Analyse:Ohne Auftrag nach ganz oben

Fritz R. Glunk über den Verlust staatlicher Souveränität und den damit verbundenen Aufstieg privater Netzwerke.

Von Cornelius Pollmer

Wer überall nur Schatten sieht, der läuft Gefahr, bald selbst einen davonzutragen. Allein deswegen empfiehlt es sich, dem wachsenden Angebot verschwörerischer Literatur mit Vorsicht zu begegnen. Die meisten Mutmaßungen über Krypto-Eliten und sonstige geheime Zirkel erzählen von der Welt als einem furchtbar deprimierenden Ort, ohne die deprimierenden Zusammenhänge wenigstens zu erklären. Dem Titel zufolge droht Fritz R. Glunks Aufsatz über "Schattenmächte" und darüber, "wie transnationale Netzwerke die Regeln unserer Welt bestimmen" in diese Kategorie zu fallen: ein bisschen zu übellaunig, ein bisschen zu andeutlerisch, ein bisschen zu besserwisserisch.

Fritz R. Glunk - Schattenmächte, Buch Cover

Fritz R. Glunk: Schattenmächte. Wie transnationale Netzwerke die Regeln unserer Welt bestimmen. dtv premium München 2017. 192 Seiten, 12,90 Euro. E-Book: 10,99 Euro.

All dies ist "Schattenmächte" jedoch nicht. Der Übersetzer und Literaturwissenschaftler Glunk hat vielmehr einen in weiten Teilen sachlichen Zustandsbericht des Staates und der Demokratie geschrieben. Dass dieser einen am Ende trotzdem ein wenig deprimiert zurücklässt, ist dem Autor nicht vorzuwerfen. Die Ursache dafür ist vielmehr im Gesamtzusammenhang zu suchen, und diesen beschreibt Glunk kurz zusammengefasst so: Nationalstaaten hätten durch Deregulierung und Privatisierung ihren Verlust an Souveränität und Bedeutung selbst eingeleitet. Die so entstehenden Lücken hätten supranationale und wenigstens mittelbar legitimierte Verbünde wie die Europäische Union nur in geringem Maße gefüllt. Immer gewichtiger würden stattdessen Netzwerke privater Akteure, die durch Absprachen, Produktzulassungen oder Quasi-Regulierungen inzwischen eine beängstigende Machtfülle erreichten. Wo der gemeine Bürger je nach Produkt das Handelsgesetzbuch oder ein Ministerium für zuständig halte, liege die Gewalt eigentlich längst bei internationalen Konferenzen und Councils, über deren Entscheidungswege nichts bekannt sei und deren Vertreter niemand kenne geschweige denn gewählt habe oder zur Rechenschaft ziehen könne.

Leseprobe

Einen Auszug aus dem Buch bietet der Verlag auf seiner Internetseite an.

Das Problem, so Glunk, sei nicht nur, dass die Souveränität aus der Sichtweite staatlicher Zuständigkeit abgewandert sei. Das Problem sei mehr noch, dass immer schwerer zu klären sei, wo sie sich jetzt befinde. Ob bei Medikamentenzulassung oder Finanzmarktregulierung: Überall gibt es intransparente, nicht überschneidungsfreie Netzwerke ohne Adressen und ohne definierte Zuständigkeiten, legitimiert allein durch die Folgsamkeit der durch sie bestimmten Praxis und ein von Bürgern als irgendwie in Ordnung empfundenes Markt-Ergebnis. Dieser "normativen Kraft des Faktischen", die gewachsene demokratische Strukturen zügig auszuhöhlen vermag, fordert Glunk schließlich wieder mehr eine "faktische Kraft des Normativen" entgegenzusetzen. Wie sehr er selbst an diese Kraft glaubt, lässt er im Ungefähren.

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