Amoklauf in München:Die Stimmungsmache von Politikern - ein übler Vorgeschmack auf den Wahlkampf

Nach Schießerei in München

Abgesperrter Tatort vor dem Olympia-Einkaufszentrum OEZ in München.

(Foto: dpa)

Nicht nur AfD-Politiker versuchten, den Amoklauf von München auszuschlachten. Auch seriöse Politiker taten das. Was besser wäre: einfach mal die Klappe halten!

Kommentar von Christoph Hickmann

So gut wie nichts war klar an diesem tragischen Freitagabend, als der CSU-Bundestagsabgeordnete Florian Hahn bereits einen Tweet absetzte. Noch wusste niemand, was genau sich in München abgespielt hatte oder womöglich erst abspielen sollte - doch Hahn hatte schon eine äußerst konkrete Vorstellung davon, was nun zu tun sei: Zur "Herstellung der Sicherheit im öffentlichen Raum" brauche man für die nächsten Tage die Bundeswehr, schrieb er. Und als es Kritik an seiner Äußerung gab, legte er noch mal nach: Die Polizei melde schließlich eine "akute Terrorlage".

Aber hatte Hahn eigentlich so unrecht? Schließlich hatte das Verteidigungsministerium, als die Lage noch nicht klar war, offenbar tatsächlich eine Feldjäger-Einheit in Bereitschaft versetzt. Auch über den Sinn dieses Schritts kann man trefflich streiten - und doch ist eine solche exekutive Anordnung etwas ganz anderes, als öffentlich darüber zu twittern und damit die politische Debatte schon zu beginnen, während noch nichts, aber auch gar nichts geklärt ist. Womit die Frage bleibt, wofür diese übereilte, stillose Forderung eines ansonsten ernstzunehmenden Politikers steht. Die Antwort: für einen äußerst beunruhigenden Vorgeschmack auf den Wahlkampf im nächsten Jahr.

Es wird ein neues Mega-Thema im Wahlkampf geben

Dass die Eiferer und Geiferer loshetzen würden, bevor irgendetwas feststand, war klar. Dass viele in der rechtspopulistischen AfD und um die AfD herum die Toten von München ohne jeden Hinweis auf einen islamistischen Hintergrund sofort mit der Flüchtlingspolitik erklären würden: schlimm, ekelhaft - aber letztlich nicht anders zu erwarten. Doch am Freitagabend versuchten eben nicht nur AfD-Propagandisten, noch während des laufenden Polizeieinsatzes politischen Profit aus den tödlichen Schüssen zu schlagen. Sondern auch Leute wie CSU-Politiker Florian Hahn - der mit der altbekannten Forderung nach dem Einsatz der Bundeswehr im Innern allerdings noch moderat unterwegs war. Ein CDU-Politiker aus Dresden etwa schrieb auf Twitter: "Die Willkommenskultur ist tödlich."

Im Bundestagswahlkampf 2017 wird, wie immer, von Steuern die Rede sein, von Renten. Doch wenn sich die Weltlage in den nächsten Monaten nicht schlagartig beruhigt, wird es ein Mega-Thema geben: Sicherheit. Und zwar die innere wie die äußere Sicherheit, weil das eine vom anderen nicht mehr zu trennen ist. Daran wäre an sich nichts Schlimmes - wenn die Geschehnisse in München nicht abermals zeigen würden, wie fragil die Lage ist. Und wie schnell die Stimmung umschlagen kann.

Nach derzeitigem Erkenntnisstand handelt es sich beim Münchner Täter um einen Amokläufer ohne politische oder religiöse Motive, weshalb sich nun diejenigen, die zu früh über Terror, Islamisten und Flüchtlinge faselten, zerknirscht entschuldigen müssen - sofern sie noch über so etwas wie Schamgefühl und Stilempfinden verfügen. Doch was passiert, wenn es tatsächlich einmal zu einem islamistisch motivierten Anschlag dieser Tragweite kommt? Dann, so muss man fürchten, brechen endgültig die Dämme. Und zwar womöglich auch bei denjenigen, die bislang noch so etwas wie politischen Anstand wahren.

Es hilft nichts, der AfD nachzulaufen

Was daraus folgt? Dass all diese Anständigen, also sämtliche Parteien links der AfD, in den nächsten Monaten so seriös, besonnen und auch mal langweilig-abwägend agieren und formulieren müssen wie möglich. Das gilt vor allem für die Union und hier verschärft für die CSU, die von der neuen Konkurrenz rechts überholt worden ist. Ihr nachzulaufen bringt erkennbar nichts - und genauso wenig bringt es irgendeinem seriösen Politiker etwas, noch schneller, noch dreister, noch zynischer auf Großlagen wie die von München zu reagieren als die AfD. Am Ende ist nur der eigene Ruf ramponiert - und die AfD hat wieder ein paar Wähler mehr. Was hingegen zuweilen hilft: einfach mal die Klappe halten.

Sollte das gelingen, könnte im Wahlkampf kenntlich werden, welche Parteien Konzepte haben statt Abschottungsfantasien. Wer für realistische Sicherheitspolitik steht und wer von Sicherheit letztlich keine Ahnung hat. Wer Ängste ernst nimmt, statt sie zu bedienen. Sollte das hingegen nicht gelingen, könnte dies ein Wahlkampf werden, den man sich jetzt noch gar nicht ausmalen mag.

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