Amnesty International:Ein Forum für die Taliban

Amnesty International untergräbt seine eigene Reputation. Mit der Affäre um Gita Sahgal hat sich die Organisation in eine moralische Krise gesteuert.

Andreas Zielcke

Gita Sahgal, verantwortlich für die gender unit in der Londoner Zentrale, beklagte am 7. Februar in der Sunday Times, dass Amnesty sich in zu große Nähe eines Befürworters der Taliban begeben habe, ja ihm die eigene Plattform zur Verfügung stelle. Die Folge war nicht, dass man die kritisierten Kontakte überprüfte - man entfernte die Kritikerin auf der Stelle aus ihrem Amt.

Gegenüber der SZ möchte die deutsche Sektion das Kaltstellen der Kritikerin zwar nicht kommentieren, weil es sich um eine "personalrechtliche Sache" handle, die nichts mit der inhaltlichen Kritik Gita Sahgals zu tun habe, sondern allein mit ihrem öffentlichen Angriff auf die eigene Organisation. Doch die Fragwürdigkeit der Allianzen, die Amnesty eingeht, ist damit nicht zu kaschieren.

Was ist der Auslöser? Amnesty vertritt in seinem Kampf gegen menschenrechtswidriges Traktieren von Gefangenen selbstverständlich auch Häftlinge von Guantanamo wie den britischen Moslem Moazzem Begg. Der wurde 2001 in Pakistan verhaftet, nach Guantanamo verbracht und dort nach drei Jahren entlassen. Seither wird er von Amnesty nicht nur betreut. Vielmehr bestreitet man mit ihm auch öffentliche Kampagnen zur Aufklärung über Guantanamo. Und hier beginnen die schlammigeren Untiefen.

Begg hat aus seiner islamistischen Vergangenheit nie einen Hehl gemacht, auch wenn er sich jetzt von Rechtfertigungen der Gewalt distanziert. Nicht distanziert hat er sich aber von seiner früheren Äußerung, dass für das Land Afghanistan die Taliban bisher die besten Herrscher waren. Vor allem hat er eine eigene Initiative gegründet, Cageprisoners, die ebenfalls für die Rechte von Häftlingen des Anti-Terror-Krieges eintritt. Diese Gruppe aber arbeitet mit sehr dubiosen Leuten zusammen, die sich durchaus für den "Heiligen Krieg" aussprechen, wenn sie ihn nicht sogar unterstützen.

Wie weit Beggs Sympathie für die Taliban reicht, die Gita Sahgal ihm unterstellt, ist unklar; er selbst hat gegen den Bericht der Sunday Times Klage erhoben. Doch Amnesty kann sich auf diese Ungeklärtheit nicht berufen. Der Hinweis des Amnesty-Direktors Claudio Cordone auf die Unschuldsvermutung zugunsten Beggs zeugt von einem schweren Missverstehen seiner Organisation.

Amnestys Programm ist zwar nicht so eng gefasst, wie es Christopher Hitchens in seiner harschen Kritik der Sahgal-Affäre in Slate definiert. Denn neben unschuldigen Opfern von Gewaltregimes, die ihren Widerstand mit Folter, Haft oder gar Leben bezahlen, vertritt Amnesty zu Recht auch solche Opfer brutaler Justizpraktiken, die sich womöglich selbst schuldig gemacht haben - die aber natürlich nicht weniger Anspruch auf faire Behandlung und Prozesse haben. Doch genau darum muss Amnesty hier eine glasklare Linie ziehen. Eine Linie nämlich, die eindeutig das Opferschicksal des jeweiligen Häftlings trennt von dessen politisch-ideologischer Haltung.

Ob das Talibanregime unter allen bisherigen Regierungsübeln noch das kleinste war, mag Afghanistans Bevölkerung entscheiden, nicht aber Amnesty mit seiner absoluten Verpflichtung auf die Menschenrechte. Dass die Taliban dort, wo sie heute das Sagen haben, die Rechte von Frauen und Dissidenten mit Füßen treten, ist unbestreitbar. Wer auch nur in den geringsten Verdacht gerät, ihre menschenrechtsverachtende Ideologie zu dulden, kann nie das Forum von Amnesty International nutzen, ohne dessen Glaubwürdigkeit zu zerstören.

Wenn Amnesty hier nicht päpstlicher ist als der Papst, kann es abdanken. Als humanitäre Stimme wird es nur dann von allen gehört, wenn es der Realpolitik abschwört. So wie bei Richtern schon der leise Verdacht auf Parteilichkeit die nötige Unbefangenheit vereitelt, so wird Amnesty jedwede Nähe zu heiligen Kriegern zum Verhängnis. Der Ruf der Organisation ist beschädigt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: