Amerikas Bündnis-Politik:Wir gegen die

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Kanzlerin Angela Merkel und Barack Obama (Archiv): Freundschaft und Vertrauen gelten in ihrem Verhältnis nicht viel.

(Foto: AFP)

Die Abhöraffäre ist den USA allenfalls peinlich - nicht weil der Geheimdienst NSA überzogen hat, sondern weil die Aktion aufgeflogen ist. Kanzlerin Merkel reagiert empört, wird so aber kaum etwas erreichen gegen das machtpolitisch ausgerichtete Amerika. Das scheint sich nicht mehr allzu viel Nutzen von einer Partnerschaft mit Berlin zu erwarten.

Ein Kommentar von Stefan Kornelius

Kühl war der Ton, als Europas politische Größen in Brüssel über das Telefon Angela Merkels berieten, aber hinter dem Pragmatismus versteckte sich kochender Zorn. Zorn auf die USA und ihre manischen Dienste. Zorn über die Unverfrorenheit Präsident Obamas, der sich hinter einem Sprecher versteckt und entweder seine Leute nicht im Griff hat oder heuchelt. Zorn auf die Zyniker, die für die jüngste Volte im Späh-Geschäft nur den Satz übrig haben: Wozu sonst halte man sich Geheimdienste?

Nein, dazu hält man sich nach deutschem Verständnis Geheimdienste eben nicht. Jede nachrichtendienstliche Arbeit ist zutiefst politisch. Jede Entscheidung hat politische Folgen. Auch in den USA ist es die wichtigste Aufgabe von Diensten, dass sie Schaden vom Volk abwenden. Haben diese Dienste also versagt und ihre Schaden-Nutzen-Rechnung nicht mehr im Griff? Sie kontrollieren unbeherrscht und unbegrenzt, sie kennen weder Freund noch Feind, und offenbar fehlt ihnen vollständig das Gespür für den politischen Wert, den etwa Verbündete im Ringen um Sicherheit liefern.

Aus amerikanischer Sicht würde man sich diesen Vorwurf nur bedingt gefallen lassen. Klar, der Vorfall ist peinlich, nicht weil man überzogen hat, sondern weil man sich hat erwischen lassen. Punkt. Außerdem "tun das Spione" eben. Weil diese Kaltschnäuzigkeit selbst in der Hitze der Krise nicht weichen will, sind Zorn und Empörung die falschen Mittel der Auseinandersetzung. Richtig wären eine nicht minder starke Portion Kaltschnäuzigkeit und die richtige Analyse, wie es so weit kommen konnte.

Klar ist nun: Mit den USA muss in einer anderen Währung gerechnet werden. In dieser Währung gelten Freundschaft und Vertrauen zunächst nicht viel. Es gilt nicht die Kraft des moralischen und politischen Vorbilds, die viel diskutierte soft power, die Obama einst zurückgewinnen wollte. Wer angeblich 35 Staats- und Regierungschefs weltweit abhören lässt, darunter sogenannte Verbündete, der scheint jenseits der Sonntagsreden binär zu funktionieren: Wir gegen die.

Nur das eigene Interesse zählt

Das ist ein dramatischer Befund. Aber man sollte vom schlimmstmöglichen Szenario ausgehen, wenn man über den künftigen Umgang mit den USA nachdenkt. Da gibt es keinen Bündnis-Bonus, da gibt es nur den Vorteil. Das ist die deprimierende Botschaft, gewonnen aus der Düpierung der deutschen Kanzlerin: Hinter der Festkulisse - zuletzt aufgeführt im Juni vor dem Brandenburger Tor oder beim State Dinner für die Kanzlerin zwei Jahre zuvor - regiert das blanke Interesse. Und offenbar haben die USA inzwischen so wenig Interesse an Deutschland, dass der Präsident die Bundeskanzlerin abhören lassen kann, ohne Nachteile daraus befürchten zu müssen.

Lässt man nämlich all den Zorn beiseite, dann drückt sich in der Abhöraktion eine Missachtung aus, die den politischen Zustand dieser transatlantischen Beziehungen durchaus spiegelt. Nicht mal mehr der Anstand verbietet es, die Respektlosigkeit gegenüber Merkel zu unterlassen.

