Amerika und der Haushaltsstreit:Verkeilt, blockiert und absturzgefährdet

Nach dem Showdown um Mitternacht folgt der Shutdown: Erstmals seit 17 Jahren sind in den USA Regierung und öffentliche Verwaltung lahmgelegt. Obama setzt darauf, dass die Öffentlichkeit den Republikanern die Schuld an der misslichen Lage gibt. Mögliche Folgen für das Weltfinanzsystem nimmt der Präsident in Kauf, um seine Gesundheitsreform zu verteidigen.

Eine Analyse von Matthias Kolb

Warum steht die US-Regierung still?

Amerikas Parteien, die zutiefst zerstrittenen Demokraten und Republikaner, haben sich nicht darauf einigen können, vor dem 1. Oktober im Kongress ein Übergangsbudget zu verabschieden. Die Republikaner stellen die Mehrheit im Repräsentantenhaus, die Demokraten dominieren hingegen den Senat - und mit Barack Obama sitzt bekanntlich ebenfalls ein Demokrat im Weißen Haus.

Beide Seiten misstrauen sich zutiefst und trachten danach, dem politischen Gegner zu schaden. Der aktuelle Haushaltsstreit wurde erschwert durch einen Richtungsstreit in der Grand Old Party. Einige ultrakonservative Republikaner, wie der Tea-Party-Liebling Ted Cruz, nutzen die Debatte, um gegen die ihnen verhasste Gesundheitsreform zu protestieren. Der Texaner und andere Hardliner bürdeten erst ihrer eigenen Partei und anschließend den Demokraten einen Erpressungsversuch auf: Nur wenn die Regierung keine Zuschüsse zu Obamacare zahlt, sollte sie weiteres Geld bekommen.

Wie bei einem Pingpong-Spiel verabschiedeten Senat und Repräsentantenhaus in den letzten Tagen und Stunden Gesetze, die in den jeweils anderen Kammern keine Chancen auf Annahme hatten. Schließlich war die Zeit verstrichen und so werden alle "nicht notwendigen Regierungsaufgaben" vorerst eingestellt.

Wie geht es politisch weiter?

Wie lange der Stillstand dauert, weiß niemand. Am Dienstag tritt der US-Senat um 9:30 Uhr (15:30 MESZ) zu Beratungen zusammen. Harry Reid, Chef der Demokraten im Senat, schimpfte über die Republikaner: "Es ist beschämend, dass diese Leute, die eigentlich das amerikanische Volk vertreten sollten, nur die Tea Party vertreten." Wenige Stunden vor der Deadline hatten die Republikaner neue Verhandlungen in kleiner Runde vorgeschlagen, was Reid ablehnte und als "Spielchen" bezeichnete. Er will, dass das Repräsentantenhaus ohne Vorbedingungen ein Budget verabschiedet, das der Regierung sechs Wochen Finanzspielraum gibt. Erst dann könne verhandelt werden. Die Fronten bleiben also verhärtet.

Welche Auswirkungen hat der "government shutdown"?

Die Folgen des Verwaltungsstillstands sind enorm: Etwa 800.000 Staatsbedienstete werden in Zwangsurlaub geschickt, die Raumfahrtbehörde Nasa arbeitet nur noch im Notmodus und Touristenattraktionen wie die Freiheitsstatue oder die Smithsonian-Museen in Washington bleiben geschlossen (weitere Details in diesem Süddeutsche.de-Text).

Nicht betroffen sind öffentliche Einrichtungen, die mit Sicherheit und Gesundheit zu tun haben - also die Flugsicherheit, die Geheimdienste oder der Grenzschutz. US-Präsident Obama unterzeichnete noch vor Mitternacht ein Gesetz, das sicherstellt, dass die US-Soldaten weiter ihren Sold erhalten. Bei Twitter zeigten viele US-Bürger Screenshots der Nationalpark-Webcams; sie sind schwarz. Weil die Ranger ebenfalls in Zwangsurlaub gehen müssten, bleiben die etwa 400 National-Park-Service-Einrichtungen bis auf Weiteres geschlossen

Nicht betroffen von den Kürzungen sind übrigens die 100 Senatoren sowie die 435 Abgeordneten: Anders als die meisten ihrer Mitarbeiter erhalten sie weiter ihr Geld. Vorerst eingestellt wird hingegen der offizielle Twitteraccount des US-Kongresses.

Obama geht es ums Prinzip

Warum blieb Obama, der von Beobachtern als Zauderer beschrieben wird, diesmal hart?

Es geht dem 51-Jährigen ums Prinzip und um sein Erbe. Die Gesundheitsreform, die an diesem Dienstag in Kraft tritt und weltweit als Obamacare bekannt, ist sein größter innenpolitischer Erfolg. Er hat durchgesetzt, dass Millionen ärmere Amerikaner wieder Zugang zum Gesundheitswesen bekommen und er ist überzeugt, die US-Gesellschaft damit etwas gerechter gemacht zu haben. Dies wird er nicht für einen kurzfristigen Kompromiss opfern.

