Angela Merkel und Sigmar Gabriel:Zwei, die miteinander können

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Die große Koalition ist die wahrscheinlichste aller Möglichkeiten. CDU-Chefin Merkel kokettiert mit ihrer Nähe zum SPD-Kollegen Sigmar Gabriel. Er nutzt ihr, weil sie in ihm einen Vertrauensmann bei den Sozialdemokraten hat. Aber was bringt es ihm?

Von Michael König, Berlin

Das Zusammenspiel funktioniert schon ganz gut. Am Tag nach der Wahl lässt die SPD im Willy-Brandt-Haus durchsickern, Bundeskanzlerin Angela Merkel habe Sigmar Gabriel kontaktiert, per Telefon. Ein Gesprächsangebot zur Sondierung einer großen Koalition. Der SPD-Parteichef habe jedoch abgewehrt: Er müsse erst den SPD-Parteikonvent am Freitag abwarten.

Beinahe zeitgleich tritt Merkel in der CDU-Zentrale vor die Kameras - und verkündet haargenau dasselbe. Sie fügt nur noch hinzu, sie habe ausdrücklich Verständnis dafür, dass Gabriel sie vertröstet habe.

Die zeitliche Überschneidung beider Informationen ist vielleicht ein Zufall, Merkels Botschaft dahinter sicher nicht. Sie spricht unaufgefordert über die SPD, über die Grünen dagegen nur auf Nachfrage. Sie lässt damit eine Präferenz für eine große Koalition erkennen. Und sie macht Gabriel zu ihrem Partner beim Bau dieses schwarz-roten Bündnisses. Das ist einerseits logisch - andererseits riskant.

Ausflug in die Vergangenheit

Klimakämpfer unter sich: Merkel und Gabriel 2007 in Grönland (Foto: REUTERS)

Für beide, für Gabriel und Merkel, wäre Schwarz-Rot eine Ausflug in die gemeinsame Vergangenheit. Besser kennen sie sich seit 2005, als Merkels erstmals Kanzlerin einer großen Koalition wurde und der SPD-Mann ihr Umweltminister. Gabriel verhalf ihr indirekt zum Ruf, die "Klimakanzlerin" zu sein. 2007 schipperte er mit ihr durch grönländische Eisschollen. Seite an Seite saßen sie auf einem Boot, beide in dicke rote Jacken gehüllt.

Dabei sind ihre Temperamente grundverschieden: hier die kühl kalkulierende Kanzlerin, da der Instinktpolitiker, der mit unüberlegten Ideen seine Genossen gegen sich aufbringt. Merkel schreckt das offenbar nicht ab. Kenner sagen, sie schätze seine Fähigkeit, Politisches und Menschliches voneinander zu trennen, auch in schwierigen Zeiten.

Ihr Kontakt riss nie ab, auch nicht während der schwarz-gelben Koalition. Als die mit der Opposition über den Fiskalpakt verhandelte, überreichte Gabriel der Kanzlerin ein Gastgeschenk: eine Karikatur als Erinnerungsstück, in einen edlen Holzrahmen gefasst.

Handschlag in Leipzig: Gabriel und Merkel beim SPD-Jubiläum im Mai 2013. (Foto: AFP)

Gabriel war es auch, der Merkel im Mai 2013 zum 150-jährigen Jubiläum der SPD nach Leipzig einlud. Viele seiner Genossen fanden das unglücklich. In seiner Rede begrüßte er sie als "Frau Bundespräsidentin". Grummeln im Saal, Gabriel jedoch setzte noch einen drauf: "Ich bin der Zeit voraus, Frau Merkel. Aber dass jetzt keiner glaubt, das sei eine Verabredung." Sie hat schallend darüber gelacht.

Solche kleinen Vorkommnisse schaffen Vertrauen, das brauchen beide jetzt. Merkel will zügig einen neuen Koalitionspartner präsentieren. Auch, um nicht den Eindruck entstehen zu lassen, sie habe sich zu Tode gesiegt, indem sie die FDP aus dem Bundestag regiert hat. Die Grünen sind ihr jenseits aller politischer Differenzen offenbar nicht stabil genug. Schwer zu sagen, wie lange der Zustand der Selbstzerfleischung anhält, den die Partei von Claudia Roth und Cem Özdemir gerade offenbart. Merkel hat darauf keinen Einfluss. Auf die SPD dagegen schon.

Sie stärkt Gabriel, indem sie den engen Kontakt zu ihm betont. Er kann das gut gebrauchen. Seine Partei hat am Sonntag kein desaströses Ergebnis eingefahren, aber zufriedenstellend sind 25,7 Prozent auch nicht. Ein Putsch gegen den Parteivorsitzenden ist unwahrscheinlich, Überraschungen beim Parteikonvent am Freitag hinter verschlossenen Türen dennoch nicht völlig auszuschließen. Gabriel hat dank Merkel ein Argument mehr: Er ist derjenige, der mit der Kanzlerin kann. Will die SPD in die große Koalition, dann mit ihm.

Da beginnt allerdings der riskante Teil. Ob die SPD wirklich will, ist nicht ausgemacht. Die Erinnerungen an das Wahldesaster 2009 sind noch zu lebhaft, viele Genossen geben dafür Merkel die Schuld. Kippt die Stimmung gegen Schwarz-Rot, wäre Gabriels Nähe zu Merkel für ihn womöglich gefährlich. Schon jetzt wird ihm unterstellt, aus eigennützigen Motiven in die große Koalition gehen zu wollen.

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Letztlich könnte Gabriel Merkel auflaufen lassen. Es wäre nicht das erste Mal. Im Frühjahr 2010 stellte er die Kanzlerin bloß, als er ihr per SMS einen "Personalvorschlag" zukommen ließ: Joachim Gauck solle Bundespräsident werden. Merkel antwortete: "Danke für die info und herzliche grüße am". Der Wortwechsel war im Spiegel zu lesen, nachdem sich Merkel für Christian Wulff entschieden hatte. Das Kanzleramt schäumte wegen der Indiskretion: "Ein einmaliger Vorgang, schlichtweg ungeheuerlich und durch nichts zu erklären oder zu entschuldigen."

Plant Gabriel zweigleisig?

Ob Gabriel die SMS selbst lancierte oder lancieren ließ, ist bis heute ungeklärt. Merkel reagierte Insidern zufolge mit einer dreimonatigen Kontaktsperre gegen den SPD-Chef. Die ist längst aufgehoben, doch Merkel merkt sich solche Dinge sehr genau.

Sie muss außerdem die Sorge haben, dass Gabriel zweigleisig fährt. Dass er in Schwarz-Rot einwilligt, während seine Partei mehr oder minder geheim mit der Linken verhandelt, um Rot-Rot-Grün vorzubereiten. Mitten in der Legislaturperiode könnte die SPD dann das Lager wechseln. Gabriel wäre Kanzler, Merkel blamiert.

Sie selbst sagt nichts zu diesem Gedankenspiel. Das übernimmt ihre Stellvertreterin Julia Klöckner: "Das wäre Wählertäuschung", sagt sie am Montag vor TV-Kameras, auf das Szenario angesprochen. "Der Wähler würde das als solches erkennen und sicher nicht gutheißen."

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