Alarmierender Weltklimabericht:"Es bleibt uns nur noch ein Zeitfenster von 10 bis 15 Jahren"

Nach der Vorlage des UN-Klimaberichts verlangen Organisationen und Politiker verschiedener Länder ein rasches Handeln für mehr Klimaschutz. Umweltminister Gabriel schlug vor, das Problem weltweit zur Chefsache zu machen.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat als Reaktion auf den Bericht der Vereinten Nationen zur Erderwärmung einen entschlosseneren Kampf gegen den Klimawandel gefordert.

Weltklimabericht; Reaktionen; Ozonloch

Ein Satellitenbild zeigt das Ozonloch über der Arktis

(Foto: Foto: dpa)

In einer in New York verbreiteten Erklärung der Vereinten Nationen verlangte Ban am Freitag (Ortszeit) eine weltweite Antwort. Angesichts der bedrohlichen Geschwindigkeit, die der vom Menschen verursachte Klimawandel angenommen habe, müsste "schneller" und "mit größerer Entschiedenheit" gehandelt werden.

Die US-Regierung begrüßte den am Freitag in Paris vorgestellt UN-Klimabericht. Die zentralen Erkenntnisse der Untersuchung seien "eine wertvolle Informationsquelle für politische Entscheidungsträger", sagte die US-Delegationsleiterin beim UN-Umweltgremium IPCC, Sharon Hays, in einer vom Weißen Haus verbreiteten Erklärung.

Die Befunde des UN-Klimaausschusses IPCC seien "bedeutsam" und trügen zu einem besseren Verständnis des Phänomens bei, sagte der Sprecher von US-Präsident George W. Bush, Tony Fratto, in Washington. Insofern helfe der Bericht bei der Suche nach dem besten Weg, "wie man den Herausforderungen des Klimawandels begegnen kann".

"Ernste Entwicklung"

Bush hatte sich sich lange sehr skeptisch über die Warnungen von Wissenschaftlern geäußert und die Unterzeichnung des Kyoto- Abkommens verweigert. In der vergangenen Woche hatte der US-Präsident dann den Klimawandel erstmals in überraschender Deutlichkeit als "ernste Entwicklung" bezeichnet und angekündigt, die USA würden nun Pläne zur Verringerung des Kohlendioxid-Ausstoßes vorantreiben.

Verbindliche Obergrenzen für den Ausstoß an Treibhausgasen, wie sie etwa das Kyoto-Protokoll vorsieht, lehnt Bush aber strikt ab. Als größter Energieverbraucher der Erde tragen die USA knapp ein Viertel zum weltweiten Ausstoß an Treibhausgasen bei.

In Deutschland forderte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel nach Vorlage des Weltklimaberichts UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zum Handeln auf. "Es ist unbedingt notwendig, dass sich die Vereinten Nationen auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs sowie in der UN-Generalversammlung mit dem Klimawandel auseinander setzen", sagte der SPD-Politiker der Zeitung Die Welt. "Das ist ein Menschheitsproblem, mit dem sich auch die Führer der Menschheit auseinander setzen müssen."

Die Lösung des Klimaproblems könne nicht alleinige Aufgabe von 189 Umweltministern und 5.000 Experten sein, sagte Gabriel. Das hätten die Erfahrungen der letzten Weltklimakonferenz in Nairobi gezeigt.

Auch der französische Präsident Jacques Chirac hatte am Freitag angesichts des Klimawandels zu einem weltweiten Umweltmanagement im Rahmen der Vereinten Nationen aufgerufen. Der Direktor des UN-Umweltprogramms UNEP, Achim Steiner, hatte einen Weltklimagipfel der Staats- und Regierungschefs vorgeschlagen.

Gabriel mahnte zur Eile: "Es bleibt uns nur noch ein Zeitfenster von etwa 10 bis 15 Jahren, um in der internationalen Klimapolitik umzusteuern. Wenn uns das nicht gelingt, werden künftige Generationen massiv darunter zu leiden haben."

Deutschland kein Vorreiter beim Umweltschutz

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) steht einem generellen Tempolimit auf deutschen Autobahnen auch angesichts des neuen UN-Klimaberichts ablehnend gegenüber. "Die Diskussion über ein generelles Tempolimit sehe ich nicht", sagte sie der Bild am Sonntag. "Viele Autobahnen haben Beschränkungen, sind mit Verkehrsleitsystemen ausgestattet oder auf Richtgeschwindigkeiten ausgerichtet. Das dient dem Klimaschutz." Der CDU-Umweltbeauftragte Ole von Beust hatte kürzlich ein generelles Tempolimit nicht ausgeschlossen.

Merkel unterstrich die Vorreiterrolle Deutschlands beim Klimaschutz unterstrichen. Schon heute erbringe Deutschland allein 75 Prozent der Treibhausgas-Senkung, die die EU insgesamt zwischen 2008 und 2012 schaffen müsse, sagte Merkel. Außerdem unterstütze Deutschland Länder wie Indien und China mit klimafreundlicher Kraftwerks-Technologie.

