Angela Merkel und der Atomausstieg:Die Wende nach der Wende

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Kanzlerin Angela Merkel steht ein heißes Wochenende bevor: Für die Koalition wird der Atomausstieg zum Kraftakt. Doch selbst führende Christdemokraten sagen: "Die Messe für die Kernenergie ist gesungen." Nach dem totalen Abschalten bliebe nur noch die Frage: Was dann?

Michael Bauchmüller und Stefan Braun

Dieses Wochenende wird heiß. Zumindest für die schwarz-gelbe Koalition in der Hauptstadt. Denn an diesem Wochenende soll das wahrscheinlich größte Projekt dieser Legislatur vereinbart werden: die nach der Atomkatastrophe von Fukushima angekündigte und mit einem Moratorium eingeleitete Energiewende.

Die erneuerbaren Energien fest im Blick: Bundeskanzlerin Angela Merkel über dem Offshore-Windpark Baltic 1 vor der Ostseeküste bei Zingst. (Foto: dpa)

Es wird ein Kraftakt besonderer Art werden - auch weil dieselbe Koalition noch vor einem halben Jahr eine Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke beschlossen hatte. Kehrtwenden fallen in der Politik besonders schwer. Für so einen Schritt muss man eine besonders gute Begründung vorweisen. Für die Koalition wird das fast überlebenswichtig. Noch immer sieht eine Mehrheit der Bevölkerung in der Wende keine Überzeugung, sondern Taktik.

Der Startschuss in dieses Wochenende fällt am Samstagmorgen. Dann wird die Ethikkommission zu ihrer letzten Sitzung zusammentreten. Sie soll den Weg weisen in ein Zeitalter jenseits der Kernspaltung, gleichsam als Legitimation für die Wende. Eigentlich wollten die 17 Mitglieder der Kommission nur noch über die Kurzfassung ihrer Empfehlungen beraten - die Essenz ihrer Arbeit. Doch statt Konsens kündigt sich Streit an, denn immer noch ist offen, ob die Kommission für ein fixes Enddatum plädiert oder womöglich doch noch ein Hintertürchen lässt für einen späteren Ausstieg - falls der Verzicht auf die Kernkraft Probleme aufwirft. "Ich vermute fast, dass das eine Open-end-Tagung wird", sagt einer aus der Kommission. Sie könnte bis in den Abend gehen.

Spätestens dann aber wird die Kanzlerin drängen. Sie soll eigentlich noch am Samstagabend die Schlussfolgerung der Ethiker erhalten, schließlich sollen die Ergebnisse der Kommission - zumindest dem äußeren Anschein nach - die Grundlage für den Sonntag der Entscheidungen bilden. Vorbesprechungen am Sonntagmittag um 13 Uhr, eine Koalitionsrunde ab 18 Uhr, an dem von 20 Uhr an dann auch die Fachpolitiker von Union und FDP teilnehmen: Präzise getaktet ist dieser Sonntag, bevor in der Nacht auf Montag die abschließende Entscheidung fallen kann, wie lange die Atomkraft in Deutschland noch Strom erzeugt. Sollte es tatsächlich so weit kommen, könnte die Kanzlerin ebenfalls noch in der Nacht mit Spitzen von SPD und Grünen sprechen, um zu prüfen, ob Chancen auf einen Konsens existieren.

Leicht, so viel ist klar, wird das ganze Unterfangen nicht werden. Da wäre etwa die Frage des Ob. Die Frage also, ob es ein festes Ausstiegsdatum geben wird oder einen "Korridor". Sie ist noch umstritten, und das gilt auch für die Frage, ob sich die Koalition auf eine Revisionsklausel einlässt, wie sie in der Ethikkommission diskutiert wird. Vor allem die FDP hat sich hier noch nicht festgelegt. Parteichef Philipp Rösler hat zuletzt am Freitag erklärt, er halte nichts von einem festen Ausstiegstermin. Die Kanzlerin, so scheint es, sieht das anders. Sie hat vorige Woche einen Beschluss der CSU für ein festes Datum sehr begrüßt.

