Angriffe auf Flüchtlinge:Wie Menschen zu Brandstiftern werden

Angriffe auf Flüchtlinge: Noch vor dem Einzug der Asylbewerber gab es einen Brandanschlag auf die geplante Unterkunft in Weissach.

Noch vor dem Einzug der Asylbewerber gab es einen Brandanschlag auf die geplante Unterkunft in Weissach.

(Foto: AP)

Erschüttert beobachtet die Mehrheit in Deutschland, wie die Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsheime zunimmt. Was wissen wir über die Ursachen? Wieso ist es so schwer, der Gewalt vorzubeugen?

Von Markus C. Schulte von Drach

Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte von Schmierereien bis hin zu Brandanschlägen haben in Deutschland erheblich zugenommen. Einerseits spielt dabei wohl die wachsende Zahl der Einrichtungen selbst eine Rolle. Mehr als in der Vergangenheit haben fremdenfeindliche Menschen solche Unterkünfte in unmittelbarer Nähe.

Andererseits aber sind es offenbar nicht mehr nur Neonazis und Mitglieder rechtsextremer Gruppen, die Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte verüben. So hat kürzlich eine Analyse des Bundeskriminalamtes (BKA) zu Tatverdächtigen ergeben, dass von 148 namentlich bekannten Verdächtigen lediglich 41 zuvor schon ähnliche Straftaten begangen hatten.

Das kann zwar bedeuten, dass von den übrigen 107 Verdächtigen etliche ebenfalls aus der einschlägigen rechten Szene stammen - irgendwann ist es für jeden Straftäter schließlich das erste Mal, dass er oder sie gegen das Gesetz verstößt oder erwischt wird.

Angebliche Bedrohung durch das Fremde

Beim BKA befürchtet man jedoch, dass die "hetzerische Aufbereitung" des Flüchtlingsthemas am rechten Rand der Gesellschaft einen "inhaltlich-ideologischen Konsens" hervorrufen könnte, berichtet der Spiegel. Es sei sogar davon auszugehen, dass dadurch "die Vorstellung einer völkischen Ideologie" weiter verstärkt werden könnte.

Mit anderen Worten: Ein beachtlicher Teil der Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte geht offenbar inzwischen auf das Konto von Menschen, die sich bislang zu keiner rechten Ideologie bekennen oder Mitglieder der rechten Szene waren. Es sind Menschen, die nicht mehr nur friedlich gegen Flüchtlinge protestieren wollen, sondern meinen, es sei notwendig, wegen der angeblichen Bedrohung durch Fremde gegen Gesetze zu verstoßen.

Von der Gruppenidentität zur Abwertung der Anderen

Hinter dieser Entwicklung steckt eine Reihe von Faktoren, die Sozialwissenschaftler seit Jahren untersuchen. Und während es in der Vergangenheit noch verpönt war, darauf hinzuweisen, ist es inzwischen weitgehend Konsens:

Der Fremdenfeindlichkeit und ihren Auswüchsen liegt zum einen ein tief verwurzeltes, latentes Misstrauen des Menschen gegenüber allem Unbekannten und Ungewohnten zugrunde. Ein Misstrauen, das sich - trotz aller Neugier - während der Evolution des Menschen offenbar als Überlebensvorteil erwiesen hat. Denn dem Unbekannten erst einmal mit Vorsicht zu begegnen - mit der Option, über das Kennenlernen Vertrauen zu entwickeln -, schützte vor möglichen Gefahren.

Zum anderen spielt das Bedürfnis eine wichtige Rolle, die Menschen in Gruppen zu unterteilen, um sich besser orientieren zu können. Das tun schon Kinder sehr früh. Solche Gruppen können sich über gemeinsame Wertvorstellungen ergeben, über Traditionen, Religionen, Ethnien, Sprachen bis hin zur Vorliebe für eine bestimmte Sportart oder einen Fußballklub. Und eine wichtige Unterscheidung von Gruppen ist die zwischen jenen, zu denen man sich selbst zählt, und allen anderen.

