Amerikanisch-russische Beziehungen:Kontrollierte Eskalation

Obama cancels meeting with Putin

Eisige Beziehungen: der russische Präsident Wladimir Putin und sein amerikanischer Amtskollege Barack Obama

(Foto: dpa)

Affront oder Schattenboxen? US-Präsident Obama lässt den Zweier-Gipfel mit Russlands Präsident Putin wegen der Causa Snowden platzen. Beide Staatschefs vermeiden einen Eklat, doch die Episode ist symptomatisch: Die Stimmung zwischen Moskau und Washington ist frostig - und der Berg unbewältigter Probleme riesengroß.

Von Hannah Beitzer und Matthias Kolb

Wladimir Putin ist ein Meister der bombastisch inszenierten außenpolitischen Eskalation. Der russische Präsident gilt als Hardliner, sei es im Streit um Syrien, die von den USA geplante Raketenabwehr oder in der Abrüstungsfrage.

Es wirkt deshalb irritierend zurückhaltend, wie Moskau darauf reagiert, dass US-Präsident Barack Obama ein geplantes Treffen mit Putin absagte - unter anderem wegen des Whistleblowers Edward Snowden, der in Russland Asyl erhalten hat.

"Wir sind enttäuscht", ließ der russische Präsident über seinen außenpolitischen Berater Jurij Uschakow ausrichten. Die Absage sei ein Affront. Aber: Die Einladung an Obama bleibe weiterhin gültig.

Gezielte Eskalation sieht anders aus - was sich auch von Putins Umgang mit der Causa Snowden sagen lässt. Russlands Präsident hat sich bisher kaum zu dem Fall geäußert, lässt stattdessen für gewöhnlich seinen Berater sprechen. Dieser hatte das Asyl als "ziemlich unbedeutende Angelegenheit" bezeichnet. Ein Sprecher Putins betonte, dass die Entscheidung über einen Asylantrag nicht einmal "auf höchster Ebene" verhandelt werde.

Auch die - größtenteils staatlich kontrollierten - russischen Massenmedien berichten eher zurückhaltend über den Fall. Auffällig viele Zeitungen verorten die Berichterstattung nicht einmal im Ressort Politik, sondern in "Gesellschaft" - als ginge es um eine x-beliebige Flüchtlingsgeschichte.

Eiszeit zwischen Moskau und Washington

Die Zurückhaltung gilt in gewissem Maße auch für die andere Seite: Immerhin hat US-Präsident Barack Obama nicht den gesamten G20-Gipfel in Moskau platzen lassen, sondern nur das Treffen mit Putin.

Damit wählt er allenfalls die Mindeststrafe für den Amtskollegen - in dem Wissen, dass ihm Bilder von einem Gespräch unter vier Augen zu Hause Schwierigkeiten bereitet hätte. Fast alle amerikanischen Russland-Experten urteilen wie Mark Katz von der George Mason University: "Obama konnte gar nicht anders als den Gipfel platzen zu lassen. Ein Zweier-Treffen mit Putin hätte innenpolitisch desaströse Folgen gehabt."

Dennoch zeigt die Episode ein tiefer liegendes Problem der russisch-amerikanischen Beziehungen. Das geplatzte Treffen führt der Weltöffentlichkeit nun in aller Klarheit vor, was sich spätestens seit der Rückkehr von Wladimir Putin ins Präsidentenamt abzeichnete: Das Verhältnis zwischen Moskau und Washington ist auf Gefrierpunkt-Niveau angekommen, und zwar schon länger.

Im Mai 2012 hatte Putin Obama düpiert, als er einen geplanten Gipfel mit Obama in Camp David wegen Terminproblemen absagte. Bei der letzten gemeinsamen Pressekonferenz im Juni beim G8-Gipfel in Nordirland war für jeden zu erkennen, wie sehr sich die beiden Präsidenten misstrauen - und wie wenig sie dies verbergen wollen.

Obamas "Neustart" ist komplett gescheitert

Ganz anders war die Situation noch zu Beginn von Obamas erster Amtszeit, als er mit dem fast gleich alten Dmitrij Medwedjew für einen "Neustart" der bilateralen Beziehungen sorgen wollte. Symbolisch lud er damals den Russen sogleich in Washington zum Burger-Essen ein. Außer schönen Bildern brachte die Charme-Offensive des US-Präsidenten jedoch kaum Ergebnisse: Die Liste der Streitpunkte ist sehr lang.

Obamas zuletzt in Berlin erneut geprobter Vorstoß, die Atomwaffenarsenale beider Staaten abzubauen, wurde von Moskau nicht aufgegriffen. Die felsenfeste russische Unterstützung für Syriens Machthaber Baschar al-Assad macht die diplomatischen Dauer-Verhandlungen über eine Friedenskonferenz zur Farce - dabei hatten sich beide Staaten noch im Mai für das jeweilige Engagement gelobt.

Die fehlende Rechtsstaatlichkeit in Russland und die politisch motivierten Schauprozesse gegen die putinkritische Punk-Formation Pussy Riot oder Oppositionspolitiker wie den Blogger Alexej Nawalny verärgern viele US-Abgeordnete. Sie fordern von Obama deutlichere Kritik. Gerade die liberalen Anhänger des Präsidenten sind entsetzt, dass die russische Staatsduma jüngst ein "Gesetz gegen homosexuelle Propaganda" erlassen hat - Obama geißelte dies in der Talk-Show von Jay Leno als "Verstoß gegen die Menschenrechte".

Putins fehlende Alternative in der Causa Snowden

Gerade weil es aber mit den Beziehungen zwischen den beiden Ländern schon vor der Causa Snowden nicht zum Besten stand, hatte Russland keine andere Wahl, als Edward Snowden Asyl zu gewähren. Ein Einknicken Russlands gegenüber den USA wäre für Wladimir Putin ein enormer Gesichtsverlust gewesen - innen-, aber vor allem auch geopolitisch. Russland ist sehr daran gelegen, sich auch nach dem Ende des Kalten Krieges als Gegengewicht zu den USA darzustellen.

Dabei ist es für die USA besonders bitter, dass Russland sich in diesem Fall nicht nur als Machtgegengewicht inszeniert - sondern sich ausgerechnet die Regierung Putin nun der Weltöffentlichkeit als Verfechter der Meinungsfreiheit präsentieren kann.

Die Konsequenzen der erneuten Verschlechterung der Beziehungen sind enorm. Das Atomprogramm des Iran, der Umgang mit Diktator Kim Jong Un in Nordkorea sowie die Lage in Afghanistan - viele globale Probleme sind nahezu unmöglich zu lösen, wenn sich Moskau und Washington blockieren.

Gerade das Beispiel Afghanistan zeigt, dass beide Staaten von einer pragmatischen Kooperation profitieren können: Der für 2014 geplante und von Obama versprochene Abzug der US-Armee soll vor allem über russisches Territorium abgewickelt werden. Und Moskau würde es helfen, wenn der Westen ein Land hinterlässt, das nicht mehr wie bislang im großen Ausmaß Drogen nach Russland exportiert.

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