Angriff auf Flüchtlinge:"Versuchter Mord"

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Nur zufällig wurde bei dem Anschlag in Salzhemmendorf niemand verletzt. (Foto: dpa)

Ein Unbekannter wirft in Niedersachsen einen Brandsatz in eine bewohnte Asyl-Unterkunft.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Am Vormittag nach der Horrornacht kam auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil zum Tatort, und er sagte diesen Satz, der gesagt werden musste: "Das war hier versuchter Mord, um die Dinge klar beim Namen zu nennen." Am Freitag um kurz nach zwei Uhr morgens hatte ein Unbekannter einen Molotowcocktail auf eine Unterkunft für Asylbewerber in der niedersächsischen Kleinstadt Salzhemmendorf geworfen. Der Brandsatz durchschlug eine Fensterscheibe der ehemaligen Schule, in der 40 Menschen leben, darunter 31 Immigranten. Eine Matratze und ein Teppich fingen Feuer. Eine 34 Jahre alte Frau aus Simbabwe und ihre drei Kinder blieben nur deshalb unverletzt, weil sie sich zufällig im Nebenraum aufhielten.

Am Freitagabend nahm die Polizei zwei 24 und 30 Jahre alte Männer aus der Gemeinde und eine 23 Jahre alte Frau aus der Region Hannover fest, sie seien geständig, sagte Weil dem NDR. Nach Polizeiangaben ist einer der Täter bereits durch "politisch motivierte Einzeltaten" aufgefallen.

Es war eine Fortsetzung ausländerfeindlicher Gewalt, die Deutschland seit Monaten heimsucht. Diesmal traf es kein noch unbewohntes Gebäude wie zuletzt in Heidenau - das Attentat war eindeutig gegen Menschen gerichtet. Auch ereignete sich der Terror nicht in einem der häufig ostdeutschen Orte, in denen Neonazis aktiv sind, sondern in der westdeutschen Provinz. Salzhemmendorf, Landkreis Hameln-Pyrmont, kaum 10 000 Einwohner.

"Schockiert" ist der parteilose Bürgermeister Clemens Pommerening. "Nie hätte ich mir vorstellen können, dass jemand zu so einem feigen Anschlag fähig ist." Zuwanderer seien "bei uns willkommen, die Bevölkerung steht zu Flüchtlingen". Er gehe davon aus, dass es sich um "die Tat von Einzelnen" handle. Die Behörden haben "keine Erkenntnisse über eine gefestigte rechte Szene" in der Umgebung. Die Staatsanwaltschaft ermittelt zunächst wegen schwerer Brandstiftung, obwohl es am Ende auch um Mordversuch gehen könnte. Am Freitagnachmittag demonstrierten 2000 Menschen unter dem Motto "Gute Nachbarschaft" vor dem örtlichen Rathaus gegen Fremdenhass, auswärtige Teilnehmer durften kostenlos mit der Bahn anreisen.

"Die Verbrecher haben das Gegenteil von dem erreicht, was sie erreichen wollten", sagt Bürgermeister Pommerening. "Nicht einen Millimeter weichen wir zurück", verspricht der SPD-Landrat Tjark Bartels. Aber er ahnt auch, "wie sehr das alte Traumata auslöst". Die Familie aus Simbabwe, die dem Angriff nur durch Glück entkommen ist, wurde in ein anderes Quartier gebracht und wird nun von Psychologen betreut. Niedersachsen war für sie auf einmal gefährlicher als Afrika.

© SZ vom 29.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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