Dann wäre da die Frage des Wie. Bisher werden die Atomlaufzeiten nicht nach Jahren berechnet, sondern nach Strommengen. Auch die Laufzeitverlängerung aus dem vergangenen Herbst erhielten die Betreiber in Form solcher Strommengen. Damit bleibt das Enddatum offen, es hängt auch davon ab, wie oft und wie lange ein Reaktor stillsteht, etwa für Wartungsarbeiten. Mit einem fixen Termin, wie ihn viele in der Koalition wollen, wäre das kaum kompatibel.

Stattdessen ließe sich die Laufzeit eines Reaktors anhand seiner Betriebsjahre bemessen. Nach 32 Jahren etwa könnte Schluss sein. Der Clou: Von den sieben ältesten Kernkraftwerken, die nach der Reaktorhavarie in Fukushima zwangsweise abgeschaltet wurden, ließen sich sechs so dauerhaft stilllegen - sie hätten ihr Höchstalter schon überschritten. Das Kernkraftwerk Philippsburg 1 hätte noch ein knappes Jahr Aufschub.

Vieles spricht aber derzeit für eine Kombination von beidem. So ließe sich zwar mit der 32-Jahre-Formel ein fixes Enddatum festlegen, gemessen am jüngsten deutschen Reaktor, Neckarwestheim 2 läge es wohl um das Jahr 2021 herum. Gleichzeitig aber könnten die Betreiber die Reststrommengen der sieben Moratoriums-Meiler auf andere Kraftwerke übertragen. So könnte etwa ein Kraftwerk wie Grafenrheinfeld, in Betrieb seit 1982, mehr als nur 32 Jahre am Netz bleiben, also länger als 2014 - mit Reststrommengen etwa von Isar 1. Schließlich geht Isar 1 nun früher vom Netz, als es selbst der rot-grüne Atomausstieg vorgesehen hätte. Ob es so weit kommen wird? Das ist Verhandlungssache.

Ohnehin offen bleibt eine weitere drängende Frage: was dann? Ein halbes Dutzend Gesetze sollen den Ausstieg flankieren, sie dienen dem Ausbau von Ökoenergien und Stromleitungen, der Dämmung von Gebäuden oder der Errichtung effizienter Kraftwerke. Diskutiert werden muss noch über so ziemlich jedes einzelne Vorhaben, ebenso über die Frage, ob es nun weiter eine Steuer auf Atom-Brennelemente gibt oder nicht. Der Graben läuft quer durch die Parteien, allerdings wächst die Zahl derer, die eine Abschaffung der Steuer ablehnen, weil sie ahnen, dass eine Rücknahme der Steuer bei den Menschen so fatale Folgen haben könnte wie zuletzt die Steuerentlastung für Hoteliers.

Nicht umstritten dagegen ist der Plan an sich. "Die Messe für die Kernenergie ist gesungen", sagt ein führender Christdemokrat. Weswegen der Ausstieg nun auch unmissverständlich festgeschrieben werden müsse. "Dieses Thema wird immer mit den Grünen heimgehen", sagt Joachim Pfeiffer, der wirtschaftspolitische Sprecher der Union. "Deshalb ist es wichtig, es jetzt ein für allemal abzuräumen." Gerade unter den Wirtschaftspolitikern ist das nicht unbedingt eine Frage der Überzeugung - die Atomkraft gilt schlicht nicht mehr als mehrheitsfähig.

Ob es darüber hinaus auch zu einem Konsens mit der Opposition kommt, ist offen. Wenig förderlich dürfte die Tatsache wirken, dass die Regierung zu der Überzeugung gelangt ist, sie werde die Zustimmung des Bundesrats bei keinem einzigen der Gesetze zur Atomwende benötigen. Nach SZ-Informationen soll das auch für das Netzausbaugesetz gelten. Schwer vorstellbar, dass SPD und Grüne das so einfach schlucken werden.

© SZ vom 28.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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