Akzeptanz von Großprojekten:Nicht vor meiner Haustür!

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Landebahnen, Hochspannungsleitungen oder eine Großbaustelle vor der eigenen Haustür? Keiner wünscht sich das. Meist sind es daher Anlieger, die gegen Großprojekte demonstrieren. Doch wenn überall Wutbürger auf die Barrikaden gehen, dann steht die Gesellschaft am Ende ohne funktionierende Infrastruktur da. Nachträgliche Mediationsverfahren oder staatlicher Zwang helfen hier nicht weiter. Wie zukünftige Großprojekte dennoch funktionieren können.

Michael Bauchmüller

Soll keiner behaupten, der Bürger werde nicht beteiligt. Der neuen Startbahn am Frankfurter Flughafen ging ein langes Mediationsverfahren voraus, über den Tiefbahnhof Stuttgart 21 debattierten Gegner und Befürworter vor den Augen des Fernsehpublikums, für das umstrittene Endlagerprojekt Gorleben gibt es neuerdings einen eigenen Dialog: Bitte alle mitmachen. Und dann?

Die Energiewende hat viele Befürworter, doch wenige wollen einen der dafür notwendigen neuen Strommasten auf dem eigenen Grundstück. (Foto: dpa)

In Frankfurt wurden Bürger von Nachtflügen überrascht, die nicht verabredet waren, in Stuttgart sind die Fronten starr wie eh und je, in Gorleben wird munter erkundet, Dialog hin oder her. Der Bürger, dieses zunehmend renitente Wesen, soll zwar erklärtermaßen in Großprojekte besser eingebunden werden - doch stets nur zum Zwecke ihrer Durchsetzung. So aber läuft Deutschland schnurstracks in die Akzeptanzfalle.

Bürgerinitiativen auf dem Vormarsch

Fronten gibt es genug. Hier ist es die Gütertrasse durchs Rheintal, die mehr Verkehr auf die Schiene holt, aber Anwohner quälen wird, da ist es eine Stromleitung, dort eine dritte Startbahn am Münchner Flughafen. Alle Proteste eint das Auseinanderfallen von Lasten und Nutzen. Anwohner müssen Lärm oder Anblick ertragen, den Nutzen genießen andere, oft die Allgemeinheit. Das allein überzeugt Betroffene aber noch nicht.

Das klassische Verwaltungstrias aus Planung, Planfeststellung und Genehmigung stößt damit immer öfter an die Grenzen des sogenannten Wutbürgers. Dieser konnte zwar schon im Verfahren seine "Einwendungen" vorbringen, heißt das Ergebnis aber deshalb noch lange nicht gut. Und während alte Bindungen an Kirchen, Parteien, Gewerkschaften an Kraft verlieren, organisieren sich Bürger immer stärker entlang ihren Interessen. Viele Bürgerinitiativen überbrücken inzwischen alle politischen Lager. So werden die Gegner umso einflussreicher, umso effektiver. Lernen Verwaltung und Bauherren nicht, damit umzugehen, werden sie an entscheidenden Projekten scheitern.

Auch der Hinweis auf die Doppelbödigkeit mancher Protestbewegung hilft nicht. Mag sein, dass mancher Anwohner heute gegen Fluglärm kämpft, aber morgen schon in Urlaub fliegt. Und klar: Wer gegen neue Stromleitungen opponiert, ist seinerseits dennoch auf welche angewiesen, nur eben woanders. Allzu oft spielt das Sankt-Florians-Prinzip hinein, nach dem die neue Ortsumfahrung von den einen ersehnt, von den anderen erbittert bekämpft wird. Zwangsläufig landet eine Gesellschaft, in der alle zwar eine funktionierende Infrastruktur wollen, nur nicht vor der eigenen Haustür, im Patt. Nur lässt sich dies weder durch Zwang lösen noch per Verwaltungsakt.

Bauherren müssen flexibel bleiben

Ganz offensichtlich müssen sich die Verfahren verändern. Bürgerbeteiligung war zu lange nur notwendiges Übel. In Zukunft muss sie zur Grundlage einer Planung werden, und zwar in Form echter Beteiligung. Die Erfahrung lehrt, dass umstrittene Vorhaben dort, wo Anwohner frühzeitig mitreden durften, viel leichter umzusetzen sind. Das verlangt allerdings auf Seiten der Bauherren eine bisher ungekannte Flexibilität; sie müssen lange offenlassen, wie genau sie ihr Vorhaben realisieren: Welche Trasse etwa eine Güterstrecke nehmen soll, welcher Technologie sie sich bei einer Stromleitung bedienen wollen. Und sie müssen womöglich sogar bereit sein, noch einmal über das Ob zu streiten.

Akzeptanz", das ist bisher Ziel noch jeder Beteiligung. Der Bürger soll überzeugt werden, soll hinnehmen, was andere in seiner Umgebung planen. Schon in dem Wort steckt das Grundmissverständnis, das viele Vorhaben so erschwert: Denn bisher muss diese Akzeptanz nur der Betroffene aufbringen. Wie aber steht es um die Akzeptanz auf Seiten der Investoren und der öffentlichen Hand?

Schwierig werden große Infrastrukturvorhaben immer bleiben, zwangsläufig verlangen sie den Ausgleich der Interessen. Aber sie werden unmöglich, wenn der Bürger erst wütend werden muss, damit er Einfluss bekommt.

© SZ vom 31.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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