Aktion gegen Judenhass:Berlin trägt Kippa

  • Etwa 2500 Berliner haben nam Mittwochabend in Berlin gegen Antisemitismus sowie für Toleranz und Zivilcourage demonstriert.
  • Nicht alle finden die Aktion "Berlin trägt Kippa" gut. Die Israelitische Synagogen-Gemeinde zu Berlin spricht von einer "Wohlfühlstunde".
  • Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, sagt: "Es hilft unserer Gesellschaft nicht, eine Harmoniesoße über alles zu kippen."

Von Hannah Beitzer, Berlin

Kippot ist der Plural von Kippa. Ein Wort, das viele der Menschen, die sich vor dem Gemeindehaus der Jüdischen Gemeinde zu Berlin drängeln, an diesem Mittwochabend zum ersten Mal hören. Denn es gibt sonst im Berliner Alltag selten die Gelegenheit, über die traditionelle jüdische Kopfbedeckung im Plural zu sprechen. Auf Berlins Straßen ist sie eine Ausnahmeerscheinung geworden. "Seit dem Zweiten Weltkrieg haben hier noch nie so viele Menschen gleichzeitig Kippa getragen", sagt Gideon Joffe, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, vorne auf der Bühne.

Seine Gemeinde hat zu der Solidaritätsaktion "Berlin trägt Kippa" aufgerufen, nachdem in der vergangenen Woche ein 19 Jahre alter Flüchtling aus Syrien einen 21-jährigen Israeli mit Kippa angegriffen hatte. Es sind am Ende etwa 2500 Menschen vor das Gemeindehaus im Stadtteil Charlottenburg gekommen: junge Paare in modischen Mänteln, Frauen mit speziellen Rucksäcken und viele ältere, gut gekleidete Männer und Frauen. Die Berliner Bürgerschicht zeigt Solidarität.

Die 64-Jährige trägt die Kippa stolz auf dem kurzen Haar

Zum Beispiel Ulla Olms, 64 Jahre. "Das Thema Antisemitismus beschäftigt mich schon, seit ich zur Schule gegangen bin." Als sie 14 war, habe ein Lehrer den Schülern die Holocaust-Dokumentation "Nacht und Nebel" des französischen Regisseurs Alain Resnais gezeigt. "Seitdem hat mich das nicht mehr losgelassen." Heute hat sie ihre Enkelkinder dabei, trägt die Kippa stolz auf dem kurzen Haar.

Nicht alle jedoch finden "Berlin trägt Kippa" so gut wie sie . Die Israelitische Synagogen-Gemeinde zu Berlin etwa sprach von einer "Wohlfühlstunde", während Juden im Alltag davor gewarnt würden, die Kippa aufzusetzen. Die Aktion hat jedoch viele prominente Unterstützer. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) hält eine Rede, ebenso sein Koalitionskollege Klaus Lederer von der Linken, der CDU-Fraktionschef im Bundestag, Volker Kauder, und Felix Klein, der neue Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, zählt antisemitische Angriffe der vergangenen Jahre auf und sagt: "Es hilft unserer Gesellschaft nicht, eine Harmoniesoße über alles zu kippen."

Am meisten Applaus bekommt jedoch der Grünen-Politiker Cem Özdemir. Er erinnert sich auf der Bühne zurück an die ausländerfeindlichen Brandanschläge Anfang der Neunzigerjahre. Verunsichert habe er als Junge vor der Tagesschau gesessen. Dann sei Ignatz Bubis, der Präsident des Zentralrats der Juden, aufgetreten und habe den Türken, Kurden, Muslimen gezeigt: Wir stehen zu euch. "Heute ist es an der Zeit, das zurückzugeben", sagt Özdemir. Antisemitismus habe keinen Platz in Deutschland, auch nicht, wenn er als arabischer Nationalismus getarnt werde.

Auf einem Plakat steht "Juden schützen - Islamisierung stoppen"

Er stichelt auch unter dem Gelächter der Demonstranten gegen die AfD, die ebenfalls zur Teilnahme an der Kundgebung aufgerufen hatte. Doch auf die Bühne wurde keiner ihrer Vertreter gebeten. Und nur ganz am Rand, misstrauisch beäugt von den anderen Demonstranten, steht ein Mann, der ein Plakat hochhält: "Juden schützen - Islamisierung stoppen."

Während die Politiker auf der Bühne reden, erreicht die Menschen vor dem Gemeindehaus die Nachricht, dass eine kleinere Kippa-Demonstration am Neuköllner Herrmannplatz nach lediglich zehn Minuten aufgelöst wurde. Dort hatte sich eine Gruppe Demonstranten mit Kippot und einer Israelfahne versammelt. Schon nach wenigen Minuten, so berichtet Volker Kauder auf der Bühne, sei ihnen diese Fahne entrissen und sie als Terroristen beschimpft worden. Kurz danach spricht in Charlottenburg Lea Rosh, Initiatorin des Berliner Holocaust-Mahnmals. Sie schlägt vor, den Freitag künftig zum "Tag der Kippa" zu erklären. Also so lange Kippa zu tragen, bis sie in der Hauptstadt einfach Alltag ist.

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