Alterssicherung:Niemals alle Eier in ein Nest legen

Das Risiko der Alterssicherung muss dadurch minimiert werden, dass man es streut

Andreas Hoffmann

(SZ vom 27.6.2003) - Wenn Rudolf Kraus über die Zukunft der Rente sinniert, muss er an die Post denken. Der CSU-Abgeordnete schaut in seinem Büro im Berliner Regierungsviertel auf die vor ihm liegenden Briefe und sagt: "Viele Nöte der Rentenversicherung haben wir selbst erzeugt."

Kraus erzählt davon, dass Manager viele ältere Postler in den Ruhestand gedrängt hätten. Man lege ihnen die Erwerbsunfähigkeit nahe, obwohl sie arbeiten könnten. Die Post wolle über die Rentenkasse ihre Personalprobleme lösen. Kraus: "Diese Art der Frühverrentung müssen wir stoppen und nicht die Probleme für die nächsten 1000 Jahre lösen."

Dies ist selbstkritisch gemeint, war er doch Staatssekretär bei Arbeitsminister Norbert Blüm, der die frühe Rente eingeführt hat. Aber hat Kraus recht? Oder will er die Zeitbombe Überalterung verharmlosen?

Die Antwort ist nicht einfach. Experten und Politiker wetteifern darum, möglichst viele Lasten den Ruheständlern aufzubürden: niedrigere Rente, höherer Kassenbeitrag, mehr für die Pflegeversicherung und das Finanzamt.

Länger arbeiten sollen alle auch noch. Der Sozialstaat ächzt, und der Ballast der Alten soll weg. Tatsächlich sieht die Zukunft der Rente wenig erfreulich aus: Die Deutschen werden im Schnitt immer älter. Wurde ein westdeutscher Mann 1951 im Schnitt 65 Jahre alt, so sind es heute 75 Jahre, Tendenz steigend.

Verhältnis zwischen Alt und Jung in Schieflage

Der Nachwuchs fehlt. Immer mehr Frauen gebären keine Kinder. Vom Jahrgang 1940 blieb nur jede zehnte Frau kinderlos, vom Jahrgang 1965 jede dritte. Durch den fehlenden Nachwuchs gerät das Verhältnis zwischen Alt und Jung weiter in die Schieflage. 1999 kamen auf 100 Berufstätige unter 60 Jahren 41 Ältere. Im Jahr 2050 wird sich der Anteil der über 60-Jährigen mehr als verdoppelt haben.

Die Überalterung belastet die öffentlichen Etats. Bund, Länder und Gemeinden zahlten 1970 für ihre Pensionäre 4,5 Milliarden Euro, 2000 gut 22 Milliarden, und in 30 Jahren sind es dreimal so viel.

Die Wirtschaft verändert sich. Belegschaften ergrauen, andere Arbeitsplätze werden nötig. Neue Dienstleistungen entstehen, weil sich Bedürfnisse ändern und die Menschen etwa mehr nach Pflegediensten fragen. Die Wirtschaft wächst langsamer, weil ältere Beschäftigte weniger dynamisch sind.

"Demografischer Kolonialismus"

Zuwanderung hilft wenig. Wollte Deutschland das heutige Verhältnis zwischen Jung und Alt für 50 Jahre nur stabil halten, müssten jährlich 3,4 Millionen Menschen einwandern. Derzeit sind es 200.000. Der Sozialstaat profitiert von Zuwanderung außerdem kaum: Die Neuankömmlinge füllen die Sozialkassen, beanspruchen aber später Leistungen wie die Rente.

Auch der Wirtschaft nützen Zuwanderer nur teilweise. Deutschland lebt von hochproduktiven Arbeitsplätzen mit gut qualifizierten Beschäftigten, viele Einwanderer sind eher schlecht ausgebildet. Zuwanderung lindert Nöte einzelner Branchen, ein Heilmittel gegen die alternde Gesellschaft ist sie nicht.

Und will sich Deutschland einen "demografischen Kolonialismus" leisten, wie es der Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg sagt, und die besten Köpfe aus der Dritten Welt anlocken?

