Angela Merkel in den USA:Auf der Suche nach der gemeinsamen Geschichte

Seit Angela Merkel vor dem US-Kongress von ihrer Liebe zu Jeans erzählte, mögen die Amerikaner die Kanzlerin aus Ostdeutschland und deren Tellerwäscherkarriere. Doch politisch sind US-Präsident Barack Obama und die Kanzlerin keine engen Partner - noch suchen sie nach Gemeinsamkeiten.

Daniel Brössler

Es sollte schon eine große Überraschung sein, wäre nicht irgendwann während dieser 48 Stunden wieder von den Jeans die Rede. An diesem Montagmittag ist die Bundeskanzlerin zu einem Besuch nach Washington aufgebrochen, am Mittwochmittag landet sie wieder in Berlin. Dann wird Angela Merkel die Presidential Medal of Freedom, die Freiheitsmedaille des amerikanischen Präsidenten, im Gepäck haben. Das ist zusammen mit der Goldenen Ehrenmedaille des US-Kongresses die höchste Auszeichnung, welche die Vereinigten Staaten an Zivilisten zu vergeben haben. Merkel wird der Orden während eines Staatsbanketts im Rosengarten des Weißen Hauses verliehen, was die Reise der Kanzlerin der üblichen transatlantischen Routine enthebt. Diesmal geht es ums Grundsätzliche, mithin auch um die Jeans.

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Die Begeisterung der Deutschen für Barack Obama war Angela Merkel stets etwas suspekt. Als Obama noch Präsidentschaftskandidat war, verhinderte sie einen Auftritt vor dem Brandenburger Tor. Dabei gibt es im Leben beider Politiker eine wichtige Parallele: Sie sind politische "Erstlinge" - er der erste schwarze US-Staatschef, sie die erste Frau und Ostdeutsche im Kanzleramt: Angela Merkel und Barack Obama bei einem Treffen im Jahr 2009 in Washington.

(Foto: AFP)

Als Merkel 2009 in Washington vor beiden Häusern des Kongresses sprechen durfte, erzählte sie von ihrer Jugend in der DDR. "Ich habe mich, wie viele andere Teenager auch, begeistert für Jeans einer bestimmten Marke, die es in der DDR nicht gab und die mir meine Tante aus dem Westen regelmäßig geschickt hat", berichtete Merkel da. Natürlich sprach sie auch von ihrer Begeisterung "für den American Dream - die Möglichkeit für jeden, Erfolg zu haben, durch eigene Anstrengung es zu etwas zu bringen". Und für die "Weite der amerikanischen Landschaften, die den Geist der Freiheit und Unabhängigkeit atmen". Wenn es so etwas gibt wie eine besondere Schwäche Merkels für die USA und eine Schwäche amerikanischer Politiker für Merkel, so wurzelt beides in dieser Geschichte vom ostdeutschen Teenager mit Fernweh. Präsident George W. Bush mochte diese Geschichte, und er mochte Merkel.

Auch sein Nachfolger Barack Obama hat nichts gegen gute Geschichten. Bei einer Zeremonie Anfang des Jahres, an der die Kanzlerin aus Termingründen nicht teilnehmen konnte, rühmte er Merkel mit den Worten: "Aufgewachsen im kommunistischen Ostdeutschland, träumte Angela Merkel von Freiheit. Und als die Mauer endlich fiel und Deutschland sich wiedervereinigte, durchbrach sie selbst Barrieren und wurde die erste Ostdeutsche und die erste Frau als Kanzlerin Deutschlands."

In der Zweckbestimmung der seit 1963 verliehenen Medaille werden Beiträge zur Sicherheit und zu den nationalen Interessen der USA, zum Weltfrieden sowie kulturelle sowie andere besondere Leistungen hervorgehoben. Dass Merkel als zweite Deutsche nach Helmut Kohl die Medaille erhält, würdigt eine Art Tellerwäscherkarriere, von der nirgendwo so überzeugend erzählt werden kann wie in den USA.

Dass der erste schwarze US-Präsident und die erste ostdeutsche Kanzlerin in der politischen Realität eher mühsam zueinanderfanden, ist so oft dementiert worden, dass am Wahrheitsgehalt kaum noch gezweifelt wird. Merkel, die einst kleinlich einen Auftritt des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Obama am Brandenburger Tor vereitelte, hat sich das selbst zuzuschreiben. Die Begeisterung der Deutschen für Obama war Merkel damals so suspekt wie dessen fast schon messianische Überzeugungskraft.

Wenn nun der US-Präsident eine Woche lang durch Europa reist, "aber wieder kein Weg Obamas in die deutsche Hauptstadt führt", wie SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier unkte, muss Merkel sich eben fragen lassen, ob immer noch was nicht stimmt mit dem Draht ins Weiße Haus.

Die Einladung zu einem offiziellen Besuch, die äußerst seltene Ehre eines Staatsbanketts, der höchste zivile Orden - was noch, so fragen Merkels Leute, müsse die Kanzlerin vorweisen, um vor der Öffentlichkeit als Freundin Obamas zu bestehen? "Wir verspüren überhaupt kein Defizit im Austausch mit den Amerikanern", wird im Kanzleramt versichert.

Zum privaten Abendessen mit Obama

Und: "Die Bundeskanzlerin erfährt in den USA insgesamt eine enorme Wertschätzung." Obama nehme sich diesmal sehr viel Zeit für seinen Gast. In der Tat lädt der Präsident die Kanzlerin nach deren Landung in Washington am Montagabend zu einem privaten Abendessen. Am Dienstag gehört Merkel und den fünf sie begleitenden Ministern - nach einer Begrüßung mit militärischen Ehren und den dazu gehörenden Kanonenschüssen - der ganze Vormittag im Weißen Haus.

Gesprochen werden soll über Afghanistan, den Nahen Osten, die Weltwirtschaft, Merkels Projekt eines transatlantischen Wirtschaftsrates und, ja, auch über Libyen. Dieses Thema werde im Rahmen der Diskussion über die Lage in Nordafrika zur Sprache kommen, erwartet man im Kanzleramt. Merkels Leute glauben aber nicht, dass es noch einmal um die deutsche Enthaltung bei der Abstimmung über die Libyen-Resolution im UN-Sicherheitsrat gehen werde. Schon deshalb nicht, weil diese Enthaltung nach offizieller Berliner Lesart im Verhältnis zu den USA "nie eine Rolle gespielt hat".

In der Bundesregierung beruft man sich gern darauf, dass ja auch in Washington der Militäreinsatz gegen Muammar al-Gaddafi von Anfang an skeptisch gesehen wurde. Das ist wahr. Wahr ist aber auch, dass Obama sich gegen die Bedenken seines Verteidigungsministers Robert Gates auf die Seite der Befürworter des Einsatzes unter Führung von Außenministerin Hillary Clinton geschlagen hatte.

Als einziges Land der EU und der Nato verweigerte sich Deutschland der Zustimmung im Sicherheitsrat - und das unter Führung einer Kanzlerin, die vor dem Irak-Krieg ihren Vorgänger Gerhard Schröder vor einem deutschen Sonderweg gewarnt hatte. Schröder war damals in Washington in Ungnade gefallen, ein Schicksal, das Merkel erspart geblieben ist. Ihre Geschichte ist gut, sie soll es bleiben.

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