Alexis Tsipras:Rattenfänger von Athen flötet in Berlin

Der griechische Linkspolitiker Alexis Tsipras lehnt zwar Sparpakete ab, will aber in der Euro-Zone bleiben. Falls seine Syriza bei der Neuwahl am 17. Juni stärkste Partei wird, müssen sich seine Bauernfängerparolen an der Realität messen lassen. Rat dafür holt er sich derweil in Deutschland - bei der Linkspartei.

Kai Strittmatter

Für jemanden, der nur 17 Prozent der Stimmen erhalten hat, macht Alexis Tsipras ganz schön viel Wind. Und vielen Leuten ganz schön viel Angst. Die New York Times nennt ihn den "Rattenfänger" von Athen, der Wirtschaftsdienst Bloomberg warnt, er sei "gefährlich", und in Deutschland sprechen die Medien meist von den "Linksradikalen", wenn sie über Tsipras und sein griechisches Linksbündnis Syriza berichten.

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Alexis Tsipras (Mitte) und Gregor Gysi (r.) während einer Pressekonferenz in Berlin. 

(Foto: AFP)

Letzteres wenigstens ist Unsinn. Tsipras ist ungefähr so linksradikal wie Gregor Gysi, den er am Dienstag in Berlin getroffen hat. Er ist auch ungefähr so telegen. Man sieht dem 37-Jährigen gerne zu, wenn er, stets ohne Krawatte, vom Podium aus austeilt. Man lauscht ihm, dem glänzenden Redner, auch gerne, zumindest solange, bis man versteht, was er sagt. Dann mag man sich nervös fragen: Will man von so einem in Zeiten höchster Not regiert werden? Will man die Zukunft des Euro in seine Hände legen?

Ausgeschlossen ist das nicht mehr, seit Tsipras bei der Wahl am 6. Mai den bisherigen Stimmanteil seines Bündnisses von 4,6 Prozent fast vervierfacht hat, seit er sich in Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der alten Volkspartei Nea Dimokratia (ND) liefert. Kann sein, dass seine Syriza bei der Neuwahl am 17. Juni stärkste Partei wird. Dann wäre Alexis Tsipras endgültig der Star in Griechenlands Politzirkus.

Persönlich wird er nichts dagegen haben, Tsipras genießt seine neue Rolle. Aber politisch? Vielleicht ist ihm selbst angst und bange ob der Aussicht, seine Bauernfängerparolen dem Test der Realität aussetzen zu müssen. Bislang scheinen weder der Mann noch seine aus einem Dutzend Splitterparteien bestehende, fragile Syriza bereit für den Sprung aus dem Protest in die Verantwortung.

Tsipras hat eine Funktionärskarriere hinter sich: Er begann als Schüleraktivist bei der Kommunistischen Jugend, machte eine Ausbildung zum Bauingenieur und verließ schließlich die kommunistische Partei, um bei den Reform- und Eurokommunisten mitzumachen. 2008 wurde er zum Vorsitzenden der linken Partei Synaspismos gewählt. Er war gerade mal 33 Jahre alt, in einer Umfrage erkor ihn damals mehr als jeder zweite Befragte zum beliebtesten Politiker des Landes.

Tsipras ist ein Kind des alten Systems, das vor allem deshalb so frisch wirken kann, weil alles um es herum so befleckt und verbraucht ist. Gleichzeitig trägt er die DNA der alten Ordnung in sich: Von den fürs Land lebensnotwendigen Reformen ist im Wirtschaftsprogramm der Syriza keine Rede, dagegen finden sich dort neue Versionen des mittlerweile berüchtigten Wahlslogans der Sozialisten von 2009: "Geld ist da!" Man müsse nur, so die fromme Hoffnung, an der richtigen Stelle suchen, etwa bei den Reichen.

Vielen Griechen erscheint Tsipras mit seiner Radau-Opposition zu den Sparpaketen als schlau, stolz und mutig. In Wirklichkeit ist seine Argumentation von ebenso großer Schlichtheit wie Tollkühnheit: Nein, wir lehnen die Sparpakete ab, und ja, wir bleiben im Euro. Ein Widerspruch? Nein, sagt Tsipras: Die Europäer bluffen, sie werfen uns nie aus dem Euro. Gewinnt Tsipras die Wahl und verliert er seine Wette, droht der Ruin eines ganzen Volkes.

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