärten sie, Wulff werde die Einstellung des Verfahrens "zu den von der Staatsanwaltschaft genannten Bedingungen nicht akzeptieren". Das Verfahren sei ohne Wenn und Aber einzustellen; eine Zahlung von 20.000 Euro werde es nicht geben.

Wulff will also notfalls vor Gericht seine Unschuld beweisen. Er habe sich nicht bestechen lassen. Da auch der mitbeschuldigte Filmfinanzier David Groenewold, 40, die von ihm verlangten 30.000 Euro nicht zahlen wird, weil er darauf beharrt, seinen langjährigen Freund Wulff, 53, nie bestochen zu haben, können die Ermittlungen auf diese Weise nicht enden. Entweder stellt die Staatsanwaltschaft Hannover bedingungslos ein - oder sie macht ernst und formuliert eine Anklage nach diesem "langen und beispiellosen" Verfahren, wie die Wulff-Seite es beschrieben hat.

Bis Mitte März waren die Ermittler noch von einer Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung in drei Fällen ausgegangen. Einigermaßen groß war die Überraschung bei Beteiligten wie Beobachtern, als die Staatsanwaltschaft dann in einem letzten Schritt zwar zwei der drei Verdachtsfälle aufgab, den letzten verbliebenen aber plötzlich als Bestechung und Bestechlichkeit wertete.

Die Frage ist nun, ob die Behörde beweisen kann, dass Wulff eine Art Bittbrief an Siemens geschrieben hat, um dort Unterstützung für einen Film zu erreichen, in den Groenewold indirekt über einige seiner Firmen involviert war. Und ob Groenewold ihn dafür irgendwie bezahlte.

Sind 230 Euro pro Nacht für ein Hotelzimmer auffällig günstig?

Demnach soll das so gelaufen sein: Wulff und Groenewold besuchten 2008 gleichzeitig das Münchner Oktoberfest und nächtigten im Bayerischen Hof, einem Fünf-Sterne-Hotel im Zentrum der bayerischen Metropole. Für zwei Nächte in der Juniorsuite vom 26. bis 28. September sollte Wulff, so wurde ihm beim Auschecken am Morgen des 28. September an der Rezeption mitgeteilt, 577,90 Euro bezahlen: 460 Euro fürs Zimmer, zweimal Garagenmiete zu je 27 Euro, 19,90 Euro Minibar und 44 Euro Wäscherei. Wulff empfand die Summe angemessen, er zahlte per Kreditkarte.

Der CDU-Politiker will erst mehr als vier Jahre später erfahren haben, wie günstig er da zur Wiesn-Zeit in einer der teuersten Herbergen Münchens genächtigt hatte. Erst im Dezember 2012, zu Beginn der "Wulff-Affäre", habe er Kenntnis davon erlangt, dass sein Freund Groenewold damals 400 Euro seiner Hotelkosten beglichen hatte - angeblich ohne das Wissen des Ministerpräsidenten. Tatsächlich betrug der Zimmerpreis nämlich 430 Euro pro Nacht. Aus Freundlichkeit, wie es sein Wesen sei, sagt Groenewold, habe er den Mehrpreis übernommen, und weil es ihm peinlich gewesen sei, dass der Trip teurer als von ihm angekündigt geworden sei.

Wulff empfindet den angeblich heimlichen Zahlvorgang bis heute als irritierend, zumal da seine Staatskanzlei auch die höheren Kosten nach Überzeugung der Verteidigung übernommen hätte: Der Regierungschef hatte rund ums Volksfest dienstliche Termine wahrgenommen.

Ungewöhnliches Rechnungssharing

In seiner offenbar überflüssigen Großzügigkeit hatte Groenewold auch etwa 100 Euro für ein Kindermädchen für den Sohn der Wulffs bezahlt, das vom Hotel organisiert worden war. Dass die Kosten dafür auf der Rechnung fehlten, habe Wulff bald nach dem Auschecken gemerkt. Er habe Groenewold das Geld in bar gegeben.

Die Ermittler glauben jedoch, dass das ungewöhnliche Rechnungssharing so nicht abgelaufen ist. Sie unternahmen alles Mögliche, um herauszufinden, ob Groenewold und Wulff sich beim Auschecken abgesprochen haben könnten. Auf Fotos dokumentieren sie die Lobby des Hotels, markierten mit Pfeilen den Platz des Concierge, der Rezeption und der Kassen. Gäste, die im gleichen Zeitraum ausgecheckt hatten, wurden befragt: Einen machten sie in England ausfindig, der kannte aber "Mr. Wulff" nicht. Ein anderer konnte sich zwar an Lothar Matthäus und dessen damalige Frau erinnern, nicht aber an Wulff und Groenewold. Matthäus habe sich vorgedrängelt, mit einem fränkischen Spruch.

Die mögliche Anklage geht dennoch davon aus, dass Wulff im Gegenzug einen Brief an Siemens-Chef Peter Löscher geschrieben hat, indem er ihn um Unterstützung für den Film "John Rabe" bittet. Sie schließen das aus einer auf einer Festplatte von Groenewolds damaliger Sekretärin gefundenen Datei, in der der Filmfinanzier Wulff bittet, sich über seine "Kontakte" zu Löscher für den Film zu verwenden.

Wulff sagt, er sei ohnehin im Thema Rabe gewesen

Wulff schrieb im Dezember 2008 tatsächlich an Löscher und bat ihn, sich für die Auswertung des Films und bei einer Veranstaltung auf der Berlinale einzusetzen. Der Siemens-Manager Rabe hatte 1937 in China Hunderttausenden Chinesen das Leben gerettet. Siemens, mit seinem Braunschweiger Werk auch in Niedersachsen präsent, könnte so sein kulturelles und historisches Profil in China schärfen, so Wulff.

Wulff, so argumentiert die Verteidigung, sei schon 2004 bei einer ersten China-Reise auf die Bedeutung Rabes hingewiesen worden, und auch im Oktober 2008 habe ihn der damalige Vize-Premier Zhang bei einem weiteren Besuch Wulffs in China darauf angesprochen. Er sei unabhängig von Groenewold im Thema Rabe gewesen - er könne sich nicht einmal erinnern, dass der Brief Groenewolds ihn überhaupt erreicht habe. Weder Ausgang noch Eingang des Briefs an den "lieben Christian" sind belegt.

Groenewold selbst behauptet, er habe in der Sache John Rabe sowieso nur mit Wulff Kontakt aufnehmen wollen, weil er darum gebeten worden sei - von Benjamin Hermann, einem der Produzenten. Er selbst, Groenewold, habe überhaupt keine persönliche oder monetäre Motivation an einem Sponsor Siemens gehabt, außer seiner "normalen Freundlichkeit".

Eine verhängnisvolle Freundlichkeit - die beide nun womöglich vor Gericht bringt. Die Staatsanwaltschaft reagierte am Dienstag mit einem kühlen Vier-Zeiler auf die angriffslustigen Beschuldigten. Der Abschluss der Ermittlungen, schrieb sie, "steht unmittelbar bevor".

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