Einen ernsthaften Schaden hat in Washington offenbar niemand befürchtet, sollte die Abhörerei auffliegen. Das liegt vor allem daran, dass Deutschland den USA keinen Schaden zufügen kann. Oder umgekehrt formuliert: Allzu viel Nutzen scheinen sich die USA von dieser Partnerschaft mit Berlin nicht zu erwarten. Das Risiko ist also gering.

Eine Demütigung der Kanzlerin

In Washington wird ein Verhältnis an den machtpolitischen Hebeln gemessen, die der anderen Nation gegeben sind. Deutschland ist inzwischen in die Kategorie jener Staaten gewandert, die nicht wirklich hilfreich sind, um die man sich nicht bemühen muss, die man aber gerne an seiner Seite weiß. Nice to have eben.

Zwar wird auch die Regierung Obama nicht müde, die gestiegene Bedeutung Deutschlands als Europas ökonomische und politische Führungsnation zu betonen. Aber das sagt im Zweifel mehr über die geschrumpfte Bedeutung des übrigen Europas aus als über die gewachsene Macht Deutschlands.

Im geostrategischen Puzzle der USA taucht Deutschland kaum auf: Der Libyen-Einsatz (in all seiner Unzulänglichkeit)? Ohne Deutschland. Syrien, Ägypten, Nahost? Verschwunden von der deutschen Agenda. Wenigstens ein kleiner Hebel via Russland? Hat Deutschland gerade nicht zur Hand. Ein bisschen mehr Standfestigkeit gegenüber China trotz aller ökonomischen Verlockungen? Nicht zu erwarten von Deutschland. Eine klare sicherheitspolitische Alternative aus EU-Europa, inklusive Armeen, Aufklärung, Handelsdruck, Hilfszahlungen, Mittler-Missionen? Gibt es nur sehr, sehr begrenzt.

Die Deutschen haben es sich bequem eingerichtet im Schatten der Euro-Krise, die ihnen nicht schadet, die sie aber auch nicht schnell lösen werden. Aus der kalten, machtkalkulatorischen Sicht Washingtons verdient indes Respekt, wer Respekt einflößt. Die Bundesrepublik jedenfalls wirkt da eher niedlich mit einer Kanzlerin, die auf einem alten Nokia-Handy telefoniert, und mit einer Infrastruktur zu Cyber- und Datensicherheit, die vielleicht einem Staat im Mittelfeld der Weltökonomien zum Ruhme gereichte.

Demonstration des Machtgefälles

Wenn nun die Kanzlerin und der französische Präsident das Späh-Geschäft vertraglich mit den USA regeln wollen, dann steckt in dieser Absichtserklärung wieder einmal nur ein Signal der Hilflosigkeit. Wenn man die USA schon zu Verhandlungen bitten muss, dann darf man sich kein grandioses Ergebnis erhoffen. Ein Bittsteller hat nichts zu fordern. Selbst wenn ein Kontrakt zustande käme: Wer garantiert, dass er von den US-Diensten auch eingehalten wird? Welche Sanktionen schweben Deutschland und Frankreich vor, sollte wieder ein Handy abgehört werden?

Es gibt ein paar Stellschrauben, an denen gedreht werden kann: Das Swift-Abkommen sollte ausgesetzt werden, die Bundesregierung sollte prüfen, ob US-Installationen der NSA oder der CIA nicht symbolisch geschlossen werden könnten. Einerseits. Andererseits ist Symbolik eine zweischneidige Angelegenheit: Die Abhängigkeit von den US-Diensten ist so immens, dass der Schaden für die Europäer schnell größer sein könnte. Das Gleiche gilt für das Freihandelsabkommen, von dem deutsche Arbeitnehmer im Zweifel mehr profitieren als amerikanische Chlorhühnchen-Verpacker, die ihre Ware hierzulande allemal nicht loswerden.

Die eigentliche Demütigung der Handy-Affäre liegt in der Demonstration des Machtgefälles. Das ist keine neue Nachricht. Aber vielleicht wächst nun der Antrieb, sich aus der Abhängigkeit zu lösen. Für Deutschland wäre das ein Gebot der politischen Klugheit, und - skurrilerweise - für Europa wie die USA ein Gewinn.

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