Die Deutschen werden ihre Probleme allein lösen müssen, vor allem in der Sozialversicherung. Nur wie? Für viele Experten gibt es ein Wundermittel: Kapitaldeckung. Jeder soll für sich selbst vorsorgen, Geld wird gesammelt, angelegt, und im Ruhestand fließt die Rendite. Die heutige Rentenversicherung würde unnötig, da die Jungen in sie nicht mehr einzahlen müssten. So einfach ist das - in der Theorie. Die Praxis ist eine andere.

Kapitaldeckung funktioniert nur, wenn es eine Rendite gibt. Der Sturzflug der Finanzmärkte in den letzten Jahren erinnert da an den Spott des Satirikers Kurt Tucholsky, wonach die Börse "einer Reihe aufgeregter Herren den Spielclub ersetzt". Manchmal bleibt da nichts mehr.

Das investierte Kapital, etwa in Immobilien, muss außerdem auch auf Nachfrage stoßen, sonst fehlt der Ertrag. Weniger Menschen brauchen weniger Wohnungen, der Preis für Immobilien wird sinken. Ähnliches gilt, wenn das Kapital in Maschinen angelegt wird.

Die internationalen Finanzmärkte mildern dieses Risiko kaum, schon weil Wechselkurse sich ändern und Werte sich verringern können. Fast alle Industriestaaten leiden dazu unter der Überalterung ihrer Bürger. So müsste die Dritte Welt die Renditen erwirtschaften, die Wandelanleihe aus Nigeria wird zum Ausweg vor der Vergreisung.

Natürlich gibt es noch andere Wundermittel, etwa die Beamten in die Rentenkasse einzubeziehen. Selbst wenn die Politik die verfassungsrechtlichen Hürden überwände, würde dies kaum helfen. Neue Beitragszahler entlasten die Rentenkasse nur kurz, später müssen sie umso mehr zahlen.

Dafür fehlt das Geld, da viele Länder für Pensionäre nicht vorgesorgt haben - eine riesige Finanzlast für die Rentenkasse. Ähnlich problematisch ist die Grundrente, die der CSU-Sozialexperte Horst Seehofer kürzlich als Sockelrente wieder belebt hat: Jeder Ältere erhält eine finanzielle Basis aus dem Steuersäckel; wer mehr will, muss selbst dafür sorgen.

Die Einführung der Grundrente schüfe mehrere Probleme. Die Arbeitnehmer müssten für ihre eigenen Ansprüche und die heutigen Rentner zahlen. Und sie ist ungerecht, wenn der Millionär ebenso Grundrentner ist wie die Putzfrau.

Also müssten Behörden die Bedürftigkeit prüfen, die Bürokratie würde wuchern. Der Staat wäre schnell bei der Armenfürsorge der Vergangenheit. Gibt es also keine optimale Rentenreform?

Das Portfolio-Prinzip

Durchaus, wenn sie dem Portfolio-Prinzip huldigt. Danach minimiert sich ein Risiko am besten, in dem man es streut. Für die Altersicherung heißt das: Niemals alle Eier in ein Nest legen. Die gesetzliche Rente muss so weiter entwickelt werden, dass die Zuwächse für die Rentner geringer ausfallen.

Wächst die Wirtschaft langsamer, gibt es weniger zu verteilen. Zugleich sind kapitalgedeckte Elemente nötig, wie sie bereits mit der Riester-Rente eingeführt wurden. Dabei muss gesichert sein, dass mehr als die Summe der Einzahlungen im Alter auch zurückfließt. Weiteres ist notwendig.

Das Arbeitsvolumen muss steigen, indem die Menschen länger arbeiten oder indem es mehr Jobs gibt. Nur mehr Beitragszahler helfen der Rentenkasse aus der Not. Neue Tätigkeitsfelder für Alte sind nötig, da sie durchaus leistungsfähig sind, nur andere Stärken haben, wie Erfahrung oder Mitarbeiterführung. Ein Umstand, den Mittelständler heute viel stärker nutzen als Großkonzerne.

Erforderlich ist eine andere Bildungs- und Familienpolitik, damit die Ausbildungsdauer sinkt und Frauen sich nicht zwischen Kind und Beruf entscheiden müssen. Viel zu tun für die Politiker, nicht nur bei der Rente. Ex-Arbeitsminister Norbert Blüm warnte indes auf seine Weise: "Die revolutionäre Tabula rasa ist keine brauchbare Unterlage für die Reform der Alterssicherung."

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