Unser Gehirn arbeitet mit Stereotypen

Die Erkenntnisse der Verhaltensbiologen deuten darauf hin, dass auch dieses Verhalten bereits in der Evolution des Menschen entstanden ist. Demnach hat sich der Homo sapiens in Kleingruppen entwickelt, die mit anderen Gruppen in Konkurrenz um begrenzte Ressourcen standen. Die Mitglieder dieser Gruppen waren auf Kooperation angewiesen, die nur funktioniert, wenn man sich kennt und vertraut, sagt etwa der Soziobiologe Eckart Voland von der Universität Gießen. Je größer solche Gruppen werden, desto weniger kennt man sich. Dafür können sich die Mitglieder an bestimmten Merkmalen erkennen, die für bestimmte Gruppen stehen. Und damit die Kategorisierung leichter und schneller funktioniert, arbeitet unser Gehirn auch mit Stereotypen, mit Vorurteilen.

Für den Einzelnen ist Sozialwissenschaftlern zufolge die Zugehörigkeit zu Gruppen ein wichtiger Aspekt der eigenen sozialen Identität. Als Mitglied werden wir von den anderen akzeptiert und geschätzt. Das führt zu einem höheren Selbstwertgefühl und dem Gefühl, mehr Einfluss zu haben, mehr Kontrolle, mehr Chancen, eigene Interessen durchzusetzen. Zugleich nehmen wir an den Mitgliedern der eigenen Gruppe eher gute Eigenschaften wahr als schlechte. Wer wollte schon einer Gruppe angehören, in der das umgekehrt wäre?

Dieses Verhalten ist für sich genommen weder gut noch schlecht. Es kann jedoch negative Folgen haben. Denn die Identifikation mit bestimmten Gruppen und die Neigung, diese aufzuwerten, birgt die Gefahr, dass wir andere Gruppen im Vergleich zu unserer eigenen abwerten.

Das wird besonders gefährlich, wenn Menschen Angst haben, in der Gesellschaft abgehängt zu werden, wenn sie Angst haben, den Job, die Wohnung oder den erarbeiteten Wohlstand zu verlieren, wenn sie fürchten, dass das vertraute Umfeld sich zu sehr verändert, wenn sie fürchten, nicht mehr dazu zu gehören.

Imaginäre Bedrohung und der Kampf gegen die Schwachen

Dabei muss die Gefahr nicht einmal real sein. Schon das Gefühl der Bedrohung reicht, damit manche Menschen versuchen, über Gruppenzugehörigkeiten Sicherheit zu gewinnen. Es kann dadurch ein "kollektives Bedrohungsgefühl entstehen", sagt etwa Andreas Zick vom Bielefelder Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung. "Eine Stimmung, die man mit anderen teilt." Zugleich neigen verängstigte Bürger dazu, sich andere Gruppen zu suchen, in die ein Bedrohungspotenzial projiziert werden kann. Wie Untersuchungen der Sozialwissenschaftler zeigen, sind das dann meist Gruppen, die noch schwächer sind oder noch weniger Einfluss haben als man selbst.

Dazu gehört zum Beispiel die Minderheit der Muslime in Deutschland und Europa, durch die angeblich eine Islamisierung der westlichen Gesellschaften droht. Oder die Flüchtlinge, von denen so viele zu uns kommen, dass Deutschland ihre Aufnahme angeblich nicht mehr verkraftet. Und die sich etwa aufgrund von Merkmalen wie der ethnischen Zugehörigkeit besonders leicht pauschal als anders, als fremd ausgrenzen und diffamieren lassen.

"Wir sind das Volk" gegen die Identitätskrise

Solche Gruppen sind, wie der Philosoph Byung-Chul Han von der Berliner Universität der Künste in der SZ geschrieben hat, ein imaginärer Feind, den sich Menschen, die sich abgehängt fühlen, konstruieren, um die Verantwortung für ihre Probleme nicht bei sich selbst suchen zu müssen. Sie externalisieren ihre Angst, indem sie sie auf einen imaginären Feind beziehen. "Hier ist wieder die Logik des Sündenbocks am Werk", so Byung-Chul Han. Mit dem Anspruch "Wir sind das Volk" kämpfen diese Menschen gegen ihre eigene Identitätskrise. "Der imaginäre Feind holt sie ins Sein zurück". Und zwar umso leichter, je weniger sie von den Flüchtlingen tatsächlich wissen.

