Amnesty-Bericht:Zehntausende in Syrien verschleppt und verschwunden

Syrian detainees, who were arrested over participation in the protests against Syrian President Bashar al-Assad's regime,are seen walking at the Damascus police leadership building to sign their release papers

Zehntausende habe das Assad-Regime verschleppt, berichtet Amnesty International. Das Plakat des Diktators hängt vor einem Polizeigefängnis in Damaskus.

(Foto: REUTERS)
  • Mehrere zehntausend Menschen sind im syrischen Bürgerkrieg von Regierungskräften verschleppt worden, meldet Amnesty International.
  • Inzwischen existiert ein Schwarzmarkt, auf dem Angehörige der Opfer für Informationen über deren Verbleib bezahlen.

Von Markus C. Schulte von Drach

Zehntausende von Menschen sind in Syrien von Regierungskräften verschleppt worden und bis heute verschwunden. Das berichtet Amnesty International (AI). Der Report der Menschenrechtsorganisation spricht von systematischen, fast alltäglichen Menschenrechtsverletzungen des Assad-Regimes, dessen Militär, Geheimdienste, aber auch Milizen wie die Schabiha immer wieder Menschen mit Gewalt aus ihren Häusern, Büros oder aus ihren Autos geholt hätten und verschwinden ließen.

Der Bericht bestätigt frühere Vorwürfe, die 2014 bereits zu einer Resolution des UN-Sicherheitsrates geführt haben. Er passt auch zu den Fotos von etwa 11 000 Toten, die ein Fotograf der syrischen Militärpolizei aus dem Land geschmuggelt hat. Offenbar wurden sie von Sicherheitskräften getötet - viele, nachdem sie zuvor gefoltert wurden.

Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Amnesty selbst befragte in den vergangenen Monaten 71 aus Syrien geflohenen Menschen, die über das Verschwinden von Familienangehörigen, Freunden und Kollegen berichten konnten. Außerdem befragte die Organisation acht Syrer, die verschleppt wurden, dann aber wieder frei kamen. Zudem informierte sich die Organisation bei 14 internationalen und nationalen Experten. Auf der Grundlage der Gespräche, früherer Untersuchungen und den Berichten anderer Beobachtungsgruppen kommt AI zu dem Schluss, dass die Verschleppungen seit 2011 "Teil eines von der Regierung organisierten Angriffs auf die Zivilbevölkerung sind, der so breit angelegt und systematisch war, dass es sich um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt".

Eine Quelle, auf die sich Amnesty beruft, ist das Syrische Netzwerk für Menschenrechte, eine Gruppe von Oppositionellen, die etliche Kontakte in dem Bürgerkriegsland aufrecht erhalten. Das Netzwerk hat die Namen von insgesamt mehr als 65 000 Menschen identifiziert, die offenbar zwischen März 2011 und August 2015 verschleppt wurden und bis heute nicht wieder aufgetaucht sind - darunter 58 000 Zivilisten. Unter den Opfern waren zu Beginn des Konflikts demnach vor allem Demonstranten, politische und Menschenrechtsaktivisten, Ärzte. Dann begann das Regime, auch Soldaten und Regierungsmitarbeiter sowie deren Familienmitglieder zu verschleppen, bei denen der Verdacht bestand, sie wären abtrünnig.

Inzwischen hat das "System der Verschleppung" soweit um sich gegriffen, dass die Verantwortlichen es zum Teil für ihren eigenen Vorteil nutzen - sei es, um gezielt Menschen unter Druck zu setzen, sei es, um damit Geld zu machen. Da Familienmitglieder damit rechnen müssen, selbst zu verschwinden, wenn sie nach ihren Angehörigen fragen, wenden sie sich an Mittelsmänner mit Verbindungen zu den Behörden. Diese kaufen und verkaufen Informationen über verschleppte Häftlinge.

Wie die Regierung mit den Verschleppten Geld verdient

Inzwischen gibt es Amnesty zufolge einen regelrechten Schwarzmarkt, auf dem teils riesige Summen an Bestechungsgeld gezahlt werden. So sagte etwa Hakim al-Saleh, Bruder eines Verschleppten, sie hätten an einen Mittelsmann etwa 30 000 US-Dollar zahlen müssen. "Wir haben unser Land verkauft, um diesen Mann zu bezahlen." Ein anderer Syrer ist laut Amnesty in die Türkei gegangen, um dort irgendwie das Geld zu verdienen, dass er für Informationen über den Verbleib seiner drei Brüder gebraucht hatte. Er brauchte 150 000 US-Dollar. Aufgetaucht seien die Vermissten noch immer nicht.

Tarek Hokan, ein syrischer Menschenrechtsaktivist, sagte laut Amnesty, die Bestechungsgelder seien eine Art Geschäft für die Regierung und würden inzwischen sogar einen großen Teil der syrischen Wirtschaft ausmachen. "In jedem Viertel gibt es etliche Mittelsmänner", sagte der syrischen Menschenrechtsanwalt Anwar al-Bunni AI. Es sei der neueste Beruf für Syrer.

Viele Verschleppte verloren den Verstand

Wie es den Verschleppten ergeht, konnten einige Opfer selbst berichten. So sagte Salam Othman, der von 2011 bis 2014 gefangen gehalten wurde, dass er und andere im Sednaya-Gefängnis mit Gegenständen gefoltert wurden, die maximale Schmerzen hervorrufen sollten. "Menschen starben und wurden durch andere ersetzt ... ich habe meine Zelle in drei Jahren nicht einmal verlassen ... viele Menschen wurden hysterisch und verloren den Verstand."

Amnesty fordert, die Verschleppungen zum Fall für den Internationalen Strafgerichtshof zu machen. Außerdem ruft die Organisation den UN-Sicherheitsrat dazu auf, dafür zu sorgen, dass die UN-Resolution vom Februar 2014 umgesetzt wird. auch dort wird ein Ende aller Verschleppungen gefordert. Eine besondere Rolle kommt hier Russland zu. Neben dem Iran ist das Land der wichtigste Verbündete der Regierung in Damaskus und unterstützt deren Kampf gegen die Aufständischen mit Luftangriffen.

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