Angela Merkel in der Krise:Mutter ohne Courage - wo ist Schröder?

Angela Merkel und ihre Fähigkeiten: Die Kunst der Moderation war in der großen Koalition noch eine Tugend - jetzt aber versagt die Kanzlerin mitten in der schwersten Eurokrise. Und plötzlich wird ein Mann zum Vorbild, der ihr schärfster Widersacher war.

Thorsten Denkler, Berlin

Wie erklärt man der Welt, dass man umgefallen ist, eingeknickt, weil man Entwicklungen verpasst oder schlicht nicht mitbekommen hat?

Angela Merkel, AP

Bundeskanzlerin Angela Merkel während der Bundestagsdebatte.

(Foto: Foto: AP)

Angela Merkel macht das so: Sie stellt sich einfach mit einer weiteren Regierungserklärung vor den Bundestag und erklärt, dass eine Finanztransaktionssteuer - eine Art Umsatzsteuer auf den Handel mit Finanzprodukten - im Grunde doch ganz okay sei. Zumindest nicht schlechter oder besser als eine Finanzaktivitätssteuer, also die Besteuerung von Gewinnen und Bonuszahlungen in Banken.

Das klang vor zwei Wochen, am 5. Mai, noch ganz anders. Da verwarf Merkel - wiederum in einer Regierungserklärung - eine Finanztransaktionssteuer mit dem Hinweis, der Internationale Währungsfonds (IWF) halte sie für nicht so gut. Eine Aktivitätssteuer auf Gewinne und Boni der Banken sei für den IWF umso besser. Was stimmt hier noch?

Wenige Tage später, am 9. Mai, stimmt die Bundesregierung auf europäischer Ebene zu, die Umsetzbarkeit einer Finanztransaktionssteuer zu prüfen. Das immerhin passt wieder zur Angela-Merkel-Aussage vom Januar: Damals verkündete sie, wiederum vor dem Bundestag, sie setze sich für eine internationale Finanztransaktionssteuer ein, weil sie die "überbordende Spekulationen dämpfen" und einen Beitrag leisten könne, die finanziellen Lasten der Krisenbewältigung "in fairer Weise" zu tragen.

Wer aus dieser Kanzlerin noch schlau wird, der hebe bitte die Hand!

Angela Merkel wirkt in diesen Tagen, in denen sich die Nachrichten über immer neue Milliardenlöcher in den Haushalten der Euro-Staaten überschlagen, nicht wie die Lenkerin der mächtigsten Wirtschaftsnation in der Europäischen Union. Sie gibt eher den Zaungast, der aus der Ferne nach Bedarf Beifall spendet oder "Buh " ruft, während auf dem Spielfeld Länder wie Frankreich die Richtung vorgeben.

In der großen Koalition ist die Kanzlerin mit ihrer Strategie noch gut gefahren. Selbst Unionspolitiker erkennen inzwischen an, dass die SPD mit Finanzminister Peer Steinbrück die Krise nach der Lehman-Pleite fast im Alleingang gut gemanagt hat. Angela Merkel hat die Ideen der Sozialdemokraten nur noch als ihre eigenen verkaufen müssen, das hat gereicht für eine zweite Kanzlerschaft.

Keiner da, der Ideen liefert

Jetzt aber ist da keiner, der Ideen liefert, der kreativ denkt. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), inzwischen wieder gesundet, hat die Hälfte der Euro-Krise im Krankenbett verbracht. Sein protokollarischer Stellvertreter, Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP), genießt derart großes Vertrauen der Kanzlerin, dass die lieber Innenminister Thomas de Maizière (CDU) zu den entscheidenden Verhandlungen nach Brüssel schickte.

Vize-Kanzler Guido Westerwelle wiederum scheint sich ganz aus dem politischen Tagesgeschäft verabschiedet zu haben. Nach abgestimmtem Krisenmanagement und klarer Linie sieht das alles nicht aus.

Dazu muss sich Merkel mit einer FDP herumplagen, die innerhalb kürzester Zeit vom Traumpartner zur Albtraum-Last mutierte. Während Merkel in ihrer heutigen Regierungserklärung den Eindruck vermittelt, Schwarz-Gelb sei offen für eine Finanztransaktionssteuer, poltert FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger in der Aussprache zur Regierungserklärung, die Steuer werde "natürlich nicht" die Probleme lösen.

Gleichzeitig hauen die CDU-Ministerpräsidenten auf den Putz. Sie fordern die Steuern zu erhöhen, bei der Bildung und der Kinderbetreuung Milliarden zu sparen oder endlich die Laufzeiten für die Atommeiler zu verlängern. Alles Debatten zur Unzeit.

Der Vorgänger als Vorbild

Die Einschläge kommen so schnell, dass Angela Merkel nicht einmal eine ordentliche Verteidigungsstrategie entwickeln kann. Was bleibt, ist auf Zeit zu spielen.

Merkel, Westerwelle, Schäuble, dpa

Angela Merkel und die beiden wichtigsten Männer im Kabinett: Finanzminister Wolfgang Schäuble und Vizekanzler Guido Westerwelle.

(Foto: Foto: dpa)

Anfang Juni soll in einer Kabinettsklausur übers große Sparen gesprochen werden. Was dabei rauskommen wird, ist unklar. Noch hat jeder Sparvorschlag den Tag seiner Verkündigung nicht überlebt. Angela Merkel müsste jetzt eigentlich erkennen, dass sie eines nicht hat: Zeit.

Ihr erstes halbes Jahr hat die Regierung mit Warten vertrödelt. Warten auf die ominöse Steuerschätzung Anfang Mai, die zum Ergebnis hatte, was alle schon vorher wussten: Die Kassen sind leer. Und warten auf die NRW-Wahl, um die Wähler nicht zu verschrecken. Geholfen hat das nicht. Minus zehn Prozent gab es für die CDU.

In Umfragen landet die Koalition aktuell bei zusammen 38 Prozent - der niedrigste Wert für Union und FDP seit zehn Jahren. Merkels Partei kommt nur noch auf für stolze Unionisten beleidigende 32 Prozent. Dafür brauchte es nicht mal eine Spendenaffäre. Die Kanzlerin steht vor einem Scherbenhaufen.

Die Krise verunsichert die Menschen. Sie haben Fragen, die auch Angela Merkel nicht beantworten kann. Was, wenn die Milliardenhilfen für Griechenland verpuffen, wenn das 750-Milliarden-Hilfspaket für den Euro nichts nutzt? Was, wenn die irre hohen Bürgschaften fällig werden, wenn der deutsche Steuerzahler dafür geradestehen muss?

Mindestens Orientierung muss eine Kanzlerin geben. Sie hat die Richtlinienkompetenz. Sie muss erklären, dass Steuererhöhungen unvermeidlich sein werden, dass liebgewonnene Besitzstände auf den Prüfstand gestellt werden, dass der Staat sich vorbereiten muss auf einen Tag X, der hoffentlich nicht kommt.

Und plötzlich gilt ein Mann als Vorbild, der ihr schärfster Widersacher war: Gerhard Schröder. Der letzte Kanzler der SPD hat - wenn auch spät - begriffen, dass Handeln vielleicht zur Abwahl führt, Nichthandeln aber womöglich das ganze Land an den Abgrund bringt.

Angela Merkel bräuchte etwas von dieser Courage. Im Moment ist davon nichts zu spüren.

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