Von einer Identitätskrise der Menschen als Christen, Europäer oder Deutsche spricht auch der französische Sozialwissenschaftler Olivier Roy vom Europäischen Hochschulinstitut im italienischen Fiesole. Die "feindselige Abgrenzung zum Islam" etwa ist ihm zufolge ihr Weg, sich ein imaginäres christliches Europa zu konstruieren.

Verstärkt werden diese Prozesse durch Neonazis und Rechtsextreme. Deren rechte Blut-und-Boden-Ideologie teilen viele Menschen gar nicht, die sich von Flüchtlingen bedroht fühlen. Aber im Widerstand gegen eine angeblich drohende Überfremdung gibt es zwischen ihnen eine Gemeinsamkeit, die die Rechten zu nutzen wissen, um die "Vorstellung einer völkischen Ideologie" zu verstärken, wie das BKA warnt.

Brandstifter als "Vollstrecker"

Dazu kommt, dass viele Kommunen offenbar schlecht auf die Aufnahme der Asylsuchenden vorbereitet sind und dass immer wieder gewarnt wird, die "Flüchtlingsflut" sei nicht zu bewältigen. Manche Politiker vermitteln zudem den Eindruck, bei den Migranten müsse man immer damit rechnen, dass sie Betrüger seien. Oder dass sich unter ihnen mögliche islamistische Extremisten befinden könnten. Auch das kann bei Menschen, die nicht unbedingt rechtsextrem sind, zu einer negativen Einstellung den Flüchtlingen gegenüber führen, zu Ablehnung und Abwertung.

Die Rechten wiederum sind insbesondere angesichts der großen Proteste gegen Migranten verführt anzunehmen, sie würden nur das tun, was viele Bürgerinnen und Bürger ebenfalls wollten, sich jedoch nicht trauten: Sich aktiv zu wehren. Die Brandstifter fühlten sich als "Vollstrecker" der fremdenfeindlichen Positionen, die durch Gruppen wie Pegida salonfähig geworden sind, schreibt etwa der Experte für Rechtsextremismus Toralf Staud in der Zeit.

Vertrauenskrise gegenüber dem Staat

Bereits 2013 warnte Andreas Zick angesichts der massiven Proteste gegen Flüchtlinge in der sächsischen Stadt Schneeberg vor dem Radikalisierungspotenzial, das in der Vertrauenskrise der Bürgerinnen und Bürger gegenüber dem Staat liege. "Eine unzufriedene Masse lässt sich von Meinungsmachern radikalisieren, rechte Propaganda kann genau hier wirksam werden", sagte Zick. Ende 2014 warnte dann seine Bielefelder Kollegin Eva Maria Groß im Focus vor einer gefährlichen Stimmung im Land. Das Angst- und Bedrohungspotenzial sei sehr groß, es gebe viele diffuse Ängste, mit denen sich die Menschen alleingelassen fühlten. "Und das kann schnell in Aggression und Gewalt umschlagen."

Zick fürchtet inzwischen sogar, dass sich vor diesem Hintergrund rechte terroristische Zellen wie der NSU bilden könnten. Auch in den 90er Jahren habe es eine starke Protestbewegung und Übergriffe auf Asylbewerber gegeben, sagte er der Berliner Zeitung. Aus dieser Protestbewegung heraus seien Angriffe entstanden und aus den Angriffen hätten sich Zellen gebildet. "Es gibt viele Hinweise darauf, dass das wieder passieren kann. Und es liegt nahe, dass diejenigen, die mit dem System nichts mehr am Hut haben, sagen: Jetzt gehen wir noch einen Schritt weiter."

Als Gegenmaßnahme, so Zick, würde alles nützen, das die Menschen daran erinnert, was die Norm ist und wie weit man gehen darf.

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