Angriff Israels auf Hilfskonvoi:Erdogan fordert Strafe für "blutiges Massaker"

Erst hatte der türkische Premier Erdogan zur Besonnenheit gemahnt. Nun ändert er seinen Kurs und findet scharfe Worte für Israel.

Kai Strittmatter

Der türkische Premier Tayyip Erdogan hat am Dienstag den israelischen Angriff auf die internationale Hilfsflotte für Gaza als "blutiges Massaker" verurteilt. In harten Worten forderte er vor den Abgeordneten der regierenden AKP in Ankara, Israel zu bestrafen. Der UN-Sicherheitsrat dürfe es nicht dabei belassen, den Angriff auf das türkische Schiff im Hilfskonvoi bloß zu verurteilen, bei dem neun Menschen ums Leben kamen. Für Mittwochmorgen berief er den nationalen Sicherheitsrates ein; zudem kündigte er an mit US-Präsident Barack Obama zu telefonieren. Außenminister Ahmet Davutoglu hatte zuvor in einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates in New York gesagt, Israel habe "seine Legitimität als respektiertes Mitglied der internationalen Gemeinschaft verloren".

Istanbul, Proteste, Israel

Wut auf den jüdischen Staat: Bei Protesten vor dem israelischen Konsulat in Istanbul verbrennen Demonstranten einen Davidstern.

(Foto: ap)

In seiner Rede vor der AKP-Fraktion warnte Erdogan Israel davor, die Geduld der Türkei auf die Probe zu stellen. "So stark wie unsere Freundschaft ist, so gewaltig ist unsere Feindschaft." Israel habe einmal mehr gezeigt "dass sie es gut verstehen, zu töten", sagte Erdogan. "Banditentum und Piraterie schaden Eurem Land", sagte er an die Adresse Israels. "Israel kann seine Sicherheit nicht gewährleisten, indem es den Hass der ganzen Welt auf sich zieht."

Die scharfen Worte standen im Kontrast zum Tag zuvor, als der Premier noch zur Zurückhaltung gemahnt hatte angesichts der Emotionen auf den Straßen, wo vor allem aus den kleinen, aber lautstarken radikal-islamischen Gruppen Rufe nach "Rache" und "Dschihad" zu hören waren. Die Titelseiten der türkischen Zeitungen am Dienstag waren durchgehend Schreie der Empörung. "Israel erschießt die Humanität", titelte die streng säkulare Cumhuriyet. "Hitlers Kinder" sah die islamische, regierungsnahe Yeni Safak gar am Werk. Angesichts der wütenden Parolen mehrten sich die Stimmen, die vor wachsendem Antisemitismus warnten. "Die Regierung Israels müssen wir kritisieren, nicht die Juden als solche", sagte der Chefredakteur von CNN-Türk, Mehmet Ali Birand, und Ex-Außenminister Ilter Türkmen sagte: "Wir müssen aufpassen, das das nicht eine Welle des Antisemitismus auslöst." Istanbul hat eine jüdische Gemeinde von 20000 Mitgliedern.

Legitimierungsversuche Israels

Derweil versucht Israel, die Istanbuler Hilfsorganisation IHH, der das gekaperte Schiff Mavi Marmara gehört, in die Nähe von Terrororganisationen zu rücken. Das armeenahe israelische "Intelligence and Terror Information Centre" (Itic) verbreitete kurz vor dem Angriff einen Bericht, der dem IHH "Verbindungen zum globalen Dschihad" sowie "Verbindungen zu al-Qaida" unterstellt. IHH-Vizechef Yavuz Dede bezichtigte Israel deshalb der "Desinformation". Die IHH war auch in der Türkei nicht unumstritten. Gegründet von türkischen Islamisten während des Bosnienkrieges 1995 und organisierte sie auch Hilfe für Tschetschenien. Ende der neunziger Jahre war sie verwickelt in einen Skandal, als sie Spenden nicht an Glaubensbrüder in Bosnien, sondern direkt aufs Konto der islamischen Refah-Partei weiterleitete.

Israel ist das einzige Land, in dem die IHH verboten ist - wegen ihrer antiisraelischen Rhetorik und jahrelangen Gaza-Engagements. Der IHH-Vorsitzende Bülent Yildirim ließ sich etwa mit Hamasführern fotografieren. In Dutzenden Ländern, auch Deutschland, operiert die IHH legal als humanitäre Organisation. In der Türkei gilt sie als Verein der streng Religiösen, die deshalb vielen Säkularen nicht unbedingt sympathisch ist. Die Zeitung Aksam attestiert ihr "antisemitische Züge". Aber selbst die säkulare Konkurrenz traut der IHH keine illegalen oder gar terroristischen Aktiviäten zu: "Das ist eine ordentliche Hilfsorganisation mit islamischem Rahmen, so wie es das auch bei Christen und Juden gibt", glaubt Öztürk Türkdogan, Vorsitzender des IHD, der bekanntesten säkularen Menschenrechtsorganisation der Türkei: "Natürlich haben sie religiöse Empfindlichkeiten. Aber illegale Aktivitäten und Hilfe für Terroristen? Niemals."

Die "Verbindungen zur al-Qaida" in dem Itic-Bericht bestehen in "mehreren Telefonaten" von einem IHH-Telefon aus "in eine Al-Qaida-Wohnung in Mailand im Jahr 1996". Und heute? "Wir haben keine aktuellen Informationen über Kontakte der IHH zum globalen Dschihad", heißt es wolkig weiter, "aber die Vergangenheit mag ein Hinweis sein". Und der Vorwurf, die Mavi Marmara habe Waffen an Bord gehabt? Der türkische Zoll, der Schiff und Passagiere kontrolliert hatte, schloss das am Montag aus. IHH-Chef Bülent Yildirim hatte vor dem Angriff "passiven Widerstand" gegen mögliche israelische Aktionen angekündigt, aber stets betont, man habe "nicht einmal ein Taschenmesser" an Bord.

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