Die EU sei beim Klimaschutz besonders in der Pflicht: "Wir können nicht von China und Indien verlangen, dass sie etwas gegen das Kohlendioxid unternehmen, wenn wir nicht selbst mit gutem Beispiel vorangehen", sagte die Kanzlerin. Da Europa die globale Erwärmung nicht mehr verhindern könne, sei aber ein international abgestimmtes Vorgehen nötig. So solle sich die EU verpflichten, den CO2-Ausstoß bis 2020 insgesamt um 30 Prozent zu verringern.

Unterdessen hat EU-Umweltkommissar Stavros Dimas Deutschland wegen dessen Vorbildrolle im Klimaschutz eindringlich zu größeren Anstrengungen aufgerufen. "Deutschland muss sich seiner Verantwortung und Vorbildfunktion gerade beim Klimaschutz bewusst werden", sagte Dimas der Bild am Sonntag.

"Wenn Deutschland sich querstellt, macht der Rest Europas nicht mit. Und wenn Europa nicht mitmacht, macht die ganze Welt nicht mit. Dann können wir alle einpacken. Ich appelliere hier an das Verantwortungsgefühl aller Deutschen."

Neue Infektionskrankheiten möglich

Der griechische EU-Kommissar fügte hinzu: "Deutschland unternimmt zwar ehrliche Bemühungen, ist aber leider derzeit keineswegs Vorreiter beim Klimaschutz. Mehrere andere Staaten sind bereits näher an ihrem Kyoto-Ziel, zum Beispiel Großbritannien und Schweden. Andere wiederum verstecken sich hinter Deutschland. Erst wenn Deutschland den schönen Reden Taten folgen lässt, können auch die anderen sich nicht mehr verstecken."

Der Präsident des Umweltbundesamtes, Andreas Troge, warnte vor neuen Gesundheitsgefahren in Folge des Klimawandels. In der Neuen Osnabrücker Zeitung forderte er, den öffentlichen Infektionsschutz zu verstärken und bisher in Deutschland noch nicht auftauchende Krankheiten zu beobachten.

Überträger von in manchen Fällen tödlich wirkenden Infektionskrankheiten hätten in den künftig milderen Wintern nördlich der Alpen bessere Überlebensbedingungen. Wenn sich Erreger von Lashmaniose oder "eventuell sogar Malaria" ausbreiten, "dann müssen wir uns darum kümmern", sagte Troge.

Laut Troge ist in Brandenburg - womöglich in Folge des Klimawandels - erstmals in Deutschland eine gefährliche Giftspinne aus südlichen Ländern aufgetaucht, der so genannte Dornfinger. Außerdem gebe es Blaualgenarten tropischen Ursprungs inzwischen auch in Deutschland. Von ihnen produzierten manche ein wasserlösliches Gift. "Hier müssen wir sicherstellen, dass die Trinkwasserversorgung mit diesem Gift zuverlässig fertig wird", sagte der Präsident des Umweltbundesamtes.

Mensch dreht an der Klimaschraube

Mit Blick auf künftige lang anhaltende Hitzewellen schlug Troge vor, flächendeckend einen Hitzewarndienst einzurichten, den es in Hessen bereits gebe. Dort warne der Deutsche Wetterdienst Krankenhäuser, Altenpflegeheime und ähnliche Einrichtungen vor Hitzeperioden. Troge forderte von der Politik, die Bundesverwaltung, die Länder- und Kommunalbehörden sowie öffentliche Unternehmen dazu zu verpflichten, ab sofort bei ihren Beschaffungsentscheidungen auf den Klimaschutz zu achten und nur klimaverträgliche Produkte zu kaufen.

Die Folgen des Klimawandels, die im UN-Weltklimabericht beschrieben werden, sind drastisch: "Die Schäden durch Stürme und Überschwemmungen werden höher und unvorhersagbarer. Die Jahreszeiten spielen verrückt. Pflanzen und Tiere kommen völlig durcheinander. Ernten gehen zurück. Menschen verlieren ihre Existenzgrundlage", heißt es in dem Bericht.

Im Weltklimabericht werden einen Temperaturanstieg um bis zu 6,4 Grad und die Erhöhung des Meeresspiegels um mehr als einen halben Meter bis zum Ende des Jahrhunderts vorhergesagt. Das Dokument stellt die Verantwortung des Menschen für die globale Erwärmung so deutlich heraus wie nie zuvor.

"Mit dem nun vorliegenden Bericht sollten letzte Zweifel ausgeräumt sein, dass wir Menschen es sind, die die Klimaschraube überdrehen", sagte der Klima-Chefberater der Bundesregierung, Hans Joachim Schellnhuber, zu dem am Freitag in Paris veröffentlichten Dokument des UN-Klimarats IPCC.

Die Folgen der vom Menschen verursachten Erderwärmung seien in Deutschland bereits heute eindeutig nachweisbar, sagte einer der Hauptautoren des Berichts, der Potsdamer Klimaforscher Stefan Rahmstorf. "In Deutschland beobachten wir einen Trend hin zu größerer Trockenheit im Sommer, insbesondere im östlichen Teil." Folgen zeigten sich zudem an Nord- und Ostseeküste. Dort werde im Vergleich zum globalen Mittelwert künftig sogar ein überdurchschnittlicher Anstieg des Meeresspiegels erwartet.

Im April und Mai werden zwei weitere IPCC-Arbeitsgruppen ihre Ergebnisse über Auswirkungen, Anpassung und Verletzlichkeit sowie über die mögliche Entschärfung des Klimawandels vorlegen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: