Altkanzler:Deutsches Museum

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Eine Einladung in sein Haus empfanden die meisten Gäste als Ritterschlag. Helmut Schmidt in Hamburg-Langenhorn, 1983. (Foto: J.H. Darchinger)

Das Interesse, das Haus von Helmut und Loki Schmidt zu besichtigen, ist groß. Ein Rundgang zeigt: zu Recht. Bald soll das jeder machen können, zumindest virtuell.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Das Arbeitszimmer von Helmut Schmidt riecht noch leicht nach Rauch, wie sollte es anders sein. Man könnte meinen, der frühere Bundeskanzler habe sich erst kürzlich aus dem Drehstuhl mit Sitzkissen erhoben, um Menthol-Zigaretten zu holen. Auf seinem hölzernen Schreibtisch unter der Hängelampe steht natürlich, wie in praktisch jedem Raum dieses Hamburger Flachbaus, ein Aschenbecher mit Drücker. Daneben liegen ein Kunstkatalog (Grisebach) und ein ausgerissener Nachruf auf Günter Schabowski, der am 1. November 2015 verstorben ist. Neun Tage später verschied Helmut Schmidt, seither hat sich hier offenbar wenig verändert. "So war's an seinem letzten Tag auf dieser Erde", sagt Andrea Bazzato nach einem Moment andächtiger Stille.

Frau Bazzato leitete das Büro des Welterklärers und Zeit-Herausgebers. Sie erinnert sich wehmütig, wie ihr Chef bei Besprechungen manchmal eine Zigarettenpause beschloss. Was für eine Pause, dachte sie, er qualme doch ununterbrochen. Jetzt ist Andrea Bazzato die Referentin der Helmut und Loki Schmidt-Stiftung und wacht neben dem geschäftsführenden Vorstand Stefan Herms über das Vermächtnis. Die Statthalter wollen den Geist des Eigenheims bewahren. Man werde diesen Genius loci pflegen, verspricht der vormalige Diplomat Herms. Wobei: "Viel schwieriger, als es zu konservieren, ist es, das Haus mit neuem Leben zu erhalten."

Zwischenzeitlich machte der Eindruck die Runde, die Heimstatt von Helmut und Loki Schmidt werde ein Museum. Das stimmt im Prinzip sogar, doch Herms und seine Mitstreiter haben rasch verstanden, dass sie keine Besuchergruppen durch die Doppelhaushälften aus rotem Ziegelstein lotsen können. Dafür haben die Schmidts zu viel hinterlassen, was nicht verschlissen werden oder gar verschwinden darf. Bücher (Tausende), Bilder, Fotos, Teppiche, Figuren, Möbel, Konzertflügel, Aschenbecher - bislang scheint seit Schmidts Tod alles an seinem Platz geblieben zu sein. Nur der Frühstückstisch sei abgeräumt worden. Und Handwerker installieren an diesem schönen Vormittag gerade Alarmanlagen. Denn die Scheiben sind zwar seit RAF-Zeiten schusssicher, Fenster und Türen waren aber bisher keineswegs diebstahlsicher. Das muss sich ändern, seit keine Personenschützer mehr aufpassen. In Hamburg wird gerne eingebrochen.

Vorläufig will die Stiftung das Gebäude mit einer ordentlichen Webseite zum virtuellen Museum machen und dann sehen, wie sich leibhaftige Besuche schonend regeln ließen. Das Interesse sei ja sehr groß, weiß Stefan Herms. Jedenfalls dürfe es in Schmidts Sinne nicht so museal zugehen, dass in diesem Ambiente keine Gesprächskreise mehr stattfinden können. "Das Wesen des Hauses besteht in privater und öffentlicher Nutzung, das wollte er selbst." In die lederne Couchgarnitur im Wohnzimmer sanken unter anderem Leonid Breschnew, Henry Kissinger, Valéry Giscard d'Estaing, Willy Brandt, Siegfried Lenz. Zu den letzten Gästen zählte der Genosse Per Steinbrück. Die leidenschaftlichen Gastgeber und Sammler Schmidt luden über Jahrzehnte ein, wen sie interessant fanden oder geostrategisch für bedeutend.

Heutzutage beginnt eine Audienz auch ohne Schmidts wie gehabt am hüfthohen Bretterzaun mit Gartentür. Neubergerweg 80-82, Stadtteil Langenhorn im Hamburger Norden, ein ruhiges und bürgerliches Revier. Helmut Schmidt war Staatsmann, Hanseat und Nachbar, die meisten Menschen in nah und fern mochten bis verehrten ihn. Kulturhistorisch sind drinnen die recht muffigen Sechzigerjahre daheim, mit Raufasertapete am Eingang, nebenan steht Lokis Gewächshaus. Doch das Ensemble hat seinen Stil. Es verströmt eine Bildung und einen Wissensdrang, dass man mit Helmut Schmidt am liebsten unverzüglich auf die Neugier anstoßen möchte; Baileys und Glenn Talloch Scotch lagern unter dem Schreibtisch im ersten Stock. "Es kamen immer noch Leute zu ihm, weil er diesen globalen Blick hatte", schwärmt Andrea Bazzato. Eine Teilnahme bei seinen sogenannten Freitagsgesellschaften galt als Ritterschlag. Wobei es sich laut Experten empfahl, auf Fragen vorbereitet zu sein. Parterre führt der Rundgang durch Schmidts häuslichen Kosmos nun vom Esstisch, an dem deftig gespeist und diskutiert wurde, in eine weitere anregende Zone. "Das", sagt Stefan Herms, "ist die legendäre Bar." Auf der Theke beginnt ein livrierter Louis Armstrong im Kleinformat auf Knopfdruck zu singen. Andrea Bazzato lobt Schmidts Humor, ein längerer Witz hängt in einer Büroecke an der Wand.

Die Schatzkammer von Schmidts Erbe ist im Anbau gegenüber untergebracht - sein Archiv. Neben Schmuckstücken wie einem Brocken innerdeutscher Mauer, einem Wehner-Plakat ("Sozialdemokraten leisten mehr") oder dem Poster für den Schmidt-Film "Kanzler & Pianist" kam in fast einem Jahrhundert Helmut und Loki Schmidt ein enormer Bestand an Akten und Erinnerungen zustande. Die Regale füllen Fotoalben ("1929-47", "Ägypten 1978"), Briefe ("Henry Moore", "Vogel") und Dokumente, persönlich bis offiziell. "Eine unglaubliche Quelle" sei das für Wissenschaftler, sagt der Stiftungsleiter Herms. Helmut Schmidt sei "in bestimmten Diskussionen vor der Welt" gewesen. "Er hat gesteuert." Forscher können für Projekte Anträge auf Recherche stellen. Fachleute sollen helfen, den Fundus zu ordnen und Papiere haltbar zu machen.

Computer? Benützte der kettenrauchende Steuermann Schmidt nicht, er las Zeitung oder Buch, schrieb mit der Hand und dachte nach. Man wird in seinem Nachlass auch keine Smartphones oder Tablets finden. Nur manchmal, so heißt es, riet er seinen Mitarbeitern: "Googelt das mal."

© SZ vom 13.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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