Angela Merkel und die Krise:Das neue deutsche Wirr-Gefühl

86 Prozent der Deutschen sind mit der Regierung unzufrieden. Ego-Taktikerin Merkel hat einen neuen Tiefpunkt erreicht - weil sie im Gegensatz zur Nationalelf kein "Wir"-, sondern ein "Wirr"-Gefühl verbreitet.

Peter Lindner

Wir sind Papst, wir sind Lena und natürlich sind wir zurzeit vor allem Nationalmannschaft: Deutschland schwelgt im "Wir". Nach dem furiosen Auftaktsieg des Teams von Jogi Löw bei der Fußball-WM zweifelt kaum jemand daran, dass "wir" Weltmeister werden.

Merkel

In Schwierigkeiten: Angela Merkel

(Foto: AFP)

Gerne sonnt sich bei so viel Euphorie und so großen Erfolgsaussichten auch die Kanzlerin im wärmenden Licht des "Wir". Schon vor dem Spiel gegen Australien tat sie via Bild-Gruppe ihre Hoffnung kund, dass das deutsche Team Kampfbereitschaft und den besonderen Turniergeist zeigt, der "uns" bei vielen Weltmeisterschaften ausgezeichnet hat. Bestimmt hat sie sich sehr gefreut, dass "wir" gewonnen haben.

Unzufrieden mit Schwarz-Gelb

Alles andere als fröhlich dürfte Merkel jedoch stimmen, dass sich nur wenige Deutsche mit der Regierung und ihrer Politik zu identifizieren scheinen. Und das, obwohl sie - anders als Löws Mannen - vom Volk gewählt wurde.

86 Prozent der Bürger sind laut ARD-Deutschlandtrend unzufrieden mit der Arbeit von Schwarz-Gelb. Nie zuvor in Merkels Kanzlerschaft stand die Regierung in dieser Frage schlechter da. Und das acht Monate nach Beginn der "Wunschkoalition".

Dies liegt auch daran, dass sich die Koalition selbst mit dem "Wir" gerade sehr schwertut: Statt konstruktiver Kooperation dominiert Krawall. Wenn die "Wildsau" gerade nicht der "Gurkentruppe" hinterherjagt, giftet "Rumpelstilzchen" in die Runde. Die gegenseitigen Angriffe und die Vielstimmigkeit in sämtlichen Sachfragen machen es dem Bürger unmöglich zu erkennen, wofür diese Regierung steht. So erzeugt sie kein Wir-Gefühl, sondern ein Wirr-Gefühl.

Das entsteht auch deshalb, weil die Koalition ihre Entscheidungen, wenn sie denn mal welche trifft, zu wenig erklärt. Ob 750-Milliarden-Euro Rettungsschirm oder Sparpaket: Die Regierung schafft es nicht, den Deutschen nachvollziehbar nahezubringen, warum diese Schritte richtig und notwendig sind. Erklärt wurden in den letzten Monaten allerhöchstens Rücktritte - und selbst die nur unzureichend, wie im Falle Horst Köhler. Die Folgen sind: Verwirrung, Verunsicherung, Verdrossenheit.

Ohne Konkurrenz

So lautstark sich die Koalitionäre auch verbal bekriegen und so konfus und widersprüchlich das Regierungsgebaren zuweilen erscheinen mag: Merkels Machtposition dürfte ihr vorerst keiner streitig machen - weil Alternativen fehlen. Sämtliche Kandidaten, die ihr in der Union gefährlich werden könnten, hat sie im Laufe der Jahre ins Abseits geschickt.

Regieren wie eine Zwölfjährige

Zuletzt blieb nur noch Christian Wulff - der jetzt ins Schloss Bellevue hinübergelobt werden soll. Profiteur der Merkel'schen Führungspolitik ist ausschließlich Merkel selbst - die ausgerechnet an diesem Mittwoch den Global Leadership Award erhält. Ihr Führungsstil ist nicht vom "Wir" geprägt, im Gegenteil: Merkel ist der politische Prototyp des Ego-Taktikers.

"Ego-Taktiker" wurden 2002 mit der Shell-Jugendstudie populär und sollten die Generation der Zwölf- bis 25-Jährigen charakterisieren. Der Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann schrieb ihnen einmal unter anderem folgende Merkmale zu:

"Sie sondieren sensibel ihr Umfeld und fragen sich, welche Möglichkeiten und Chancen für ein Engagement und für ihre persönliche Entwicklung sich daraus ergeben. Ego-Taktiker sind keine Egoisten, die ohne Rücksicht auf Interessen und Bedürfnisse anderer nur von ihrem eigenen Nutzen ausgehen. Vielmehr sind sie an einer guten Qualität des sozialen Zusammenlebens interessiert, wollen dabei allerdings ihre eigenen Wünsche und Vorstellungen umgesetzt sehen. Sie fragen ständig: Was habe ich davon, wenn ich mich in einer bestimmten Weise verhalte oder engagiere? Was bringt es mir, was ergibt sich daraus?"

Das Führungsverhalten in Merkels Koalition könnte ein Politologe nicht treffender beschreiben. Resümieren lässt es sich folgendermaßen: Manche Zwölfjährige verhalten sich offenbar so, wie die Kanzlerin regiert. Möglicherweise kann Merkel so ihre eigene Machtposition erhalten - zumindest kurzfristig. Ihrer Verantwortung für das Land wird sie damit nicht gerecht.

Fehlende Richtung

Jüngstes Beispiel ist das Sparpaket, das Schwache schröpft und Reiche schont. Die Kanzlerin lässt sich hier vor den Karren der FDP spannen, um die Wahl Wulffs zum Bundespräsidenten zu sichern - und ihre persönliche Machtstellung. Dass Menschen in ohnehin schwierigen Lebenslagen mit den Sparbeschlüssen in noch größere Nöte gestürzt werden, dass das soziale Profil der Union beschädigt und dass der soziale Frieden im Land gefährdet wird, scheint sie dafür in Kauf zu nehmen.

"Wir stellen den Mut zur Zukunft der Verzagtheit entgegen", heißt es an vorderster Stelle im schwarz-gelben Koalitionsvertrag. "Wir wollen unserem Land eine neue Richtung geben." Doch noch nie wirkte eine Regierung nach wenigen Monaten im Amt derart hilflos, ideenlos und überfordert. Statt "Wir" dominieren zahlreiche "Ichs", statt "Mut" herrscht Kleinmut und statt "Richtung" Orientierungslosigkeit.

Ego-Taktiken helfen dem Land genauso wenig weiter wie unsoziale Klientelpolitik. Es wäre immerhin ein Anfang, wenn sich die Regierung wieder auf das "Wir" besinnen, ihre Politik besser erklären und mit Augenmaß und Verantwortungsbewusstsein zu Werke gehen würde. Dann bestünde auch wieder eine Chance, dass bei mehr Deutschen in näherer Zukunft ein "Wir-sind-Regierung"-Gefühl aufkommt.

Vom Wirr-Gefühl haben alle genug. Da hilft auch nicht, dass Angela Merkel vermutlich bald zu den Fußballern nach Südafrika reist.

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