An der Grenze:Falsche Pillen und andere Prioritäten

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Der Zoll hat im vergangenen Jahr viermal so viele illegale Arzneimittel beschlagnahmt wie im Jahr zuvor. Und auch beim Mindestlohn hakt es.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Schön, schlank, muskulös und potent. Immer mehr Deutsche streben diesen vermeintlichen Idealen nach und schlucken dafür jede Menge Pillen. Darauf jedenfalls lassen die neuesten Zahlen der deutschen Zollfahnder schließen. Sie haben im vergangenen Jahr knapp vier Millionen Tabletten unklarer Herkunft sichergestellt, das sind viermal so viele wie im Jahr zuvor.

In den Netzen der Fahnder blieben zudem 380 Kilogramm reiner pharmazeutischer Wirkstoff hängen, der aus China eingeschmuggelt werden sollte. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble warnte am Montag in Berlin in der jährlichen Zoll-Pressekonferenz vor den im Internet angebotenen Arzneimitteln. "Ich empfehle jedem, Medikamente online nur aus nachweislich seriösen Quellen zu kaufen", sagte Schäuble. Der Zoll decke zunehmend kriminelle Strukturen auf.

Den Fahndern zufolge arbeiten die Schmuggler wie gut funktionierende mittelständische Unternehmen. Der Einkauf erfolgt in Fernost und China, die Einfuhr nach Europa über Schmuggler und Lager, der Vertrieb läuft über illegale Online-Apotheken, die wiederum untereinander verlinkt sind. Kunden könnten über deutsche Portale zahlen, was deren Vertrauen in die Apotheken fördere.

Unklar blieb am Montag, ob der Medikamentenschmuggel tatsächlich überproportional angestiegen ist - oder ob den Zollfahndern einfach mehr Schmuggler ins Netz gingen, weil sie im vergangenen Jahr besonders stark die Einfuhr von Medikamenten überwacht hatten. Auch beim Kampf gegen Rauschgiftschmuggel steigerten die Fahnder die Erfolge. Sie zogen 16,7 Tonnen Rauschgift aus dem Verkehr, davon 1,7 Tonnen Kokain.

Verstärkt überprüft haben die Zollfahnder 2015 auch die Umsetzung des gesetzlichen Mindestlohns. Bei 400 000 Überprüfungen seien mehr als 106 000 Strafverfahren eingeleitet worden, sagte der zuständige Abteilungsleiter im Bundesfinanzministerium, Julian Würtenberger. Bisher gebe es "nicht die Verstöße im großen Umfang", sagte er. Während im ersten Halbjahr 2015 noch die Aufklärung über die neuen Vorschriften im Mittelpunkt gestanden habe, sei es von der Jahresmitte an verstärkt darum gegangen, Verstöße aufzudecken. Der Zoll habe "risikoorientiert" kontrolliert und besonders für Verstöße anfällige Branchen beobachtet. Das seien Wirtschaftszweige, die "besonders nah dran sind an prekären Löhnen", etwa die Bauwirtschaft und die Gastronomie. Schäuble sagte, die Nachwuchskräfte des Zolls würden "prioritär" bei den Mindestlohnkontrollen eingesetzt. Allerdings hätten im vergangenen Jahr wegen der großen Flüchtlingszahl Mitarbeiter ans Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) und an die Bundespolizei abgegeben werden müssen. Laut Würtenberger wurden alle 320 Mitarbeiter, die im vergangenen Jahr mit ihrer Ausbildung beim Zoll fertig wurden, zunächst zu Bamf oder Bundespolizei entsandt. Diese kämen aber nach und nach zurück. Wegen der neuen Kontrollaufgaben beim Mindestlohn seien die Ausbildungskapazitäten für den mittleren und den gehobenen Dienst beim Zoll um jeweils 50 Prozent heraufgesetzt worden. Der Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde gilt seit Januar 2015. Beim Zoll ist die Finanzkontrolle Schwarzarbeit dafür zuständig, mögliche Verstöße aufzudecken.

© SZ vom 12.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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