U.S. President Barack Obama makes a statement to the press in the briefing room of the White House

US-Präsident Barack Obama bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus - wenige Stunden vor Beginn des "government shutdown".

(Foto: Reuters)

Obama hat stets an die Republikaner appelliert, die alten Gefechte einzustellen und die Realität zu akzeptieren: Der Affordable Care Act wurde 2010 von beiden Kammern des Kongresses beschlossen, das Oberste Gericht hat seine Verfassungsmäßigkeit bestätigt und die Amerikaner haben Mitt Romney nicht zu ihrem Präsidenten gewählt, der versprochen hatte, Obamacare an seinem ersten Tag im Weißen Haus rückgängig zu machen. Jedem Wähler war bewusst: Eine Stimme für Obama ist eine Stimme für Obamacare.

Auch wenn gerade viele Tea-Party-Republikaner es nicht wahrhaben wollen: Obama sieht in dieser Frage keinen Anlass, auch nur einen Zentimeter zu weichen. Er wirft den Republikanern vielmehr vor, den Aufschwung zu gefährden: "Unsere Firmen haben 7,5 Millionen Jobs in den vergangenen dreieinhalb Jahren geschaffen. Unser Defizit sinkt. Diese hart verdienten Fortschritte des amerikanischen Volkes aufs Spiel zu setzen, ist der Gipfel der Verantwortungslosigkeit."

Wer zahlt den politischen Preis für das Desaster?

Die größte Volkswirtschaft der Welt und die einzige globale Supermacht kann ihre Verwaltung zwischenzeitlich nicht finanzieren, das Parlament ist blockiert, Partikularinteressen dominieren: Der Ruf der USA leidet beträchtlich unter dem Streit. Dass Obama nicht zurückweicht, liegt auch daran, dass seine Berater im Weißen Haus überzeugt sind, dass die Mehrheit der Wähler die Schuld am shutdown den Republikanern zuweisen werden.

Die meisten Umfragen belegen dies: Etwa 60 Prozent der Bürger halten die Strategie der Republikaner, wegen Obamacare den Verwaltungsstillstand zu erzwingen, für falsch.

Und auch als 1995/1996 das letzte Mal die Regierung für 26 Tage geschlossen wurde, schadete dies Präsident Bill Clinton keineswegs - die Öffentlichkeit sah die Taktik des damaligen Republikaner-Anführers Newt Gingrich (Speaker) als überzogen an und wählte auch deswegen Clinton für weitere vier Jahre.

Ob nun Republikaner, Demokraten oder doch Obama bei der jetzigen Situation letztlich als Schuldige identifiziert werden, dürfte davon abhängen, wie lange der Verwaltungsstillstand andauert und wie stark die Bürger die Auswirkungen in ihrem Alltag spüren.

Handelt es sich nur um einen peinlichen Vorfall oder ist es wirklich ernst?

Mark Zandi, Analyst der Ratingagentur Moody's, schätzt, dass vier Wochen Schließung der Regierung die USA im vierten Quartal 1,4 Prozentpunkte Wachstum kosten könnten (mehr in diesem SZ-Text). Denn wenn Hunderttausende Arbeitnehmer nicht mehr arbeiten können und kein Geld bekommen, können diese weniger konsumieren, wodurch sich das Bruttoinlandsprodukt reduziert.

Was Beobachter und Analysten pessimistisch stimmen könnte, ist die Tatsache, dass die Diskussion um das Übergangsbudget nur die Vorstufe im Streit um die Erhöhung der Schuldenobergrenze ist. Der Kongress muss zustimmen, dass die US-Regierung neue Kredite aufnehmen kann - und diese Frist endet vermutlich am 17. Oktober. Falls die Republikaner die Anhebung von derzeit 16,7 Billionen Dollar blockieren, droht der größten Volkswirtschaft die Zahlungsunfähigkeit und die Obama-Regierung könnte auch die eigenen Schulden nicht mehr bedienen.

Die Folgen auf das Weltfinanzsystem könnten erheblich sein, da die Ratingagenturen automatisch die Kreditwürdigkeit der USA herabsetzen würden. Standard & Poor's hatte den USA schon bei der letzten großen Haushaltskrise 2011 das Top-Ranking entzogen.

Linktipps: Die möglichen Auswirkungen der amerikanischen Zahlungsunfähigkeit im Streit um die Schuldenobergrenze hat SZ-Wirtschaftskorrespondent Nikolaus Piper in diesem Text aufgezeichnet. Das Online-Magazin Slate macht sich über das eigene politische System lustig und veröffentlicht eine glänzende Satire: "Wie US-Medien über den shutdown berichten würden, wenn er in einem anderen Land Realität werden würde."

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